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ein Team braucht Regeln. Ein regelloses Team, wo alle nicht-hierarchisch miteinander kommunizieren, ich hab’ das vorhin schon angedeutet, und wo jeder einen Platzkampf führt um die Frage, wer jetzt der kompetentere ist, ist nicht produktiv. Also das heißt, Teams brauchen eine Organisationsstruktur, die Kompetenzen müssen deutlich sein, wir brauchen Transparenz, wie Prozesse in Teams zustande kommen und wir brauchen auch so etwas wie Gratifikationen. Teams leben auch von Gratifikationen. Es geht also auch darum, dass wir eine Gratifikationsstruktur in den Teams haben. Wenn jetzt zum Beispiel der Sozialpädagoge immer übergangen wird, dann wird er keine Lust mehr haben, dort in diesem Bereich mitzuarbeiten. Und diese Idee der Transparenz, der Organisation, der Regel, der Struktur, der Gratifikation, gilt für jedes Team, auch in der Wirtschaft. Und ich beharre noch einmal darauf: Es muss jemanden geben, der das letzte Wort hat. Sonst funktionieren Teams nicht. Das ist meine Erfahrung in den Schulentwicklungsprozessen, die ich in München immer wieder mache. Es kann nicht immer so sein, dass wir sagen ›Wir sind alle gleich‹ und ›Wir sind alle nett zueinander‹ und ähnliches. Das sind wir dann nämlich nicht. Es gibt eine Letztverantwortung in einem Team und die muss auch geregelt sein.«
Ulrich Heimlich:
»Ich wollte nur darauf hinweisen, dass es auch unsere Erfahrung in der Begleitung von inklusiven Schulen, zum Beispiel in unserem Begleitforschungsprojekt zur inklusiven Schulentwicklung hier in Bayern, war, dass die Schulleitung eine ganz entscheidende Rolle spielt. Und das gilt auch für Kindertageseinrichtungen. Leitungen von Einrichtungen können viele Impulse setzen, können Mitarbeiter unterstützen, können auch Strukturen schaffen und insgesamt eine positive Konnotation schaffen für das Thema Inklusion oder auch nicht. Und insofern ist das auch eine ganz interessante Gruppe im Sinne der Begleitung und auch im Sinne der Weiterbildung.«
Ewald Kiel:
»Noch ein wichtiger Punkt dazu. Wenn ich das noch sagen darf, das Thema Qualifikation. Wir haben ja gerade in inklusiven Schulen Schulbegleiter. Das ist für mich ein großes Thema, dass Schulbegleiter häufig nicht qualifiziert sind für das, was sie tun. Auch in den Analysen, die ich gerade angesprochen habe, schildert ein Sonderpädagoge beispielsweise: ›Dann gibt es Paul, arbeitsloser Grafiker, sechzig Jahre alt, Schamane. Und Paul fühlt sich in der Lage, mit Autisten umzugehen. Das halte ich nicht für gut. Also dieser Paul darf nicht in die Schule, und das ist eine Schwierigkeit‹. Teams funktionieren auch nur, wenn ein Kompetenzlevel vorhanden ist, das von allen in ihren Bereichen jeweils gegenseitig akzeptiert wird. Und für mich ist zum Beispiel die Schulbegleitung ein ganz kritischer Punkt in multiprofessionellen Teams. Ich finde, es ist eine Schande, dass es dafür keine vernünftige Qualifikation gibt.«
Ulrich Heimlich:
»Es ist sicherlich ein riesiges Problem, woran dringend gearbeitet werden müsste, an der Qualifikation.«
Rudolf Tippelt:
»Die Bedeutung der Leitung von Bildungseinrichtungen kann ich auch noch einmal unterstreichen. Ich glaube, wir brauchen bestimmte Leitungsstile oder Führungsstile, wir würden es theoretisch transformationale oder ethikorientierte Führungsstile nennen. Der Grundgedanke ist dabei, dass die Mitarbeiter, und übrigens auch die Eltern, eine Rolle spielen für den Ablauf in der jeweiligen pädagogischen Einrichtung. Und, was mir für Leitungen besonders wichtig ist, gerade im Kontext von inklusiver Bildung, dass es nicht nur in einer Einrichtung und in diesen Teams, möglicherweise auch multiprofessionellen Teams, darum geht, das Wissen über Störungen, über Benachteiligungen, über Behinderungen zu erhöhen. Es geht auch darum, mit den Haltungen, mit den Einstellungen, mit den Ängsten der Mitarbeiter zu arbeiten. Das gilt übrigens auch im Umgang mit den problematischen Haltungen, die man sich dann auch eingesteht, es darf kein Tabu geben, dass jemand sagt: ›Der macht mir Angst, wenn der hereinkommt.‹ Das muss man einmal sagen können, aber das muss bearbeitbar sein in einer Fortbildung, insbesondere in einer teamorientierten Fortbildung. Sonst haben wir so eine Werteglocke und lauter Tabus und da würden sich die Probleme nur aufsummieren. Also wir brauchen eine Stimmung, eine Atmosphäre, in der diese Tabus eingerissen werden, nicht akzeptiert werden, wo auch Ängste, wo auch problematische Haltungen zur Sprache kommen, ohne dass die Person gleich mit Nachteilen rechnen muss. Da geht es um Bearbeitung auch von solchen Haltungen, und das kann eine Leitung und eine Führung herbeiführen.«
