Inklusive Bildung. Группа авторов
Wir danken Frau Dr. Juliane Aulinger, Leiterin der Unterrichtsmitschau der LMU, und Herrn Dipl. Soz. Maxime Pedrotti für die Unterstützung bei der Umsetzung des Vorhabens. Ebenfalls vielen Dank an Charlotte Demmel für die Transkription des Gespräches. Bei der Transkription wurde darauf geachtet, den Dialogcharakter weitestgehend zu erhalten. Zur besseren Lesbarkeit ist bei Personen- oder Personengruppenbezeichnungen die männliche Bezeichnung des Wortlauts beibehalten bzw. auf geschlechtsneutrale Bezeichnungen ausgewichen worden. Es sind jedoch in jedem Fall beide Geschlechter gemeint.
Ulrich Heimlich: | »Ich darf sie recht herzlich begrüßen zu unserer Gesprächsrunde ›Inklusive Bildung im Dialog‹. Ich möchte zunächst vorschlagen, dass wir uns kurz vorstellen.« |
Ewald Kiel: | »Mein Name ist Ewald Kiel und ich leite den Lehrstuhl Schulpädagogik an der LMU München und bin selbst fünf Jahre Gymnasiallehrer gewesen an einer nicht inklusiven Schule.« |
Rudolf Tippelt: | »Mein Name ist Rudolf Tippelt, ich hatte den Lehrstuhl für Allgemeine Pädagogik und Bildungsforschung von 1998 bis 2016 hier an der LMU München inne und bin seit Oktober 2016 im sogenannten Ruhestand, war vorher an den Universitäten Freiburg und Heidelberg, bin aber nach wie vor recht aktiv, auch bei uns an der LMU, zum Beispiel in der Organisation des Seniorenstudiums und auch des Studium Generale, arbeite auch an meinem Lehrstuhl weiter, vor allem im Bereich von Promotionen und Habilitationen. Ansonsten leite ich auch noch einige »Wissenschaftliche Beiräte« oder auch Kuratorien (z. B. des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung, der WIFF-Initiative am Deutschen Jugendinstitut, des Leibniz Instituts für Bildungsprozesse über die Lebensspanne – LifBi), aber ich versuche mich gerade etwas zurückzuziehen.« |
Ulrich Heimlich: | »Mein Name ist Ulrich Heimlich, ich habe hier an der LMU den Lehrstuhl für Lernbehindertenpädagogik inne. Ich bin selbst zehn Jahre im Schuldienst in verschiedenen Förderschulen gewesen, habe also Schulpraxis erfahren und bin jetzt seit über zwanzig Jahren tätig im Bereich der Integrations- beziehungsweise Inklusionsforschung. Und das ist auch heute unser Thema. Seit 2009 ist in Deutschland die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen in Kraft. In Artikel 24 heißt es, dass sich die Vertragsstaaten auf ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen verpflichten. Wir sind im Jahre acht nach Inkrafttreten der Konvention, alles redet über inklusive Bildung. Die Frage, die wir heute hier besprechen wollen, ist: Was ist das eigentlich, inklusive Bildung?« |
Ewald Kiel: | »Soll ich anfangen? Gut, zunächst einmal gibt es keinen eindeutigen Begriff, was inklusive Bildung ist. Wenn man sich die Handbücher anschaut, die zu diesem Thema gemacht werden – jeder definiert den Begriff Inklusion anders, jeder sucht seinen eigenen Weg zum Begriff. Wenn ich ein schulsystemisches Modell anlegen würde, würde ich sagen, wir brauchen auf der einen Seite personale Kompetenzen. Dazu gehört so etwas wie ein humanistisches Ethos, potenzialorientiert, nicht defizitorientiert. Es geht darum, ein Mandat für die Menschen zu ergreifen, die sich nicht selbst artikulieren können. Andererseits brauchen wir aber auch ganz zweckrationale Kompetenzen. Wie kann ich deeskalieren mit verhaltensauffälligen Schülern? Ich muss etwas über Störungsbilder, über Teilleistungsstörungen wissen, das ist ganz wichtig. Ich bin ja von der Regelschule und nicht von der Sonderpädagogik. Wir brauchen bestimmte Interaktionskompetenzen, wir müssen die Interaktion in der Schule, das soziale Leben, anders gestalten, auf unterschiedliche Art und Weise, dass auch diejenigen, die Hilfe brauchen, unterstützt werden können von den anderen und dabei nicht exkludiert werden. Und wir brauchen schulstrukturelle Kompetenzen, es ändert sich eine ganze Menge in der inklusiven Bildung. Es wird immer mehr dahingehen, dass wir multiprofessionelle Teams haben, dass Leute aus dem Pflegebereich, Sozialpädagogen und Therapeuten mit Regelschullehrern zusammenarbeiten. Diese multiprofessionellen Teams zu entwickeln und zu begleiten wird auch nicht einfach sein. Das heißt, wir brauchen von der individuellen personalen Ebene bis zur strukturellen Ebene unterschiedliche Kompetenzen, um inklusive Bildung möglich zu machen.« |
