Inklusive Bildung. Группа авторов
gender mainstreaming) etwa kommt das Bemühen zum Ausdruck, alle sozial- und bildungspolitischen Maßnahmen des Staates unter die Maxime von mehr Teilhabegerechtigkeit zu stellen (vgl. dazu Wacker 2011). Damit ist eine Gesamtstrategie angesprochen, die sich auf alle gesellschaftlichen Bereiche bezieht und Gleichstellung in der Gesellschaft im Sinne von nachhaltigen Entwicklungen ständig im Blick hat. Disability bezeichnet in diesem Kontext nicht in erster Linie die »Unfähigkeit« einer Person und deren Ursachen, sondern vielmehr die Hindernisse für die Entfaltung von Fähigkeiten (ebd., S. 9). Für die inklusive Bildung folgt daraus, dass hier nicht nur ein pädagogisches Problem zu lösen ist, sondern vielmehr sämtliche Interaktions- und Steuerungsprozesse in Bildungseinrichtungen auf den inklusiven Prüfstand gestellt werden sollen. Darüber hinaus lässt sich disability mainstreaming nicht mehr nur auf die Bildungseinrichtung selbst reduziert umsetzen. Eine Verortung entsprechender Maßnahmen im Sozialraum der Einrichtung gilt inzwischen als unumstritten. Die Behindertenhilfe insgesamt wird derzeit unter dem Aspekt der Sozialraumorientierung neu konzipiert, da deutlich geworden ist, dass eine inklusive Gesamtorientierung nicht nur über eine Gesetzesänderung geleistet werden kann (ebd., S. 13). Inklusive Bildung wird hier zum Bestandteil einer regionalen Infrastruktur für Menschen mit Behinderung und bleibt auf lebendige Austauschprozesse zwischen Bildungseinrichtungen und dem sozialen Kontext angewiesen. Elisabeth Wacker hat dazu ein Entwicklungsprogramm vorgestellt, in dem über die Aufmerksamkeit für Ressourcen (Schritt 1), die Identifizierung von Handlungsfeldern (Schritt 2) und die Erprobung von Modellen (Schritt 3) schließlich das übergreifende Ziel des disability mainstreaming erreicht werden soll.
Eine mögliche Fundierung erfährt das Konzept der inklusiven Bildung ebenfalls durch den Ansatz der Care-Ethik (vgl. dazu Wunder 2011). Aus der Praxis der sozialen Arbeit und aus feministischen Positionen heraus entstanden, weist die Care-Ethik auf den Aspekt der Achtsamkeit und Sorge im Klientel-Bezug hin. »Care« meint soviel wie »Angewiesenheit des Menschen auf den anderen und auf dessen achtsame Zuwendung« (vgl. dazu ebd., S. 21). Mit »Achtsamkeit« ist wiederum eine Grundhaltung gemeint, die die »Verbundenheit aller Menschen« (ebd.) und eine »sorgende Aktivität gerade bei Ungleichheit der Kommunikationspartner« (ebd.) anstrebt. Die Qualität der Beziehung zu Kindern mit Behinderung stellt deshalb die Basis inklusiver Bildung dar. Aus ihr und den Bedürfnissen der Beteiligten entsteht gleichsam das inklusive Bildungsangebot. Für die innere Haltung des Care-Gebers sind vor dem Hintergrund der Care-Ethik folgende Kriterien bedeutsam:
1. Attentiveness (Aufmerksamkeit) im Sinne von Offenheit und Zugewandtheit zum Anderen,
2. Responsibility (Verantwortlichkeit) im Sinne der Bereitschaft, Sorge für Andere zu übernehmen,
3. Competence (Kompetenz) im Sinne der Bereitschaft, eigene Grenzen zu akzeptieren und professionelle Hilfe geben zu können,
4. Responsiveness (Empfänglichkeit) im Sinne der Bereitschaft zur Nähe.
Gleichzeitig ist Care (nur unzureichend übersetzt mit dem deutschen Wort »Sorge«) abzugrenzen von einseitigen Abhängigkeitsverhältnissen. Die US-amerikanische Philosophin und Mutter einer Tochter mit Behinderung, Eva Kittay, spricht hier von einer »inversen Abhängigkeit«:
»Der Gebende ist auch abhängig vom Nehmenden. Die Ungleichheit sollte nicht weggeredet werden, sondern im Gegenteil zum Ausgangspunkt der eigenen Reflektion werden« (ebd., S. 22).
Die Verletzlichkeit des Menschen – und zwar nicht nur des Menschen mit einer Behinderung – wird hier zum Ausgangspunkt einer »bescheideneren Philosophie« (Kittay 2006). Die philosophischen Grundlagen einer inklusiven Bildung müssen deshalb so konzipiert sein, dass auch in der Theorie, in den Grundbegriffen und Grundannahmen, bereits der Ausschluss und die Aussonderung verhindert werden. Inklusive Bildung ist im Sinne der Care-Ethik getragen von einer achtsamen Zuwendung zum Anderen. Dieses Prinzip gilt im Übrigen für alle Menschen.