Ewald Kiel:
»Und das ist zugleich eine große Gefahr, gerade im Bereich der Inklusion. Gerade wenn wir über das richtige Ethos reden nach dem Motto: ›Nein, Du hast noch nicht das richtige Bewusstsein, da musst du noch daran arbeiten.‹ Das hört man dann besonders gerne, diese Vorwurfshaltung. Und man darf ja nicht vergessen, der ganze Kontext, sowohl in der Praxis als auch in der universitären Ausbildung, ist extrem ideologisch aufgeladen. Es sind ja auch Kolleginnen und Kollegen unterwegs, die ein hohes Maß an Verachtung für andere haben, die nicht das richtige Bewusstsein haben. Wenn ich nur die beiden Richtungen ›full inclusion‹ versus …«
Ulrich Heimlich:
… ›responsible inclusion‹? …
Ewald Kiel:
» … ja genau, ›responsible inclusion‹ sehe, danke. Die einen sagen, wir müssen eine radikale Veränderung des Schulsystems haben. Es kann nur die Einheitsschule geben: gemeinsames Lernen am gemeinsamen Gegenstand am gemeinsamen Ort – unbedingt unter jeder Voraussetzung. Oder auf der anderen Seite Positionen, wie die des Kollegen Hillenbrand in Oldenburg, der sagt, ich kann eigentlich in jedem Schulsystem Inklusion und Förderung betreiben. Und diese ideologischen Kämpfe, die wir zur Zeit haben, die mich sehr ärgern, sind nicht förderlich für diesen Kontext, um Inklusion weiterzuentwickeln. Das muss ich deutlich sagen.«
Ulrich Heimlich:
»Ich denke auch, dass diese Debatte absolut kontraproduktiv ist. Daran krankt die bundesdeutsche Diskussion zur inklusiven Bildung ein bisschen. Wir diskutieren absolut einseitig auf einer konzeptionellen Ebene, auf einer Ebene von Zielvorstellungen und Sollzuständen. Aber wir müssen auch ganz ungeschminkt in die Praxis gucken und die Frage der praktischen Umsetzbarkeit und Umsetzung anschauen. Dieses Spannungsverhältnis wird häufig außer Kraft gesetzt und es wird häufig in eins gesetzt. Es wird über Konzepte gesprochen und es wird so getan, als ob die schulische Realität oder die Realität in Bildungseinrichtungen damit schon gleichzusetzen ist. Das ist sie aber nicht. Und man muss offensichtlich, da wären wir auch wieder bei professionellen Kompetenzen, man muss dieses Spannungsverhältnis offensichtlich aushalten. Das wäre nochmal auch ein Punkt, den wir hier ansprechen sollten: Welche Probleme gibt es denn in der praktischen Umsetzung von inklusiver Bildung? Also wenn wir jetzt zum Beispiel zunächst einmal an Schulen denken.«
Ewald Kiel:
»Ein bedeutsamer Faktor ist dabei das Rollenverständnis von Lehrkräften. Es gibt eine alte Untersuchung von Caselmann aus den 1960er Jahren, glaube ich. Der unterscheidet zwischen den paidotropen Lehrern, die begleitend sind, und den logotropen Lehrern, die sich als Fachvertreter verstehen. Und diese Grenze haben wir eigentlich auch noch heute. Die Gymnasiallehrer sind diejenigen, die sich als Fachvertreter verstehen, die Sonderpädagogen ganz stark als paidotrope Lehrer, die die Menschen unterstützen wollen, die Schätze in den Köpfen heben wollen. Das ist, finde ich, ein ganz entscheidender Punkt, dass diese Parteien auch aufeinander zugehen in diesem Bereich. Jetzt hab’ ich ein bisschen den Faden verloren, was war die Ausgangsfrage?«
Ulrich Heimlich:
»Es ging vor allen Dingen um die Frage, die praktische Umsetzung in den Blick zu nehmen und nicht nur über Konzepte nachzudenken.«
Ewald Kiel:
»Die praktische Umsetzung ist meiner Meinung nach einerseits durch die Ideologiedurchtränkung behindert. Das ist extrem schwierig. Ich finde, sie ist auch dadurch erschwert, dass Pädagogen glauben, politisch die Welt verändern zu können. Das sollten sie nicht tun. Ich denke Erziehungswissenschaftler sollten das tun, was sie können, über Kompetenzen nachdenken, über Strukturen nachdenken und nicht glauben, eine bessere Gesellschaft durch Pädagogik zu schaffen. August Hermann Niemeyer hat vor 200 Jahren einmal diskutiert, ob die Pädagogik Vorreiter für die Gesellschaft sein kann oder umgekehrt. Er war schon vor 200 Jahren pessimistisch, ich bin das heute auch noch. Und wir Скачать книгу