Eine Geschichte des Krieges. Группа авторов

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Kampfzone zu einer Zunahme der Kriegsopfer, weil die neuen Technologien den Abwehrkampf begünstigten.

      Der gezogene Lauf, der die Schussgenauigkeit verbessert, bleibt bis zum heutigen Tag, mehr als anderthalb Jahrhunderte nach Beginn seiner Massenfertigung, das tödlichste Stück Militärtechnologie, das es gibt. Seine ungebrochene Vorherrschaft im militärischen Bereich gibt David Edgerton recht, für den die technologische Innovation weniger wichtig ist als die Dauer ihrer Verwendung. Auch wenn sich die Entwicklung von Waffen mit gezogenen Läufen langsamer vollzog als die von Flugzeugen und Schlachtschiffen, hat sich ihre Letalität als folgenreich erwiesen. Im Krieg zählt der Grad an Perfektion, zu dem man es bei einer technologischen Entwicklung bringt, weniger als ihre wirksame Einsetzbarkeit bei der Kriegführung.

      Im Amerikanischen Bürgerkrieg konnte der Norden über den relativ langen Zeitraum des Krieges gegenüber dem Süden einen Vorteil daraus ziehen, dass er über mehr Fabriken und besseren Zugang zu Kohle und Eisen verfügte. Zu Kriegsbeginn besaßen die Unionsstaaten 110 000 Fabriken und die Konföderierten lediglich 18 000, die zudem mit Ausbruch der Feindseligkeiten ihre aus den Nordstaaten kommenden Arbeiter*innen und ihren Zugang zu den Kohlelagerstätten und Eisenvorkommen des Nordens und Mittleren Westens verloren. Während der Auseinandersetzung produzierte Pennsylvania allein vierzehn Mal mehr Eisen als alle Südstaaten zusammen, und die Industrieproduktion in New York war viermal so hoch wie die des gesamten Südens. So stellte der Norden im Laufe des Krieges 1,7 Millionen Gewehre her und der Süden so gut wie keine.

      Dasselbe galt für nichtmilitärische Technologien wie die Eisenbahn. 1861 durchzogen 35 500 Kilometer Gleise mit einheitlicher Spurweite die Unionsstaaten, während die Konföderierten lediglich über 14 500 Kilometer Gleise verfügten, die zudem unterschiedliche Spurweiten aufwiesen. Der Krieg unterzog ihre Haltbarkeit einer harten Prüfung, die ihre Konstrukteure nicht vorausgesehen hatten. Doch während der Norden die Kapazitäten besaß, sie instand zu halten, das Netz weiter auszubauen und den Fuhrpark auszutauschen, war der Süden dazu nicht in der Lage. Im Norden war aufgrund seiner Industrie auch ein ausgefeiltes Bankensystem entstanden, mit dessen Hilfe er seine Entwicklung finanzieren konnte. Der technologische Vorteil der Unionsstaaten spielte quantitativ wie qualitativ eine zentrale Rolle für ihren Sieg. Er verschaffte ihnen den Spielraum, sich von gewissen Anfangsfehlern und fragwürdigen strategischen Entscheidungen wieder zu erholen.

      Wenige Historiker vertreten einen technologischen Determinismus, das heißt die Idee, dass die Technologie allein den Ausgang eines Krieges entscheiden könne. Allerdings nicht so weit entfernt von dieser Position ist Dennis Showalter in seinem vielsagend betitelten Buch über die deutschen Einigungskriege (1864–1871), Railroads and Rifles. Während Dänemark, Österreich und Frankreich ihre Bemühungen auf Befestigungsarbeiten konzentriert hatten, investierte Preußen in die Eisenbahn. Dadurch konnte es Truppen und Nachschub mit einer Geschwindigkeit verfügbar machen, die seine Gegner unvorbereitet traf. Außerdem verfügte Preußen über das Dreyse-Zündnadelgewehr, ein schneller und präziser Hinterlader mit Metallpatronen, der eine beispiellose Kadenz von zehn bis zwölf Schuss pro Minute erreichte.

      Doch selbst ein Historiker wie Showalter gesteht zu, dass diese Technologien Preußen nicht zum Sieg verhalfen, weil sie ihm eine erdrückende Überlegenheit verschafften, sondern weil es Preußen besser als seinen Gegnern gelang, sie in eine bereits bestehende Doktrin und Strategie zu integrieren. Die preußische Führung hatte eine klare Vorstellung davon, was sie bewerkstelligen wollte, und wusste sich zu zügeln, sobald das Ziel erreicht war. Die Eisenbahn und Gewehre ermöglichten ihr den Sieg bei Königgrätz gegen die Österreicher am 3. Juli 1866 und den Sieg von Sedan gegen Frankreich am 1. September 1870, doch es war ihre strategische Überlegenheit, durch die sie, mit den Siegen auf dem Schlachtfeld im Rücken, ihr Ziel einer Vereinigung der nördlichen Provinzen mit Bayern zu einer einzigen Nation unter ihrer Befehlsgewalt erreichen konnte.

