Uwe Johnson. Bernd Neumann
gern erlaubt ihr, daß sie geht.
Leider war man indiskret
(Was nicht zeugt von Pietät!)
und man konnte nicht umhin,
zu bemerken immerhin,
daß die Tante, welche bärtlich,
tat sie küssen äußerst zärtlich.
Wenn man nun mit Pietät
dies zu untersuchen geht,
dann ergibt sich sonnenklar,
daß das wohl ihr Onkel war
(übrigens, der Onkel sächselt)
und sie hat das nur verwechselt.
Und aus dieser Perspektive,
(die wahrscheinlich eine schiefe)
sich mit Deutlichkeit ergibt
(da der halbe Chor verliebt):
daß der halbe Chor verwandt.
Dieser Zustand ist bekannt
als ausschließlich erster Grad,
was vergnüglich, in der Tat.
Ewig dem vor Augen schwebt,
der dies alles miterlebt:
Verwandtschaftliche Pietät
oft wunderliche Wege geht.
Soviel zur poetischen Behandlung erotisch verursachten Neids durch den Abiturienten Uwe Johnson. Eine andere Talentprobe lautete:
Vorbildlicher Lerneifer
oder:
Ich kam, ich sah –: Er siegte
Um nach stattgehabter Kauung
zu befördern die Verdauung,
ging am Abend ich spazieren –
und tat schöne Waldeslüfte
durch die angenehmen Düfte
von der Turf verzieren.
Plötzlich ward mir augenscheinlich
(und es war mir schrecklich peinlich!)
eine Tante und ihr Onkel.
Denn das Wandern ist ergötzlich
und in manchem Sinne nötzlich
in dem Walde, wo es donkel.
Es verdienen alle Achtung
solche, die Naturbetrachtung
noch im Dunkeln unternehmen.
Doch wenn nicht einmal die Sterne
sichtbar sind in weiter Ferne,
spricht man über andre Themen.
Hierbei kann man viele Wissenschaften,
wie z. B. Kü-dunkünste
auf das gründlichste erlernen.
Doch bei aller Pädagogik,
die bezieht sich auf Erotik,
muß ein dritter sich entfernen.
Um das nicht mitanzusehen,
wandte ich mich, wegzugehen
davon ab, von Neid gepeinigt.
Doch daß ihre edle Liebe
(zu dem Lernen) Vorbild bliebe
ewig nur, wird hier bescheinigt.
»In Wessen Leben ging nicht einmal das Wunderbare, in tiefster Brust Bewahrte Geheimnis der Liebe auf!« (E.T.A. Hoffmann, Die Elixiere des Teufels, Band II)
Der dies geschrieben hat, der hatte allerdings seinen Wilhelm Busch gelesen. Und blieb wie dieser im Rahmen des Erlaubten. Von Wedekindscher Jugend-Erotik sind diese Verse weit entfernt. Und doch starren sie gebannt auf »das Wunder der Liebe«, auf daß es sich ereignen möge im Kreis derer, die das gemeinschaftliche Lied verbindet:
Ein Jüngling verliebte sich.
In eine Jungfrau vom Sopran.
Die Jungfrau arg verfärbte sich,
als sie dies vernahm.
Sie ward darob nicht so erfreut,
wie es erwartet und ersehnt.
Drum hat er in der Folgezeit
entsetzlich oft gestöhnt.
Doch hat er redlich sich bemüht
und deutlich ihr gezeigt,
sein Herz sei nur für sie erglüht.
(Das wird von uns bezeugt.)
Als eines Abends nun der Chor
auf offener Bühne stand
und sang dem Publikum was vor,
er starrte an sie. Unverwandt!
Und als der Chor zur Seite ging,
da ist es dann geschehen:
sein Auge an dem Mädchen hing
und – einsam blieb er stehen.
Das Publikum, das dieses sah,
verriet, es sei entzückt.
Der Jüngling war, daß dies geschah
noch tagelang bedrückt.
Ein großes Wunder ist die Liebe.
Wobei nur zu erwähnen bliebe,
daß sie oft wirkt auch lächerlich.
Oh Jüngling! schütze deine Triebe,
doch angestrengt darin dich übe,
sie nicht zu zeigen öffentlich.
Doch sei dir immerhin gedankt,
daß du, indem du lachtest
das Mädchen an (, das auch dir dankt)
– die Leute zum Lachen brachtest!
Das wirkt alles recht konform. Und dennoch enthalten Johnsons gereimte Chor-Gesänge bereits Elemente von Aufbruch und Rebellion. Vage lebt in ihnen bereits die Idee von einem anderen Leben, wie sie in diesen frühen fünfziger Jahren in der »Demokratischen Republik« immer deutlicher spürbar wurde. Von einer solchen Aufbruchszeit wird dann die Babendererde auf ihre Weise handeln. Die am Ende des Erstlings ihre Heimat verlassen, sie hören Jazz. Und auch das »Glaubensbekenntnis« des Abiturienten lautete, ungeachtet all seiner Tiraden gegen den »kosmopolitischen« Jazz im Abituraufsatz, schon damals:
Glaubensbekenntnis
Ja, der Boogie-Woogie, Blues,
»Opus Two« und die Choo-Choos,
kurz gesagt, der ganze Hot,
sind für uns beinahe Gott.
Niemand glaubt, wie wohl das tut,
wenn wir fallen in the mood
bei der schönen Litanei:
wuwu-rabbadibaibom-bubai!
Inschrift auf einem Schultisch:
»Es wird einmal eine Zeit kommen, in der sich der Jazz entgegen allen Vorurteilen im kleinsten Ort durchgesetzt hat.« (sinngemäß)
Drum wir üben in Geduld
unsern Jazzanbetungskult (dschäs)
mit der heil’gen Litanei:
wuwu-
rabbadibaibom-
bubai!!