Plötzlich Prinzgemahl. Regina Mars

Plötzlich Prinzgemahl - Regina Mars


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und krächzte leise. Seine Augen waren verbunden, sonst wäre er bei dem Trubel um ihn herum durchgedreht.

      Solan sah über die Köpfe seiner Bewunderinnen hinweg durch den Ballsaal. Es schadete nie, aufmerksam zu sein. Erst beim letzten größeren Ball hatte ein Unbekannter versucht, ihm im Gedränge einen Dolch in die Nieren zu stoßen. Sein Duranit-Hemd hatte das glücklicherweise verhindert.

      Die Luft im Ballsaal war stickig und feucht vom Atem hunderter Menschen. Seine Ohren dröhnten von den stetigen Gesprächswellen, die über ihn hinwegrollten. Brumm, dröhn, summ … wenn er die Augen schloss, hörte er einen menschlichen Wespenschwarm. Über ihm spannte sich die Täfelung der Decke wie hölzernes Webwerk. Durch die fein geschnitzten Säulen in den Kaiserfarben Rot, Türkis und Gold hinweg, am anderen Ende des Raums, sah er den Thron seines Vaters.

      Er war leer. Niemand befand sich auf dem imposanten Podest. Der reich geschmückte Thronsessel war so verlassen wie die kleineren Sitze links und rechts von ihm. Drei Plätze. Der zur Linken seines Vaters gebührte Solan und der zur Rechten Abathiy. Der Kaiserin. Sie war vermutlich auch der Grund, aus dem der Kaiser fehlte. Abathiy tat ihr Möglichstes, ihm einen Sohn zu schenken, und so kamen die beiden oft nicht vor den Abendstunden aus dem Bett.

      Solan verspürte fast etwas wie Bewunderung für Abathiy. Sie war fest entschlossen, ein Kind zu bekommen, obwohl der Kaiser inzwischen so alt und verwittert war, dass seine letzten beiden Ehefrauen kinderlos gestorben waren. Aber Abathiy war so zielstrebig wie ein Hai. Seit ihrer Krönung waren die Mordanschläge auf Solan um ein Zehnfaches gestiegen.

      Es war nur natürlich, schätzte er. Wenn sich ein neues Weibchen im Bau ausbreitete, tötete sie die Kinder ihrer Vorgängerinnen. Das war der Lauf der Natur und der der Königshäuser.

      Nicht, dass er vorhatte, es ihr leicht zu machen. Er war kein Fohlen mehr.

      »Kaiserliche Hoheit, wenn es Euch beliebt, könnten wir alle gemeinsam zur Jagd gehen.« Dieser Vorschlag kam aus dem feucht glänzenden Mund von Tamanoliy von Eisenstein, der begehrtesten Debütantin dieser Ballsaison.

      Leider war sie trotz ihrer Schönheit vollkommen ungeeignet als Heiratskandidatin, selbst, wenn es Solan nach einer Ehefrau verlangt hätte. Sie war eine Cousine von Abathiy und mit Sicherheit ihre Spionin. Ebenso wie die bleiche Schönheit hinter ihr. Die Spitznase wäre schon besser gewesen … wenn er sie nicht viel zu oft in der Gesellschaft von Tudan gesehen hatte. Nein, keiner dieser Damen konnte er vertrauen.

      Tamanoliy versuchte, Kroke den Siebten zu streicheln, aber der schnappte prompt nach ihrem seidenbehandschuhten Finger. Der Falke war ein schlechtes Haustier. Aber Solan brauchte ihn. Vor einer Viertelstunde hatte er den Vogel an seinem Apfelwein nippen lassen und es als Witz dargestellt. Das Tier hatte überlebt. Kein Gift. Gut.

      »Zur Jagd? Das ist eine großartige Idee«, log er und strich über Krokes Schnabel. »Dann könnt ihr alle mein Jagdgeschick bezeugen. Ich will nicht prahlen, aber ich bin bestimmt unter den besten drei Jägern des Landes. Bolun, unser Jagdherr, hat mir erst kürzlich bezeugt, dass ich ein Naturtalent bin.«

      Die Menge brach in entzückte Zustimmung aus. Ganz sicher sei er der Beste, behaupteten sie.

      Eigentlich hatte der Jagdherr gesagt, dass Solan bestimmt irgendwann zu den besten Jägern des Landes gehören würde, wenn er noch ein paar Jahrzehnte übte. Und das war eine Lüge gewesen. Im Zuge seiner Tarnung stellte Solan sich saudumm an.

      Mit einem Mal fühlte er sich beobachtet. Irgendwer …

      Ah, da.

      Wilde, dunkle Augen starrten ihn an. Für einen Moment sah Solan nichts anderes als ihre Glut. Das pure Leben, das in ihnen tobte.

      Dann fiel ihm auf, dass das Gesicht, welches zu diesen Augen gehörte, vollkommen gewöhnlich war. Ein wenig herb sogar, mit dem kantigen Kinn und dem kräftigen Kiefer. Bäuerlich. Selbst die elegant geschwungenen Lippen konnten den Anblick nicht retten.

