Vermisst. Sam Hawken

Vermisst - Sam Hawken


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stand er stumm daneben.

      Nach langem Warten sah er Dreier mit zwei Polizisten in Uniform und seinem Kollegen hinter einer Glaswand stehen. Als der Kollege herüberschaute, senkte Jack reflexartig den Blick. Er trug keine Handschellen, kam sich aber so vor.

      Schließlich ertönte ein elektrisches Summen, dann tauchte Dreier mit einigen ausgedruckten Seiten in der Hand auf. »Bitte kommen Sie mit, Mr. Searle.«

      Am Ende eines scheinbar endlos langen Korridors bogen sie links ab und kamen an ein paar identisch aussehenden geschlossenen Türen mit Nummern vorbei. Dreier schloss eine auf und bat Jack herein. In dem winzigen Zimmer standen ein kleiner Tisch und drei Stühle. An der Decke war eine Kamera mit einer rot leuchtenden Lampe befestigt.

      »Nehmen Sie Platz.«

      Jack setzte sich.

      »Bevor Sie fragen«, sagte Dreier, »Sie stehen nicht unter Arrest. Sie haben keine Anzeige zu erwarten. Sie können jederzeit gehen. Sie müssen nicht mal mit mir reden.«

      »Schon gut«, sagte Jack.

      »Okay.« Dreier setzte sich. Er legte die Seiten mit der Schrift nach unten auf den Tisch. »Nur damit Sie wissen, wo Sie stehen.«

      »Was kann ich für Sie tun?«, fragte Jack.

      »Unter welchem Namen kennen Sie den Mann, den Sie angestellt haben?«

      »Eugenio.«

      »Kein Nachname?«

      »Nein, hab ich nie nach gefragt.«

      »Und er hat gesagt, er käme aus Anáhuac in Mexiko.«

      »Genau.«

      »Stellen Sie oft Männer vom Home-Depot-Parkplatz ein?«

      »Ab und zu. Ich bekomme alle möglichen Aufträge und kann es mir nicht leisten, Leute zu bezahlen, wenn es keine Arbeit gibt. Es ist einfacher, sie bei Bedarf zu holen.«

      »Was zahlen Sie ihnen?«

      »Acht Dollar die Stunde plus Mittagessen.«

      Dreier zog eine Augenbraue hoch. »Nicht viele Handwerker zahlen Tagelöhnern heutzutage den Mindestlohn.«

      »Ich zahle, was ich für fair halte.«

      »Sicher, ich verstehe. Und Sie kümmern sich nicht um Steuern und solche Sachen.«

      »Hören Sie, ich –«

      Dreier hob die Hand. »Ich meine bloß, Mr. Searle. Sie brauchen sich nicht zu rechtfertigen. Sie sind nicht der Erste, der sich den Papierkram spart, und Sie werden nicht der Letzte sein. Wir unterhalten uns bloß.«

      »Ich erwarte nur ehrliche Arbeit für ehrlichen Lohn«, sagte Jack.

      »Das verstehe ich. Wie viele Männer haben Sie von dem Parkplatz da geholt, sagen wir mal, im letzten Jahr?«

      »Fünf oder sechs.«

      »Können Sie sich an Namen erinnern?«

      »Nicht wirklich.«

      »Würden Sie sie auf Fotos erkennen?«

      »Vielleicht. Das also wollen Sie von mir?«

      »Später.« Dreier legte die Fingerspitzen aneinander. »Wissen Sie, wir gehen davon aus, dass neun von zehn Männern auf dem Parkplatz illegal hier sind. Wir könnten sie jeden Tag abgreifen. Wie wir es heute Morgen gemacht haben. Und wissen Sie was? Morgen ist der Parkplatz dann voll mit lauter neuen Gesichtern.«

      »Wenn ich aufhören soll, Tagelöhner einzustellen, tue ich das«, sagte Jack.

      »Das meine ich gar nicht. Sie sollten sich nur bewusst sein, dass Sie gegen das Gesetz verstoßen. Es gibt jede Menge legale Arbeiter, die Sie einstellen könnten. Auch jede Menge Mexikaner, wenn die Ihnen lieber sind.«

      »Hören Sie, er hat gesagt, er hätte eine Green Card.«

      »Er hatte eine. Gefälscht.«

      »Würde ich nicht erkennen«, sagte Jack.

