Vermisst. Sam Hawken

Vermisst - Sam Hawken


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was ich brauche.«

      »Ich arbeite billig«, beharrte der Mann.

      »No, gracias. Ich habe, was ich brauche.«

      Der Mann machte Anstalten, seine Hand auf Jacks Arm zu legen, zog sie aber weg, als er Jacks Miene sah. Andere drängten nach vorne, das Gemurmel wurde immer lauter.

      »Das war’s«, sagte Jack. »Ich brauche bloß einen.«

      Der Mann mit dem Kaffeebecher öffnete die hintere Tür der Fahrerkabine und stieg ein. Jack kurbelte die Fenster hoch, um weitere Diskussionen im Keim zu ersticken, und ließ den Motor aufheulen. Die Männer wichen zurück, Jack fuhr los.

      »Danke«, sagte der Mann mit dem Kaffeebecher.

      »Nicht nötig. Du suchst Arbeit, ich biete Arbeit. Alle sind zufrieden.«

      »Ich bin Eugenio«, sagte der Mann.

      »Freut mich.«

      Jack verließ den Parkplatz und fädelte sich in den spärlichen Morgenverkehr ein. Im Radio lief ein gutes Lied, er drehte etwas lauter. Falls der Mann auf der Rückbank etwas dagegen einzuwenden hatte, behielt er es für sich.

       2

      Der Stadtteil, in den sie fuhren, war geprägt von Neubauten, die auf viel zu kleine Grundstücke mit fast identisch aussehenden Gartenwegen und breiten Einfahrten vor Doppelgaragen gepresst worden waren. Trotz der Hitze waren die Rasenflächen grün und perfekt geschnitten, anders als bei Jack. Er hätte wetten können, dass keiner der Hausbesitzer sich selber um seinen Garten kümmerte.

      Er parkte den Truck am Straßenrand vor einem Sandsteinhaus mit einer großen Fensterfront. In dieser Gegend gab es keine Gehwege, trotzdem stand auf einer kleinen Veranda eine Hollywoodschaukel. Eine Veranda war dazu da, die Menschen zu beobachten, die vorbeikamen. Doch hier ging niemand zu Fuß.

      In der Einfahrt stand ein noch leerer Schuttcontainer, eine große, blaue Metallkiste von knapp fünf Metern Länge.

      Jack stieg aus und sagte Eugenio, er solle am Truck warten. Er ging zur Haustür und klingelte. Eine Latina in einer kurzärmeligen blauen Bluse öffnete. Die Haushälterin. Jack stellte sich vor, sie ließ die Tür offenstehen und verschwand im Haus.

      Jack kehrte zum Truck zurück, öffnete die Ladekiste hinter der Fahrerkabine, gab Eugenio einen schweren Werkzeugkasten und griff selber nach einem langen Stemmeisen. Eugenio nahm auf seine Anweisung hin noch eine Rolle Plastikfolie von der Ladefläche, dann gingen sie zum Haus.

      In der großen Eingangshalle hing ein Kronleuchter, eine geschwungene Treppe führte ins obere Stockwerk hinauf. Der Teppich war weiß und würde leicht verschmutzen. Das Badezimmer lag oben, am Ende des Flurs.

      »Roll hinter mir das Plastik aus«, sagte Jack zu Eugenio. »Hast du verstanden?«

      »Ich verstehe.«

      »Okay, dann folge mir.«

      Sie gingen die Treppe hoch, und Eugenio spulte die Rolle hinter sich ab. Am Kopf der Treppe zog Jack sein Klappmesser heraus und schnitt das Plastik ab, um einen neuen Streifen im Flur zu verlegen. Bis zum Badezimmer, das vom Schlafzimmer abging, verbrauchten sie gute zehn Meter. Am Ziel schnitt Jack das Plastik wieder ab.

      »Ich bringe das zum Truck zurück«, sagte Eugenio.

      »Gute Idee. Da liegt auch eine Plane, bring die mit, aber stell erst das Werkzeug da drüben hin.«

      Jack sah sich im Badezimmer um. Wie alles im Haus war es zu groß, es verfügte sowohl über eine Dusche als auch eine Badewanne. Die eine Hälfte sah immer noch nagelneu aus, die andere war bereits bis zur Trockenmauer abgerissen worden. Im Boden fehlten Fliesen. Am großen Spiegel über den beiden Waschbecken klebte eine dünne Staubschicht.

