STECKSCHUSS. Ernst Rabener

STECKSCHUSS - Ernst Rabener


Скачать книгу
danach brach eine Lachsalve los, krächzend und scheppernd, gefolgt von dem freundlichen, noch immer von heillosem Gegacker unterbrochenen Hinweis:

      »Bei Mannsbildern, weißte, Mädel, wirkt der Witz immer noch viel doller: ’ne Frau, die ihnen was vom Wichsen erzählt, worüber die Herren der Schöpfung ja grundsätzlich meinen, viel eher Bescheid zu wissen!«

      Wieder folgte schneidendes Gewieher.

      »Ist gut, der Doktorwitz, was?«

      Lena, sonst alles andere als auf den Mund gefallen, fehlten die Worte. Was Paul ihr an Absonderlichkeiten über diese Hallstein erzählt hatte, schien noch um gewaltige Grade untertrieben.

      »Erzähl’ den mal dem Paul und dem Karl, die haben sonst auch nicht viel zu lachen, wie ich weiß. Und mit dir, der Neuen, sicher noch viel weniger!«

      Es folgte atemloses Gepruste, das nur allmählich versandete, danach ein weiterer Lacher, der sich überschlug. Lena traute sich nicht dazwischenzufunken.

      »Und jetzt hör mal zu, du Huhn!«

      »Also ich verbitte mir…«

      Die Hallstein tat, als hätte Lena rein gar nichts gesagt, und schnitt ihr das Wort ab: »Wie ich gesagt hatte! Aber dein Paul, der Narr, wollt’ mir ja nicht glauben heut’ Nacht!«

      Der nun folgende Lacher war, verglichen mit den Vorgängern, geradezu verhalten.

      »Und was …?« Es war das Einzige, was Lena einwerfen konnte: Auch dieser Versuch einer Frage lief ins Leere.

      »Gift im Wein, jede Menge konzentriertes Coniin! Und merk’ dir gefälligst die Begriffe, dummes Huhn!«

      »Jetzt hören Sie mal, ich lasse mich hier doch…«

      »…von niemand vögeln, jaja! Solltest du aber schon zwischendurch mal, Mädel! Der Karl kann’s besser als der Paul.« Das neuerliche Gewieher, das sie dazu losließ, war schlichtweg viehisch.

      Lena war total perplex und so verstört, dass sie, zu Frau Binswangers Schrecken, den Hörer auf die Gabel knallte und erst einmal wortund ratlos dastand.

      Keine halbe Minute später läutete es wieder. Wie in Trance nahm sie ab.

      »Kann aber sein, dass der Paul sich inzwischen verbessert hat. Coniin ist Todesursache, hörst du, rund das Zehnfache der letalen Dosis, ein feines, sorgfältig hergestelltes Extrakt aus Conium maculatum – nachsagen!!«

      Mit solcher Schärfe in der drohenden Stimme herrschte sie Lena an, dass die tatsächlich ›Conium maculatum‹ nachsagte und danach, weil die Hallstein jetzt sturzbachartig auf sie einredete, entgeistert den Mund offen ließ.

      »Schierling, merk’s dir! Schierling findet man überall auf Wald und Flur, jederzeit auf Abfallhalden: Pflücken, Früchte und Wurzeln auspressen, fertig ist die Mordwaffe – und quassel nicht dauernd quer!«

      Wieder erschrak Lena über den aberwitzigen Befehl so, dass sie nicht über ein »Ich hab’ doch …!« hinauskam.

      »Angriff auf alle Nervensysteme, Verlust des Sprechvermögens, der Knabe konnte ziemlich schnell nicht mal mehr um Hilfe schreien! Alles sehr unschön. Armes Ding, was du dir so alles anhören musst!«

      Ihr »Hihihi« darauf klang fast zärtlich.

      »Hat beim Trinken nichts gemerkt, weil der Sud, den ihm die raffinierte Killerin in die Weinpulle gekippt hat, mit Honig versetzt war.« Ihr Sprechtempo nahm noch einmal zu.

      »Handelsübliches Zeug, nimmt dem guten Coniin die Bitterkeit, musste wissen, raffiniert, nicht, wie der Nero – kennste den?«

      Lena, wie automatisch: »Ja, klar, den römischen …«

      »Red’ doch keinen Stuss, du Gör! Der Nero mit seiner befreundeten Giftmischerin, die er dauernd genagelt hat: Der hat so, genau so!, seinen Halbbruder um die Ecke gebracht, die Athener genau so den Sokrates!« Der Sprechduktus hatte die Grenze zum Panisch-Hysterischen überschritten. »Unschön, unschön, sag ich dir: Das Opfer kann nicht mehr sprechen, dann nicht mehr schlucken, Muskelkrämpfe, Atemlähmung zuletzt, alles bei vollem Bewusstsein: Stell dir das mal vor, du Gans! Der junge Bursch! Erstickt und schaut sich dabei zu! Ein Vieh, wer so was macht!«

      Lena wusste nicht, ob die Hallstein mit dem letzten Satz die Mörderin, von der sie gesprochen hatte, oder den armen Georg meinte, der sich beim Ersticken hatte zuschauen müssen.