Im Ansatz der diversity education (Genishi & Goodwin 2008; Prengel 2011; Winzer 2009) wird die Heterogenität der Kinder und Jugendlichen zum Reichtum des Bildungsangebotes. In dem US-amerikanischen Slogan »Celebrate Diversity« kommt diese neue Herangehensweise an die Unterschiedlichkeit von Kindern und Jugendlichen zum Ausdruck. Annedore Prengel hat bereits in ihrer »Pädagogik der Vielfalt« (1995) auf die Bedeutungsvielfalt des Begriffs Heterogenität hingewiesen. Gerade unter dem Einfluss von Konzepten der Menschenrechtsbildung, der diversity education und der demokratischen Erziehung zeigt sich, dass Heterogenität mehrere Bedeutungsebenen umfasst:
1. Heterogenität als Verschiedenheit im Sinne von Unterschieden zwischen Kindern aufgrund ihres Alters, ihrer sozialen und kulturellen Herkunft, ihrer Geschlechtszugehörigkeit usf.,
2. Heterogenität als Vielschichtigkeit im Sinne von vielfältigen Substrukturen innerhalb einer Person oder Gruppe,
3. Heterogenität als Veränderlichkeit im Sinne von prozessualen und dynamischen Entwicklungen innerhalb von Personen oder Gruppen und
4. Heterogenität als Unbestimmbarkeit im Sinne von unbegreiflichen und nicht benennbaren Aspekten einer Person oder Gruppe (Prengel 2011).
Trotz dieser Unterschiede (oder gerade wegen dieser Unterschiede) garantieren demokratische Gesellschaften ihren Mitgliedern Gleichheit im Sinne von gleichen Rechten auf Teilhabe an den Ressourcen einer Gesellschaft (z. B. die UN-Kinderrechtskonvention). Inklusive Bildung wird bestimmt von diesem Spannungsverhältnis zwischen Gleichheit und Verschiedenheit und bedarf der »Denkfigur der »egalitären Differenz«« (ebd., S. 36), wie sie in Theodor W. Adornos kritischer Sozialphilosophie zum Ausdruck kommt:
»Eine emanzipierte Gesellschaft jedoch wäre kein Einheitsstaat, sondern die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen. Politik … sollte … den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann« (Adorno 2001, S. 184f.).
Im Rahmen inklusiver Bildung gilt es, den Zusammenhang von Gleichheit und Verschiedenheit auf allen Ebenen des Bildungssystems immer wieder neu auszubalancieren.
So wird inklusive Bildung bezogen auf Kinder mit Behinderung letztlich einer demokratischen Bildungskonzeption verpflichtet sein, wie sie der amerikanische Erziehungswissenschaftler John Dewey (1859–1952) in seiner Vorstellung von Demokratie zum Ausdruck gebracht hat. Damit einher geht eine sozialphilosophische Grundlegung inklusiver Bildung im Rahmen einer kritisch-pragmatistischen Konzeption (Dewey 1916/1993). Dewey bezeichnet es als Aufgabe der Demokratie, Erfahrungen hervorzubringen, an denen alle teilhaben und zu denen alle beitragen können (Dewey 1939/1988). Inklusive Bildung wird für Kinder mit Behinderung erst dann erfahrbar, wenn sie nicht nur teilhaben, sondern auch etwas beitragen können.
Damit entsteht auch Anschlussmöglichkeit an die Erweiterung des Teilhabekonzepts um den Aspekt der »Teilgabe«. Von Marianne Gronemeyer in die sozialwissenschaftliche Diskussion eingeführt (Gronemeyer 2002/2009), stellt der Aspekt der Teilgabe die doppelseitige Struktur gesellschaftlicher Partizipationsprozesse heraus:
»Teilgabe meint, dass jedes Mitglied einer Gesellschaft seinen Beitrag zur Gestaltung des gesellschaftlichen Miteinanders in allen Fragen, die sein Leben betreffen, leisten kann« (ebd., S. 79).
Auf die Heil- und Sonderpädagogik bzw. die Behindertenhilfe übertragen macht die Verbindung von Teilhabe und Teilgabe deutlich, dass Menschen mit Behinderung aktiv an der Inklusion beteiligt sein müssen und selbst etwas geben wollen. In ersten Studien zur Teilhabeforschung bei Menschen mit Behinderung (Krope et al. 2009) zeigt sich überdies, dass bei den Bemühungen, die Teilhaberechte von Menschen mit Behinderung zu erfüllen, häufig ihre Teilgabebedürfnisse gar nicht wahrgenommen werden.
Inklusion bedeutet demnach, eine neue Form des Miteinanders zu kreieren, in der Prozesse des Voneinander-Lernens – und zwar aller Beteiligten – möglich werden. Zugleich macht der Durchgang durch neuere Ansätze einer inklusiven Bildung deutlich, dass wir hier zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch von einer konzeptionellen Suchbewegung ausgehen müssen. Zielsetzung wäre ein Konzept humaner Bildung, wie es Julian Nida-Rümelin auf der Grundlage einer praktischen Philosophie entwirft:
»Bildung leistet nur dann einen Beitrag zur Humanisierung der Gesellschaft, wenn sie von Respekt gegenüber unterschiedlichen Lebensformen, Kulturen, sozialen und