Ulrich Heimlich: | »Wie würden Sie es aus der Allgemeinen Pädagogik heraus betrachten, Herr Tippelt?« |
Rudolf Tippelt: | »Ich kann mich Vielem anschließen, zunächst was die Kompetenzen betrifft. Ich würde vielleicht noch Folgendes ergänzen wollen aus der Sicht der Allgemeinen Pädagogik: Inklusive Bildung ist ein Anspruch an die Schule, aber eben auch an die frühkindliche Bildung. Es ist ein Anspruch in der beruflichen Bildung, es ist ein Anspruch an die Erwachsenen- und Weiterbildung, es ist ein Anspruch an die Hochschule, also über die gesamten Bildungsprozesse über die Lebensspanne ist es ein Anspruch, den wir versuchen müssen, organisational zu realisieren, aber auch aufgrund der personalen Kompetenzen der Pädagogen, die dort jeweils tätig sind, bessere Bedingungen zu schaffen für inklusive Bildung. Für mich als Allgemeiner Pädagoge ist der Begriff ein Gegensatz auch zur Exklusion, zur Ausgrenzung, zur Stigmatisierung von Bevölkerungsgruppen, insofern ein Begriff der Menschenrechtspädagogik. Es geht darum, allen in unserer Gesellschaft eine maximale und optimale Möglichkeit der Realisierung ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu gewährleisten, sowohl individuell als auch in den Institutionen. Es gibt auch einen nicht-institutionellen Bereich von Erziehung und Sozialisation, aber wir reden hier jetzt in erster Linie über die Institutionen und über die Menschenrechte, die mit der Inklusion für alle verbunden sind.« |
Ulrich Heimlich: | »Aus sonderpädagogischer Sicht kann ich ergänzen, dass wir ein bisschen Sorge haben im Augenblick, dass eben Schüler mit Behinderungen bzw. Kinder und Jugendliche mit Behinderungen in dieser Bildungsvorstellung noch nicht mitgedacht sind. Ich habe den Eindruck, dass Bildung in unserem Bildungssystem häufig von der gymnasialen Bildung aus gedacht wird und dann sozusagen heruntergebrochen wird auf andere Bildungsniveaus. Genauso stellt sich die Frage im Bereich der frühkindlichen Bildung, wenn wir Kinderkrippen anschauen: Ist das, was dort stattfindet, auch Bildung oder ist das eher Betreuung? Also, ich würde mir im Augenblick wünschen, dass wir Bildung auch ein bisschen mehr von den Grenzen unserer Arbeit her sehen, was Entwicklungsvoraussetzungen beim einzelnen Kind angeht, aber auch was im Bildungssystem Bereiche angeht, die jetzt nicht im zentralen Sinne von vornherein mit Bildung gleichgesetzt werden. Kann man sagen, aus der Sicht der Schulpädagogik, dass Kinder und Jugendliche mit Behinderungen hier schon mitgedacht sind?« |
Ewald Kiel: |
»Nein. Da würde ich eindeutig Nein sagen. Ich will das an einer Anekdote verdeutlichen. Wir machen Anforderungsanalysen und fragen Lehrkräfte verschiedener Schularten, was denn wichtig ist in ihrer Schule, welche Fähigkeiten und Kompetenzen man haben möchte. Und da schildert eine Förderschullehrerin aus einer Kooperationsklasse folgenden Fall: Eine Realschullehrerin soll in der Kooperationsklasse unterrichten, guckt sich zehn Minuten den Unterricht an und sagt: ›Das hab’ ich mir so nicht vorgestellt. Hier unten wollte ich nicht arbeiten.‹ So viel zum Bewusstsein von Regelschullehrern. Das ist natürlich nicht bei allen so, das ist keine Frage, aber gerade im gymnasialen Bereich, bei Realschullehrern, die verstehen sich ganz wie die Gymnasiallehrer als Fachvermittler, als Fachvertreter. Und da muss auch ein Umdenken stattfinden. Ich denke, inklusive Bildung ist einerseits natürlich eine Veränderung in den Köpfen, das Bewusstsein zu haben über die Menschrechte, die Herr Tippelt angesprochen hat, dass hier ein Recht verwirklich wird, was man nicht einfach abwehren kann, nicht sagen kann ›Das passt mir einfach nicht‹. Man muss aber auch zweckrationale Aspekte berücksichtigen. Wenn wir die Lehrkräfte fragen, gerade nicht die Sonderpädagogen, [sondern] die Regelschullehrer, die sagen: ›Ja, ich bin ja im Prinzip dafür, für die Inklusion, aber mir fehlt es an Kompetenzen, was mache ich denn mit einem verhaltensauffälligen Kind, was ist denn eine Deeskalationsstrategie, wie kann ich denn erkennen, ob ein Kind eine Teilleistungsstörung hat oder nicht?‹ Und wenn von einem Bewusstsein für inklusive Bildung die Rede ist: Die Lehrkräfte wollen nicht nur diese Wertrationalität haben und sagen: ›Du musst einfach dieses humanistische Ethos entwickeln!‹, die wollen sagen: ›Zeigt mir ganz genau, was kann ich tun!‹ Und da müssen wir noch enorme Entwicklungsarbeit leisten, sowohl etwas in den Köpfen zu verändern, aber |