      Mr. Leek, der Kunde, war Rechtsanwalt. Jack verstand nicht, warum der Mann ein völlig intaktes Badezimmer herausreißen wollte. Er hatte damit angefangen und den Job nicht zu Ende gebracht. Alles funktionierte noch – die Toilettenspülung, die Wasserhähne –, aber es sah aus, als wäre im Bad eine Bombe explodiert. Es würde noch schlimmer werden, bevor es wieder besser wurde.

      Leek wollte eine neue Wanne und eine neue Duschkabine und neue Waschbecken und eine neue Toilette. Der verstaubte Spiegel war ungefähr das Einzige, das bleiben sollte. Jack hatte mit dem Anwalt zwei Tage lang Kataloge gewälzt, Armaturen ausgewählt, Wandfliesen und neue Lampen. Leek hatte genaue Vorstellungen, und Jack mischte sich nicht ein. Sein Job war es, den Traum wahr zu machen, seine Meinung behielt er für sich.

      »Was machen wir zuerst?«, fragte Eugenio, als er zurück war. Er hatte seine dünne Jacke ausgezogen, die Kappe in die hintere Hosentasche gesteckt, sein Blick war aufmerksam. Ja, er war eine gute Wahl gewesen.

      »Als Erstes klopfen wir die restlichen Fliesen von der Wand«, sagte Jack. »Danach reißen wir die Wanne raus.«

      Sie legten die Plane aus, dann verteilte Jack das Werkzeug. Er fing am Fenster an, Eugenio bei den Waschbecken.

      »Kümmer dich nicht um die Trockenwand. Die kommt raus, wir machen Zementplatten rein«, sagte Jack. »Wirf einfach alles in die Badewanne.«

      Sie machten sich ans Werk, das Klopfen und Hämmern übertönte alles. Die sauberen, weißen Fliesen zerbrachen und lösten sich stückweise, darunter kam eine glatte graue Fläche zum Vorschein. Jack warf die Scherben in die Wanne, wo sie weiter zersplitterten. Der Abriss eines Badezimmers war einfache, mechanische Arbeit. Es war immer leichter, Dinge kaputtzumachen. Bis zum Mittagessen würden sie mit diesem Teil fertig sein.

      Der Geruch von Staub stieg ihnen in die Nase. Sie atmeten ein und machten weiter.

       3

      Die Fliesen waren schneller abgeklopft als erwartet. Jack sagte der Haushälterin, die in der Küche die Arbeitsflächen schrubbte, dass sie jetzt schon Mittagspause machen und eine Weile weg sein würden. Im Truck verströmten die beiden Männer den Geruch von Arbeit.

      Jack fuhr mit Eugenio zu einem McDonald’s, jeder holte sich einen Big Mac mit Fritten und eine Cola, dann parkten sie in einer Ecke des Parkplatzes in der prallen Sonne, ließen die Fenster herunter und aßen. Sie waren kurz vor dem Mittagsansturm gekommen, jetzt stauten sich die Autos vor dem Drive-in. Wenn der Rest des Tages auch so reibungslos lief, konnten sie vielleicht etwas früher Feierabend machen, aber Jack würde Eugenio in jedem Fall für acht Stunden bezahlen. Dieser Auftrag würde sie noch eine Weile beschäftigen, sie mussten sich nicht schon am ersten Tag verausgaben.

      Jack bemerkte, dass Eugenio einen einsamen Baum betrachtete, der eingepfercht auf einem schmalen Grasstreifen am Rand des Parkplatzes stand. Der Baum machte einen traurigen, verwelkten Eindruck. Irgendwie überlebte er. »Eugenio«, sagte Jack, »woher kommst du?«

      »Ich?«

      »Ja. Wenn ich das fragen darf.«

      »Anáhuac«, sagte Eugenio.

      Jack nickte. »Kenne ich. Westlich von Nuevo Laredo, stimmt’s?«

      »

      »Das ist nicht weit. Fährst du manchmal hin?«

      »Nicht oft, señor

      »Du brauchst nicht señor zu mir zu sagen. Jack reicht.«

      »Okay.«

      Jack hätte gerne mehr erfahren, spürte aber Eugenios Anspannung, steif saß er auf der Rückbank. Jack steckte die leere Big-Mac-Packung in die Papiertüte und knüllte alles zusammen. Der Müll landete in einer Plastiktüte, die hinter dem Fahrersitz an einem Haken hing. Jack mutete dem Wagen viel zu, hielt aber die Fahrerkabine sauber. »Ich frage nicht aus einem bestimmten Grund«, sagte er. »Nur zum Reden.«

      »Está bien«, sagte Eugenio.

      Jack


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