      »Ehrlich gesagt, wenn ich nicht wüsste, worauf man achten muss, hätte ich es auch nicht erkannt«, sagte Dreier. »Aber es war eine Fälschung, und ›Eugenio‹ hält sich illegal bei uns auf. Sie haben Glück gehabt: Manche der Typen sind kriminell und knöpfen ihren Auftraggebern das Geld ab, oder Werkzeug oder was auch immer. Ihr Mann war sauber. Wer weiß, vielleicht heißt er sogar wirklich Eugenio.«

      Jack atmete tief ein. »Und was wird jetzt aus ihm?«

      »Er wird in ein, zwei Tagen abgeschoben.«

      »Und was passiert mit mir?«

      »Nichts.«

      »Nichts?«

      »Ganz genau. Ich bin ehrlich zu Ihnen: Mir fehlt die Zeit, jeden Handwerker hochzunehmen, der billige Arbeitskräfte beschäftigt. Und in diesem Fall haben Sie jemanden erwischt, der behauptete, eine Green Card zu haben und sie sogar bei sich trug. Das ist die Mühe nicht wert.«

      »Und was ist das?« Jack deutete auf die Seiten.

      »Oh, das? Das ist Ihre Akte. Keine Einträge.«

      Jacks Schultern sackten nach unten. Erst jetzt merkte er, wie angespannt er gewesen war. Er richtete sich auf. »Vermutlich sagen Sie mir jetzt, dass ich in Zukunft aufpassen soll.«

      »Das ist wohl nicht nötig. Sie haben es kapiert.«

      »Kann ich dann gehen?«

      »Können Sie.«

      Jack erhob sich, Dreier ebenfalls. Er hielt Jack die Hand hin, er schlug ein. »Ich finde den Weg«, sagte er.

      »Macht es Ihnen was aus, wenn ich Sie trotzdem begleite?«

      »Kann ich Sie davon abhalten?«

      Sie durchquerten wieder den langen Korridor. In der Eingangshalle herrschte Eile und Gedränge. Cops und Kriminelle. Opfer. Das Licht fiel in großen Rechtecken auf den gefliesten Boden, Jack blieb mitten in einem stehen.

      »Passen Sie auf sich auf, Mr. Searle«, sagte Dreier. »Hoffentlich kreuzen sich unsere Wege nicht noch einmal.«

      »Das hoffe ich auch.«

      Jack verließ das Polizeirevier und kehrte zu seinem Truck zurück. Es war fast fünfzehn Uhr.

       7

      Das Polizeirevier im Zentrum von Nuevo Laredo, eins von mehreren in der Stadt, war nicht groß. Es mochte Gründe dafür gegeben haben, die Reviere dort einzurichten, wo sie waren, aber sie wirkten fast wie zufällig verteilt, die Zuständigkeiten überschnitten sich, die Lücken wurden von der Armee und der Bundespolizei, der Policía Federal, gefüllt. Der Eingang zum Gebäude war mit Betonpfeilern und Stacheldraht geschützt. Auf einigen Fenstersimsen lagen Sandsäcke.

      Als ein dünner Mann in Arbeitskleidung das Revier betrat, bemerkte Gonzalo Soler ihn nicht gleich. Auf Gonzalos Schreibtisch stapelten sich Akten, jede verlangte seine Aufmerksamkeit, und er musste entscheiden, welche warten konnte und welche Priorität hatte. Als Polizist war er fast so etwas wie ein Arzt, der Verwundete nach Dringlichkeit einordnet. Gonzalo konnte nicht allen Akten die gleiche Aufmerksamkeit widmen, gab sich aber Mühe, zumindest einen Blick in jede zu werfen.

      Pepito Barriga bemerkte den Mann zuerst. »Ach, verdammt.«

      Gonzalo sah zu seinem Kollegen hinüber. »Was ist los?«

      »Dieser Typ ist wieder da«, sagte Pepito. »Er war schon gestern hier, und vorgestern. Ich hab ihm gesagt, er soll nach Hause gehen und dort bleiben, aber er hört einfach nicht auf mich.«

      Jetzt sah auch Gonzalo den Mann. Er war so dünn, dass er kurz vor dem Verhungern zu stehen schien, und trug eine zerschlissene braune Arbeitskluft, die sich seiner sonnengebräunten Haut angeglichen hatte. Insgesamt machte er den Eindruck einer wettergegerbten,


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