      Die Frau stand nur wenige Schritte von der Meute seiner Verehrerinnen entfernt und starrte ihn an. Anscheinend hatte sie vorbeigehen wollen, und war von seinem Anblick aufgehalten worden. Kein Wunder. Seine Schönheit zu erspähen war, wie direkt in die Sonne zu schauen.

      Ganz im Gegensatz zu ihrem Anblick. Je länger er sie betrachtete, desto unmöglicher wurde das Mädchen. Ihre Perücke war gänzlich aus der Mode, hoch aufgetürmt, aber vollkommen ohne die Schlaufen und Schlingen an der Seite, die in diesem Jahr ein absolutes Muss waren. Und ihr Kleid …

      »Provinziell«, sagte er und lachte ungläubig.

      »Wer?« Tamanoliy wandte sich um. Der Rest der Meute tat es ihr gleich. Das Mädchen mit den wilden Augen zuckte zusammen, als sie plötzlich im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Solans Verehrerinnen brachen in Gekicher aus.

      Das Mädchen runzelte die Stirn und sah gleich noch gewöhnlicher aus.

      »Was ist?«, fragte sie. Da war ein drohender Unterton in ihrer Stimme. Und wie sie sich hielt! Als wollte sie gleich eine Kneipenschlägerei anfangen.

      »Oh, nichts.« Solan ärgerte sich über sich selbst. Wie hatte er sich derart ablenken lassen können? Von den Augen einer so niederrangigen Landpomeranze? Er lächelte milde. »Wir fragten uns nur gerade, von welcher Hühnerfarm Ihr entlaufen seid. Das Kleid habt Ihr vermutlich selbst genäht, nicht wahr?«

      Seine Verehrerinnen atmeten schockiert ein, nur, um anschließend wieder in damenhaftes Gekicher zu verfallen. Die Landpomeranze verzog das Gesicht auf äußerst unattraktive Weise. Er rechnete damit, dass sie in Tränen ausbrechen und weglaufen würde. Stattdessen schnaubte sie.

      »Wer von uns beiden trägt denn ein Hühnchen spazieren?« Ihr Finger deutete höchst unschicklich auf Kroke den Siebten. »Wenn ich von einer Hühnerfarm komme, dann bist du mein Knecht, Alter.«

      Die Meute kreischte schockiert auf. Was … Solan knirschte mit den Zähnen. Was erlaubte sich diese Landpomeranze?

      »Was erlaubst du dir, du Landpomeranze?«, knurrte er. »Weißt du nicht, vor wem du stehst?«

      »Vor einem Hühnerfarmer und seinen Zuchthennen würd ich mal sagen.« Dieses gewöhnliche Stück warf Solans Verehrerinnen einen skeptischen Blick zu.

      »Vor Solan Benajovolan dem Fünften, du Bauernweib!«

      Zufrieden sah er sie starr werden. Und sich dann … im Gesicht kratzen? Unglaublich.

      »Ups, tut mir leid, Majestät«, sagte das Weib und absolvierte den schlechtesten Knicks, den Solan je gesehen hatte. Machte sie sich über ihn lustig? »Ich bin von den Schären, da kommt man nicht so oft an den Hof. Na, ich geh dann mal …«

      Plötzlich war ein anderes Mädchen an ihrer Seite. Genauso geschmacklos gekleidet, aber weit hübscher. Und ihre Miene zeigte die angemessene Panik.

      »Bitte entschuldigt meine Schwester, Eure Majestät«, flüsterte sie und knickste, halbwegs ordentlich. »Sie ist zum ersten Mal bei Hofe und hat zum ersten Mal Wein probiert.«

      »Hab ich nicht … au«. Die Landpomeranze rieb sich den Arm, in den ihre Schwester sie gekniffen hatte. Mürrisch sah sie Solan an. »Ja, wie gesagt, tut mir leid. Tschüss, äh, auf Wiedersehen.«

      Ihre Schwester zerrte sie praktisch von Solan weg, tausend Entschuldigungen murmelnd. Solan kniff die Augen zusammen. Sehr seltsam, wie die beiden sich verhielten.

      »Wer waren diese Gestalten?«, fragte er die Spitznase und versuchte möglichst schockiert auszusehen. Die blickte ihn entschuldigend an.

      »Das weiß ich leider nicht …«

      »Ich weiß es.« Tamanoliy seufzte und wedelte sich mit ihrem Seidenfächer Luft zu. »Sie sind direkt nach mir angekommen. Landadel, von dem man noch nie gehört hat. Die Hässliche ist Doraliy von Dübelknecht und die etwas weniger Hässliche ihre Schwester Coraliy.«

      Doraliy von Dübelknecht also. Doraliy mit den wilden Augen. Gut. Nein, nicht gut. Irgendetwas stimmte mit den beiden nicht. Selbst der Landadel hatte bessere Manieren, oder? Obwohl, was wusste er vom Landadel? Er war der Kronprinz,


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