Der Apfelwein-Botschafter: Kommissar Rauscher 11. Gerd Fischer
mit Möhre, Paprika, Brokkoli und Tomate verschwand in Markowskys Mund, während Krause auf einem Stück Rindswurst kaute und es schleunigst hinunterschluckte, um den Mund freizubekommen.
„Nun ja, Rauscher wird uns in absehbarer Zeit nicht zur Verfügung stehen …“
„Richtig, er wird anderweitig gebraucht“, unterbrach ihn Markowsky.
„Seine Stelle ist aber nicht besetzt.“
„Nun kommen Sie schon auf den Punkt!“ Markowsky wirkte zunehmend gereizt.
Seinem Blick ausweichend, antwortete Krause zögerlich: „Elke Erb. Ich könnte sie kontaktieren. Sie wäre die ideale Besetzung für die Stelle.“
Fast hätte Markowsky seine Gabel fallen lassen. „Elke … Erb?“ Die Worte kamen stotternd, bevor sich ein leichtes Lächeln über seine Wangen legte. „Gute Idee, Krause, gute Idee!“
10
Tagsüber war es rund um den Tatort ruhig. Die Umgebung wirkte beschaulich. Nichts wies darauf hin, dass hier tags zuvor ein abscheulicher Mord geschehen war.
Rauschers Weg hatte ihn schnurstracks auf den Riedberg geführt. Er wollte sich im Hellen ein Bild machen. Wollte sich herantasten an einen bislang unsichtbaren Mörder, der hier seine Tat vollbracht hatte; eiskalt, berechnend und geplant. Spuren waren so gut wie keine auszumachen gewesen. Freilich könnte der Bericht der Spurensicherung noch bislang Unentdecktes zutage fördern. Rauscher vertraute auf seinen Instinkt. Er wollte ein Gefühl für die Situation entwickeln. Zudem wollte es ihm nicht in den Kopf, dass hier, mitten im Wohnviertel, niemand etwas beobachtet haben sollte.
An den Straßenlaternen hingen kleine Eiszapfen, als Rauscher aus seinem Wagen stieg. Er stellte sich vors Haus und betrachtete es eingehend. Schneekristalle glänzten auf dem Dachfirst. Abgesehen von ein paar Vögeln, die zwitschernd vorüberflatterten, herrschte Stille. Die gesamte Szenerie wirkte friedlich.
Er ging auf dem Trottoir vorm Grundstück entlang, erst nach rechts, dann nach links. Nahm die Nachbargrundstücke in Augenschein. Sie waren allesamt nicht groß. Die Häuser standen recht dicht. Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn niemand etwas beobachtet oder gehört hatte. Eine fremde Person, die sich auffällig verhielt? Schreie oder andere Geräusche? Ein Auto, das mit quietschenden Reifen davongefahren war? Er musste bei Ingo nachhaken. Oder war der Täter gar nicht mit dem Auto gekommen? Vielleicht mit der U-Bahn? In der Nähe lag die Station Uni Campus Riedberg.
Nachdem Rauscher diese Möglichkeit bedacht hatte, lief er die gesamte Straße ab und wieder zurück. Ihm fehlte nach wie vor der Zugriff. Das Gespür dafür, wie die Tat abgelaufen sein könnte. Hatte der Täter einfach geklingelt? Hatte er sich als Pizzabote, Blumenlieferant oder Mainova-Mitarbeiter getarnt? Oder kannte ihn Adlhof und hatte ihm bereitwillig die Tür geöffnet?
Rauscher ging zurück und verharrte noch einige Minuten vorm Haus. Als er sich umwandte, um zu seinem Wagen zurückzukehren, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Im Nachbarhaus hinter dem Fenster hatte sich etwas gerührt. Ein Vorhang war zur Seite geschoben worden, ein Schatten verflüchtigte sich gerade. Eine Katze? Oder wurde er beobachtet?
Kann ja nix schaden, dachte er, und näherte sich der Eingangstür. Während er auf die Klingel drückte, rief er: „Kripo Frankfurt. Bitte öffnen Sie. Ich weiß, dass jemand zu Hause ist.“
Natürlich war er suspendiert, natürlich war es illegal, mit seiner Identität als Kriminalbeamter zu flunkern, natürlich hätte er die Wahrheit sagen müssen. Trotzdem klopfte er. „Hallo, ist da jemand?“
Nach etwa einer Minute und wiederholtem Schellen öffnete sich die Tür einen Spaltbreit. Ein Mädchen mit längeren dunklen Haaren, die glatt über die Schultern fielen, peilte ihn an. Rauscher schätzte die Halbwüchsige auf vierzehn oder fünfzehn Jahre.
