Inklusive Bildung. Группа авторов

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Und mein Nein heißt: Das haben wir bisher noch nicht gemacht. Wir sind dabei, gerade an der LMU auch mit der Qualitätsoffensive Lehrerbildung in diese Richtung im Ausbildungsbereich zu arbeiten, aber da liegt auch noch viel Arbeit vor uns.« Ulrich Heimlich: »Da klingt ja so ein bisschen dieses Thema inklusive Haltung an, also Inklusion hat etwas mit Einstellung, mit Überzeugung, mit Ethos zu tun. Die große Frage, die sich da stellt: Ist das eigentlich lehrbar, eine inklusive Haltung? Kann man das an pädagogisch Tätige weitergeben? Kann man das bei ihnen anregen?« Rudolf Tippelt: »Ich glaube, man kann für eine solche Haltung, andere zu akzeptieren, die etwas anders sind als ich, dieses sehr individuelle Denken, jeden anderen so zu nehmen wie er ist, dafür kann man sensibilisieren in unserer Ausbildung. Ich würde allerdings noch einmal Unterschiede machen zwischen sensibilisieren und etwas praktizieren können. Das erste können wir vielleicht, aber wir tun das noch nicht hinreichend. Dennoch haben wir seit 2010, da würde ich wirklich eine Weiche sehen, begonnen, sehr viel intensiver mit dem Begriff der inklusiven Bildung zu arbeiten. Da war die UN-Behindertenrechtskonvention von großer Bedeutung und hatte ihre Auswirkungen. Das hat dazu geführt, dass wir auch engere Kontakte mit der Sonderpädagogik entwickelt haben und die Sonderpädagogik auch mit der allgemeinen Pädagogik, auch mit der Schulpädagogik und anderen »Pädagogiken«. Das ist wichtig, aber es ist nur dann lehrbar, glaube ich, wenn wir auch in authentische Situationen hineingehen. Das heißt, dass wir uns auch konfrontieren mit einer inklusiven Klasse und die Situation auch erleben. Ich glaube, inklusive Pädagogik kann vor allen Dingen als projektorientiertes Lernen gestaltet werden und braucht Praxisphasen, damit das nicht nur eine theoretische Überlegung bleibt, die also entweder normativ oder wertrational ist, wie Herr Kiel richtig sagt, sondern dass man auch weiß ›Wie reagiere ich eigentlich darauf?‹ Und man kann dann auch an den eigenen Reaktionen arbeiten. Das halte ich für sehr wesentlich. Und so kann man es dann, glaube ich, auch unterrichten, denn wir müssen weg von einer Haltung – das können wir durchaus an der Universität befördern –, dass jeder, der irgendwelche Leistungen nicht erbringt, sofort in eine Sondereinrichtung muss – und heraus aus dem Regelbetrieb. Das ist eine Form von Diskriminierung. Diese Einsicht kann man Studierenden vermitteln, dass das so nicht gehen kann in einem humanen Bildungssystem.« Ulrich Heimlich: »Das bedeutet ja eigentlich, dass wir in der Konsequenz auch aus der UN-Behindertenrechtskonvention unsere Modelle von Qualifizierung und Professionalisierung für pädagogisch Tätige ändern müssen. Es gab ja die Tagung 2013 in Berlin »Professionalisierung für inklusive Bildung«, bei der auch dieses Thema in den Vordergrund gestellt worden ist. Welche Auswirkung hat die UN-Konvention auf unsere Modelle von pädagogischem Studium, möglicherweise auch von Lehrerbildung?« Ewald Kiel: »Ich würde gleich bei dem anfangen, was Herr Tippelt gesagt hat. Er sprach von Projektorientierung. Ich denke, wir brauchen einen Kontakt der Lehrkräfte, gerade in den Regelschulen, mit Schülern, die inklusiven Herausforderungen ausgesetzt sind. Ein Gymnasiallehrer hat keine Ahnung, was das bedeutet, in einem Kontext mit Schülern mit Behinderungen zu arbeiten, es sei denn im Bereich Körperbehinderung oder ähnlichen Beeinträchtigungen. Das heißt für die Lehrerbildung, wir müssten die Praktika verändern, wir müssen es in Praktika möglich machen, dass Studierende in Kontakt kommen, auch mit schwierigen Situationen, und gleichzeitig aber auch begleitet werden und nicht sagen: ›Uhh, das will ich jetzt unter gar keinen Umständen.‹ Denn man muss ja bedenken, Studierende gehen da mit bestimmten Erwartungen in die Profession hinein, und Gymnasiallehrkräfte verstehen sich sicherlich eher als Fachvermittler, die wollen nicht betreuen, nicht begleiten, sondern die verstehen sich als Romanisten und Germanisten und nicht als Deutschlehrer oder Französischlehrer. Ein anderer Punkt ist, der sicherlich eine große Rolle spielt, zu erkennen, was los ist bei den Schülern. Wir haben ja auch in anderen Kontexten die Forderung, diagnostische Kompetenzen von Lehrkräften zu steigern, oder andererseits wie hier in Bayern den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst hereinzuholen, dass ich mir also jemanden mit der entsprechenden Kompetenz in die Schule hereinholen kann. Das ist ein anderer Punkt, der in der Ausbildung