Uwe Johnson. Bernd Neumann

Uwe Johnson - Bernd Neumann


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Vorgeschichte und der Verstrickung der Eltern in den Nationalsozialismus formulierten. Erkenntnisinteressen, die sich bereits in der Babendererde und dann reich orchestriert in den Jahrestagen finden: Wie werden aus harmlos-»wehrlosen« Kleinbürgern am Ende »Faschisten«? Lukács hat dazu geschrieben:

      Reich entfaltet wird das Motiv der deutschen Wehrlosigkeit in Arnold Zweigs Kriegsromanen aus dem ersten imperialistischen Krieg behandelt. Der Zyklus [...] zeigt auch, wie unter den Bedingungen des preußischen Militarismus aus normalen Kleinbürgern widerliche sadistische Verbrecher herangezüchtet werden. (Lukács, Deutsche Literatur im Zeitalter des Imperialismus, S. 68)

      Uwe Johnson hatte also eine ganze Reihe von Gründen, auch subjektive, seine Aufnahmearbeit für die Universität gerade über Arnold Zweig zu schreiben. Er sah den Zyklus denn auch noch durchgehend mit den Augen eines Lukács-Adepten. Lobte, daß Zweigs Gestalten für »ihre Klasse und Gesellschaftsschicht typisch« seien. Betrachtete als verwirklicht, was große Kunst laut Lukács kathartisch-pädagogisch vom Betrachter fordert: »Du mußt dein Leben ändern.« Man habe, so Johnson, in Zweigs Romanen einen antimilitaristischen Zyklus vor sich, der »jeden Menschen zum Kampf für das Gute in der Welt begeistern« müsse. Das klingt noch schülerhaft. Und weist doch schon auf einen differenzierteren Blick voraus. Zweig lieferte in seinem Zyklus die Analyse des deutschpreußischen Militarismus mit den Mitteln epischen Erzählens. Der Studienbewerber, der in dem Zweig-Aufsatz die Literatur als generelles Mittel zur Humanisierung der Welt auffaßte, zeigte sich beeindruckt von der konkreten Dehumanisierung, wie er sie damals in der eigenen Familiengeschichte erblickt haben mochte. In der Aufnahmearbeit von 1952 geschah mehr, als daß ein angehender Germanist mit Hilfe der analysierenden Aufzählung von Personen und einer Wiedergabe der Handlung unter Beweis stellte, daß er Zweigs umfänglichen Zyklus genau gelesen hat – und daß er ihn als »höhnische Satire auf die Phrasen des ›preussischen Mannestums‹« auffaßte.

      LYRISCHES INTERMEZZO, SOMMER 1952.

       »DER SINGENDE« ODER JOHNSON ALS »SPITTA«

      Der Singende, eine von Ernst Barlachs Plastiken, beeindruckt durch seine glückliche Einfältigkeit. Den gleichen Eindruck erweckt der Abiturient Johnson, wo er Lyrik, vielleicht besser: Gedichte, Gereimtes geschrieben hat. Uwe Johnsons frühe Gedichte waren, im genauen Sinn des Wortes, »Gebrauchslyrik«. Ihnen war aufgegeben, Gemeinschaft im Kreis Gleichgestimmter herzustellen. Stets sind sie dabei auf ferienhafte Umgebung abgestellt. Sie sollten ein Wir-Gefühl möglich machen und die Gemeinschaft des Augenblicks in Gereimtem feiern. Leopold Tober, der heute in Schweden lebende Bruder von Johnsons Schulfreundin Antonie Landgraf, erinnert sich, daß der Schüler Johnson gern sogenannte Katschmarek-Gedichte, also Verse im Slawen-Deutsch, improvisierte. Auch diese stellten Unterhaltung für eine Gemeinschaft dar. Sie konnten lauten: »Gut wenn sich im Grase liegt/Schlecht wenn sich in Fresse fliegt/Abgeschrieben wenn Granatsplitter.«