„Ja?“
„Guten Tag. Wer sind Sie?“
„Alina.“ Sie öffnete die Tür weitere zehn, zwölf Zentimeter. Rauscher erkannte Kopfhörer um ihren Hals. In der Hand hielt sie ein Handy. Sie war sehr schlank. Seine Großmutter hätte sie, so überlegte Rauscher, spindeldürr genannt.
„Alina wer?“
„Krüsmann.“
„Sind deine Eltern auch da?“
„Die arbeiten.“
„Und du?“
„War in der Schule.“ Sie gähnte. „Ätzend!“
„Mein Name ist …“
„Andreas Rauscher“, fiel sie ihm ins Wort.
„Woher …?“
Sie hob das Handy an und hielt es ihm vor die Nase. „Ich informiere mich.“
„Ja, aber …?“
„Stand ja überall groß mit Bild: Kripobeamter wird Apfelwein-Botschafter“, zwitscherte sie und schmunzelte. Sie tippte auf dem Handy und zeigte ihm innerhalb von drei Sekunden ein Foto mit der Unterschrift: Andreas Rauscher bei der Verleihung im Dezernat.
„Nicht schlecht“, sagte er und meinte es ernst. „Sie haben ein gutes Personengedächtnis.“
„Ich hab Sie draußen rumschleichen sehen … Ihr Gesicht kam mir bekannt vor … Da hab ich schnell einige Infos gecheckt.“ Sie tippte wieder und sprach flott: „Andreas Rauscher, geboren 1979, seit 2000 bei der Frankfurter Kripo, seit 2010 Teamleiter bei der Mordkommission, wohnhaft in Bockenheim.“
Rauscher verschlug es die Sprache. Es dauerte, bis er sich wieder gefangen hatte. „Wie haben Sie das so schnell …?“
„Kinderkram!“
„Okay, okay.“ Seine Stimme klang irritiert, aber er riss sich zusammen. Ihm war bewusst, dass die Kids mit dem Handy heutzutage Dinge anstellen konnten, von denen er nicht einmal zu träumen wagte. Auch wenn er das nicht unbedingt guthieß. „Sie können sich vielleicht denken, warum ich hier bin.“
Alina senkte den Kopf. Ihre Miene verfinsterte sich schlagartig.
„Ich weiß“, setzte Rauscher erneut an, „dass es nicht einfach ist, wenn auf dem Nachbargrundstück eine solche Tat stattgefunden hat, aber Sie brauchen keine Angst zu haben. Der Täter wird mit Sicherheit nicht zurückkehren. Und wir müssen die Umstände, die dazu geführt haben könnten, klären.“
Alina nickte, wirkte mit einem Mal aber scheuer und unzugänglicher als zuvor.
„Wir benötigen alle Informationen, die wir bekommen können. Waren meine Kollegen schon bei Ihren Eltern?“
Sie nickte.
„Waren Sie bei der Vernehmung dabei?“
Sie nickte.
„Kann ich Ihnen auch ein paar Fragen zu jenem Tag stellen?“
„Welchem?“
„Dem Tag des Mordes an Joa…“
„Weiß schon!“ Ihre Miene verfinsterte sich weiter.
„Sie müssen nicht mies gelaunt sein. Ich bin von Berufs wegen neugierig. Antworten Sie mir einfach: Haben Sie an jenem Tag irgendwas bemerkt auf dem Nachbargrundstück?“
„Nein“, erwiderte Alina verstockt.
„Jemanden gesehen?“
„Nein“, kam die Antwort wie aus der Pistole geschossen.
„Vielleicht einen Pizzaboten, einen Briefträger oder sonst irgendwen, der bei Adlhofs geklingelt hat?“
Sie schüttelte den Kopf. „Hab ich Ihnen doch schon gesagt.“ Sie errötete leicht und verschränkte sofort die Arme vor der Brust, nicht ohne vorher einen Blick aufs Handy zu werfen. Eine Sekunde später tippte sie wieder etwas ein und konnte den Blick nicht vom Display lösen,