      Die Technologien der zweiten industriellen Revolution halfen den europäischen Ländern auch dabei, Ende des 19. Jahrhunderts Afrika zu kolonialisieren. Dampfschiff und Eisenbahn erlaubten den europäischen Armeen, tiefer ins Innere des afrikanischen Kontinents vorzustoßen, als es ihnen zuvor möglich gewesen war. Mit der industriellen Produktion von Medikamenten konnten sie Krankheiten behandeln, von denen sie zuvor noch in großer Zahl dahingerafft worden waren. Besonders das Maschinengewehr verschaffte ihnen einen entscheidenden Vorteil gegenüber den vorindustriellen afrikanischen Gesellschaften. Über die ersten Maschinengewehre, die 550 Schuss pro Minute abfeuern konnten, dichtete der britische Schriftsteller Hilaire Belloc 1898: »Whatever happens we have got / the maxim gun, and they have not«2 (»Was immer geschieht, wir haben schlicht / das Maxim-Gewehr, und sie haben’s nicht«). Das Maxim-Maschinengewehr und andere Waffen machten es beispielsweise möglich, dass die Briten am 2. September 1898 in der Schlacht von Omdurman im Sudan 10 000 Afrikaner töteten und 13 000 weitere verwundeten, während sie selbst nur 47 Tote und 383 Verwundete zu verzeichnen hatten. Diese schockierende und blutige Diskrepanz war es, die Belloc zu seinem Gedicht inspirierte. Dennoch erklärt die Technologie nicht automatisch den Sieg Westeuropas in Afrika. Am 22. Januar 1879 gelang es einer lediglich mit Lanzen bewaffneten, aber effektiv geführten Armee von Zulu-Kriegern bei Isandhlwana, die mit modernen Waffen ausgerüsteten Truppen vernichtend zu schlagen. Einen ähnlichen Ausgang nahm die Schlacht von Adua am 1. März 1896, als ein seinerseits mit moderner Technologie ausgestattetes italienisches Kontingent von äthiopischen Truppen besiegt wurde, die zwar nur Gewehre und Lanzen trugen, aber zahlenmäßig überlegen waren. Die Technologie verschafft einem Lager nur dann einen Vorteil, wenn seine Anführer*innen in günstiger Umgebung guten Gebrauch davon machen.

       Wenn die Technologie die Strategie bestimmt

      In symmetrischen Kriegen bleibt die technologische Überlegenheit nicht lange erhalten. Aufgrund der technischen Entwicklung selbst kommt es nur selten vor, dass eine Seite langfristig einen bedeutenden Vorteil behält. Um das einzusehen, genügt das Beispiel des Fortschritts im Flugzeugbau während des Ersten Weltkrieges. Im Sommer 1915 entwickelten die Deutschen ein neues Jagdflugzeug, den Eindecker Fokker E. I – die beste Maschine ihrer Art, die je existiert hatte. Ein System, das das Maschinengewehrfeuer mit dem Propellerschlag synchronisierte, erlaubte es, in schnellerer Abfolge und mit größerer Präzision zu schießen. Über einen Zeitraum von wenigen Monaten, den die Alliierten als »Fokker-Plage« bezeichneten, beherrschten die Deutschen den Himmel über der Westfront und schlugen damit das gegnerische Lager, das nun die andere Seite des no man’s land nicht mehr aufklären konnte, gewissermaßen mit Blindheit, während sie ihrer eigenen Artillerie einen viel umfassenderen Überblick über die Front verschafften. Durch Überfliegen der alliierten Linien waren sie in der Lage, ihre Artillerie genauer auszurichten und den gegnerischen Truppen schwere Verluste zuzufügen, insbesondere in der Schlacht um Verdun. Im Frühling 1916 jedoch verschoben neue Flugzeuge wie die französische Nieuport 11 und die britische Airco DH.2 von de Havilland, die beide zum Kampf gegen den deutschen Eindecker entworfen und gebaut waren, den Vorteil wieder auf die Seite der Alliierten. Trotzdem bedeuteten beide keinen radikalen technologischen Fortschritt.

      Es kommt auch vor, dass eine Seite versucht, den technologischen Vorsprung der Gegenseite anderweitig auszugleichen. Nachdem die Deutschen in den Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges erst spät begriffen hatten, dass sie den Vorsprung der britischen Seestreitkräfte mit ihren Dreadnought-Schlachtschiffen nicht würden einholen können (das Vereinigte Königreich verfügte 1914 über dreiundvierzig Schiffe dieser Art, Deutschland hingegen nur über vierundzwanzig), entwickelten sie Unterseeboote, die unentdeckt unterhalb der gegnerischen Schlachtschiffe navigieren und sie mittels Torpedos oder zu diesem Zweck entwickelter Spezialminen versenken konnten. Die Dreadnoughts waren derart kostenintensiv, dass Großbritannien nicht das Risiko eingehen wollte, sie auf See zu verlieren. Daher nahm es in der Schlacht von Gallipoli 1915 davon Abstand, sie einzusetzen, als es seine Schlachtschiffe der vorangegangenen Generation von den Minen in die Luft gesprengt sah. Dadurch waren die Alliierten gezwungen, eine Anlandung auf der Halbinsel Gallipoli zu versuchen. Weder Großbritannien noch Deutschland wollte sich mit seinen Schlachtschiffen vorwagen. Eine Ausnahme bildete lediglich Jütland (31. Mai – 1. Juni 1916). Ebenso zögerten die Pilot*innen des Ersten Weltkrieges, mit ihren neuesten Flugzeugmodellen die feindlichen Linien zu überfliegen, da sie fürchteten,


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