eine große Rolle spielt. Und ein dritter wichtiger Punkt, denke ich, ist auch, dass die Schule sich verändert. Ich begleite Schulentwicklungsprozesse hier in München. Wenn ich da an meine eigene Schulzeit denke, da war der Gymnasiallehrer Gymnasiallehrer und hatte mit den Eltern, den Schülern und den Kollegen zu tun. Heute müssen die Schulen sich öffnen. Man braucht Institutionen unterschiedlichster Art: Therapeuten, die hereinkommen, Pflegeberufe, die hereinkommen, oder man versucht die Eltern in Bildungscafés zu erreichen, ›hard to reach-parents‹, die wir ja nicht nur im Behinderten-Bereich haben. Die haben wir auch in anderen Kontexten. Das heißt, die Rolle von Lehrkräften ändert sich radikal. Sie sind nicht mehr Wissensvermittler, sondern Begleiter, Unterstützer, die an der Öffnung der Schule mitarbeiten, die auch entsprechende Kompetenzen haben, zumindest wissen, wen sie ansprechen können, wenn sie Probleme haben. Ich kann die Kompetenzen von Lehrkräften jetzt nicht extrem ausweiten, wobei mehr diagnostische Kompetenzen sicherlich wünschenswert wären. Aber sie müssen wenigstens wissen, wen sie ansprechen können. Und wir brauchen Strukturen, die sie ansprechen können. Und da finde ich, ist die Situation in Bayern nicht schlecht. Ich mag den Mobilen Sonderpädagogischen Dienst sehr, das gibt es in vielen Bundesländern nicht, da können wir stolz darauf sein.« Ulrich Heimlich: »Ich glaube auch, dass der Mobile Sonderpädagogische Dienst unverzichtbar ist. Wie würden Sie, Herr Tippelt, sagen, sieht das in den anderen pädagogischen Arbeitsfeldern aus, über die Schule hinaus? Wie ändert sich Professionalisierung für die anderen pädagogischen Arbeitsfelder möglicherweise?« Rudolf Tippelt: »Also im Bereich inklusiver Bildung, wenn wir an Professionalität und Professionalisierung denken, ist meines Erachtens noch enorm viel zu tun, obwohl das jetzt schon sechs, sieben Jahre andauert, dass wir darüber nachdenken und es Modellprojekte gibt. Es ist in der Regelschullehrerausbildung noch nicht vollständig angekommen. Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Herr Kiel hat es richtig gesagt, die Lehrkräfte müssen sich an Multiprofessionalität gewöhnen: nicht nur das eigene Fach, nicht nur die eigene Domäne, nicht nur den eigenen Bereich vor Augen zu haben, sondern bereit zu sein, auch mit Therapeuten, mit Sozialpädagogen und dann vor allen Dingen mit Sonderpädagogen eng zusammen zu arbeiten. Sonderpädagogik ist für viele immer noch ein Fremdwort. Auch hier ergibt sich eine Aufgabe der Professionalisierung für inklusive Bildung und da sind wir, aus meiner Sicht, noch am Anfang. Wie kann das gehen an der Hochschule? Man kann auf keinen Fall, was ja manche glauben, die sonderpädagogischen Fachbereiche auflösen und sie sozusagen in alle anderen Teilbereiche der Lehrerbildung integrieren. So nicht! Es kann nur so gehen, dass die hohe Expertise der Sonderpädagogen stärker hereingeholt wird in die frühkindliche Bildung, in kooperative Lehrveranstaltungen oder zumindest in einige Vorträge zu diesem Feld und in Praktika, die in diesem Bereich stattfinden. Das Gleiche gilt im Schulbereich, das Gleiche in der beruflichen Bildung, in der Erwachsenenbildung und auch in der Hochschule. Die Hochschullehrer sind ja auch nicht wirklich vorbereitet auf inklusive Bildung. Da gibt es viel zu tun, vor allen Dingen durch ein interdisziplinäres, kooperatives Lernen. Und da haben die Sonderpädagogen auf der einen Seite eine hohe Verantwortung und sollten eine hohe Bereitschaft zeigen. Jetzt sag ich mal was Kritisches zu den Sonderpädagogen! Sie sollten sich nicht nur immer auf ihr Feld zurückziehen und auf ihre Zielgruppen, sondern es auch anderen vermitteln. Und auch wenn ein paar Widerstände kommen, sollte das nicht als Angriff gewertet werden, sondern als eine Form von Aufklärung. Ich halte das für sehr bedeutsam, dass hier die Zusammenarbeit intensiviert wird – im Interesse der Professionalität. Wichtig ist vielleicht noch – und das gehört ebenfalls zur Professionalität, auch wenn das ein organisatorischer Hinweis ist –, dass wir dann in den unterschiedlichen Bereichen auch immer so viel Personal haben, dass nicht die eine oder die andere Gruppe plötzlich das Gefühl hat, sie muss sich unterordnen, irgendeinem Lerntempo zum Beispiel, sondern dass wir die Möglichkeit der Differenzierung haben, das heißt, ich glaube, Professionalisierung bedeutet auch, in der Lage zu sein, zu differenzieren an bestimmten Punkten. Das ist aber personalintensiv in Schulen, in Behörden, in der beruflichen Bildung und auch in der Weiterbildung
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