      Ihr drohte schwindlig zu werden, so setzten ihr Ton, Inhalt und Hektik dieser unsäglichen Hallstein-Tirade zu.

      Frau Binswanger schaute sie besorgt an und nötigte sie auf einen Stuhl.

      Wahrscheinlich wäre Lena endgültig ohnmächtig geworden, hätte sie erahnt, was sich derweil im Kabäuschen von Pauls Büro tat: Sissilissi warfen sich, ganz allein gelassen, nach drei Minuten einen kurz Blick zu, standen auf und verließen lautlos Büro und Gebäude, unbemerkt von Paul, der tief atmend schräg auf dem Stuhl saß und schnarchte.

      »Oder nicht? Nun sag’ doch auch mal was!«

      Ein »Jaja!« war alles, was Lena zustande brachte, und schon ratterte die Hallstein weiter: »Dreikommaeins Promille hatte der Schorsch, ein Wahnsinn! Und ein Wunder, dass er überhaupt noch den Weg vom Fuchsbräustüberl in die Schießstättstraße gefunden hat! Ich hab’ euern Bericht genau gelesen, wie du siehst, hihi!, und einen Rechtschreibkurs solltet ihr alle drei dringend machen, schließlich gibt’s ’nen Unterschied zwischen das und dass

      Erneut kam Lena nicht weiter als bis zu einem protestierenden »Aber…!«

      »Drei-eins Promille, monströs!« Die irrwitzig schnell dahergeschnatterten Sätze wurden inzwischen durch Gemecker gegliedert. »Ungefähr acht Halbe Bier! Zuvor schon massiv Fusel, danach noch zwei Schoppen Fusel, versetzt mit Coniin, geschüttelt, nicht gerührt.«

      Das ist das maßlose Blöken einer komplett Wahnsinnigen!, war Lenas entsetzter Gedanke zu dem, was die Hallstein absonderte.

      Atemlos ratterte die Frau Professor weiter: »Säuft noch ’nen halben Liter hinterher, als er wieder auf dem Zimmer war! Die Weinpulle so gut wie leer, als ich reinkam! War wohl einer von den begnadeten Säufern, die nicht aufhören können, solange noch was da ist! Und das wusste die Mörderin ziemlich sicher!«

      »Warum eine…«

      »…Frau? Ja, warum wohl, dummes Ding? Gift ist Frauensache! Haste doch hoffentlich gelernt in deiner sogenannten Ausbildung! Vollsuff und Schierling: Da hat’s weiß Gott nicht lang gedauert, bis er aktionsunfähig war, der arme Bub! Todeszeitpunkt Mitternacht bis null Uhr dreißig. Kennste den? Hat ein Pathologe…«

      Lena warf den Hörer noch heftiger auf die Gabel als vorhin, sie konnte nicht mehr. Schweißnass starrte sie die Wand hinter Frau Binswanger an, zitternd, während in ihrem Kopf die wirrsten Gedanken durcheinanderstoben und sich heftig bekriegten.

      »Ja, manchmal ist sie anstrengend, die Frau Professor!« Die als Trost gedachte Feststellung der Sekretärin half Lena auch nicht weiter. Nur mit Mühe gelang es ihr, sich ein halbwegs klares Bild von dem zu machen, was da soeben alles auf sie eingeprasselt war. Ihre Gedanken rankten sich an ein paar Begriffen hoch, die gefallen waren: Tatzeit, Schierling, Suff und Sokrates, Schutthalde, Extrakt und Atemlähmung, Mörderin, Promille.

      Nachdem sie alles einigermaßen auf die Reihe bekommen und sich über dieses seltsamste aller bisherigen Telefongespräche im Kopf einen Kurzbericht zurechtgelegt hatte, den sie an die Kollegen weitergeben wollte, ging sie zurück in Pauls Büro, wo sie die beiden Mädchen zurückgelassen hatte. Schon von der Tür aus sah sie, der nächste nicht minder heftige Schreck, dass die Vögelchen ausgeflogen waren.

      Das Handy! Die zwei haben ihr Handy wieder mitgenommen, die Biester!, war ihr erster Gedanke.

      Als sie sich erinnerte, dass sie’s eingesteckt hatte, und es an ihrem Schenkel fühlte, überkam sie mit der Erleichterung urplötzlich tiefe Müdigkeit. Sie warf sich in den Sessel vor Pauls Schreibtisch und versuchte einige lange Minuten,


Скачать книгу