      Das Insel-Tagebuch, eine Art Gedicht-Sammlung, die Kurt Hoppenraths Witwe Louise aufbewahrt hat, ist auf den 25. bis 28. Juni 1952 datiert, also binnen weniger Tage in der Zeit unmittelbar nach bestandenem Abitur entstanden. Da war der frischgebackene und gewiß vom Gefühl neu gewonnener Freiheit beschwingte Abiturient zusammen mit Schulkameraden beiderlei Geschlechts auf einer Insel im Krakower See, dem Großen Werder vermutlich. Teilnehmer erinnern sich, daß Johnson damals leidenschaftlich »Kann denn Liebe Sünde sein« sang. Daß er andererseits häufig allein am Wasser saß. Da wird der Schulabgänger dann gedichtet haben. Einige Resultate dieser Mußestunden werden im folgenden zum ersten Mal vorgelegt. Ihnen vorangestellt war ein gleichfalls gereimtes Vorwort:

      Statt eines Vorwortes

      Auf dem Landungssteg der Insel

       Stand ein Hund, der mit Gewinsel

       Mir eine herzliche Begrüßung machte.

       (Weil ich für ihn das Futter brachte.)

       Weiter stand da noch ein Schild,

       Wirklich ein sehr schönes Bild,

       Daß das Betreten verboten sei,

       Andernfalls sei Strafe dabei.

       Als der Schreiber stellt sich vor

       Ein gewisser Berthold Mohr.

       Dadurch wurde mir sehr klar,

       Daß es hier nicht anders war

       Als da, von wo ich hergekommen,

       Doch hab ich das nicht tragisch genommen.

       Man kann ja nicht gleich bis zum Nordpol verreisen,

       Schon wegen der Aussicht, da zu vereisen.

       Auch hier war ich nun ganz allein

       Und wollte versuchsweise glücklich sein.

       Davon, wie dies mir gelungen,

       sei hier nun ein Lied gesungen.

      Was im konformen Stil dieser Gedichte umgeht, ist eine Sehnsucht nach Gemeinschaft, zu der unabdingbar das gemeinsame Singen gehört. In den hier zur Rede stehenden Versen hat Uwe Johnson, der nicht eben gut singen konnte, gesungen. Hat sich so noch einmal der verbindenden Nähe einer Gruppe anvertrauen wollen. Gemeinschaftliches, gemeinschaftsbildendes Singen, wie Johnson es von seinen Schulen kannte, jetzt als literarische Handlung. Für die Feriengemeinschaft auf der Insel im Krakower See, auf ihr hatte die Familie Mohr einmal eine Pacht besessen, schrieb Uwe Johnson Verse wie die folgenden:

      Nieder-Geschlagenes

      Große und auch kleine Tropfen

       Leise an die Scheiben klopfen.

       Es regnet. Es regnet ungebührlich

       Und viel zu sehr kontinuierlich

       Große und auch kleine Tropfen.

      Ich frage nur: Ist dieses nötig?

       Wenn nicht, so bin ich gern erbötig,

       Für morgen und auch übermorgen

       Für lauter Sonnenschein zu sorgen.

       Doch bin ich nicht als Petrus tätig.

      Ich sitze den ganzen Tag im Haus,

       Denn der Regen läßt mich nicht raus.

       Er macht da draußen große Pfützen.

       Da kann die Sonne tagelang sitzen

       Und trocknen die wieder aus.

      Der Regen katzenähnlich schnurrt

       Und äußerst geistverwirrend surrt.

       Als ich den Hund vorhin mal fragte,

       Was er zu diesem Wetter sagte,

       Hat dieser Kerl mich angeknurrt.

      Vielleicht über Irland ein neues Tief

       Oder es regnet mal ohne Motiv.

       Vom Trübsinn des Wetters angesteckt,

       Habe ich Bosheit in mir entdeckt

       Und mache aus posi-negativ.

      Das Barometer: Veränderlich,

       Doch nichts am Wetter ändert sich

       Außer der Stärke des Regens

       Und Hoffnung klammert sich vergebens

       An das tröstliche Wort: Veränderlich.

      Oder auch:

      Verschlafenes

      Dieweil nach stattgehabter Kauung

       Empfiehlt sich gründliche Verdauung,

       Ging mitten ich in die Natur

       Mit einer Badehose nur

       Und sonst nichts weiter angetan.

      Im starken, unbewußten Tran,

       Ließ ich mich dort, wo Rindvieh weidet,

       Das ungewöhnlich unbekleidet,

      


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