Der Apfelwein-Botschafter: Kommissar Rauscher 11. Gerd Fischer
Das ist doch viel interessanter.“
„Okay. Im Vorfeld gab es herbe Kritik am neuen Dezernat“, holte der Allgemeine-Mann aus, „zu teuer, belanglos, warum überhaupt Apfelwein? Können Sie das nachvollziehen?“
„Teils, teils.“ Rauscher gab sich nun diplomatisch. Das lag ihm zwar nicht im Blut, aber darauf musste er sich im Politzirkus ohnehin einstellen. „Neues ist immer einer gewissen Kritik ausgesetzt. Das ist ja auch gut so, wenn Dinge von der Öffentlichkeit hinterfragt und nicht einfach hingenommen werden. Wir leben ja zum Glück in einer Demokratie. Aber die Bedenken werden sich legen, wenn die Argumente zum Tragen kommen.“
Der Journalist hob seine monströse rechte Augenbraue. „Welche meinen Sie?“
„Die Vorteile für die Stadt werden vielfältig sein. Der Tourismussektor wird profitieren, das Image wird noch besser, es ist gut, wenn man auf bewährte kulturelle Traditionen setzt und so weiter. Ich muss das nicht alles aufzählen, das ist doch alles hundertfach diskutiert worden.“
„Verbinden Sie persönliche Ziele oder Anliegen mit Ihrer neuen Funktion als Apfelwein-Botschafter?“, legte die Neue-Presse-Frau nach und schlug ein Bein übers andere. Sie schien es sich bequem machen zu wollen, während Rauscher das Ende des Gesprächs herbeisehnte.
„Na ja, es ist ein offenes Geheimnis: Der Mensch ist ja oft durstig und ich liebe Ebbelwoi. Eins ergibt das andere. Warum sollte ich das verschweigen? Aber wenn Sie mit Ihrer Frage ausdrücken wollen, ob ich mich persönlich bereichern oder sonst was will, dann weise ich das strikt von mir. Vielmehr geht es mir darum …“
In diesem Moment spürte Rauscher zum ersten Mal, dass er gar nicht wusste, worum es ihm eigentlich ging. Und was er diesbezüglich der Öffentlichkeit mitteilen sollte.
Er stockte, setzte ab und blickte die Interviewenden, die jeweils mit Kuli und Notizblock in der Hand vor ihm saßen, irritiert an.
„Es geht mir darum …“, hob er erneut an, doch er merkte sofort, dass er auch diesmal den Satz nicht würde beenden können. Es fehlte ihm schlicht ein Grund, ein Ziel. Er war kein Politiker, der alles mit säuselnden Floskeln schönreden oder begründen konnte. Er war weder diplomatisch versiert noch rhetorisch über die Maßen begabt. Er mochte Apfelwein. Punktum! Und genau das versuchte er nun auszudrücken. Seine Stimme schien jetzt aus weiter Ferne zu kommen: „Wissen Sie, Apfelwein, das ist für mich …“
Zu mehr kam er nicht, denn in diesem Moment klingelte sein Handy. Rauscher erkannte auf dem Display die Nummer seines Nachfolgers als Teamleiter bei der Frankfurter Mordkommission, Kollege Jan Krause. „Tut mir leid, aber da muss ich leider rangehen. Sie entschuldigen mich kurz“, sagte er zu den Journalisten, stand auf, stellte sich vor die Fensterfront und beobachtete den Main, während er den Anruf annahm.
„Hallo, Jan. Hast dich lange nicht gemeldet.“
„Hi, Andreas.“
„Was gibt’s denn? Ich bin mitten in einer Pressekon…“
„Sorry, dass ich dich störe, aber es ist dringend, ne“, fiel ihm Krause ins Wort.
„Rufst du aus dem Präsidium an?“
„Nein. Aus dem Privathaus von Joachim Adlhof. Auf dem Riedberg.“
Rauscher wurde stutzig. „Ei, was machst du denn da?“
„Du musst sofort herkommen. Das musst du dir anschauen.“
6
Als Rauscher auf dem Riedberg ankam, war bereits die Dämmerung über Frankfurts neuem Stadtteil mit seinen schicken Ein- und Mehrfamilienhäusern und seinen schmucken, akkurat angelegten Vorgärten eingebrochen. Er hatte die Pressekonferenz abrupt abgebrochen und war sofort losgefahren. Krause hatte am Telefon mitgenommen gewirkt.
In unmittelbarer Nähe des Hauses parkten drei Polizeifahrzeuge mit angestelltem Blaulicht. Rauscher stellte seinen Dienstwagen hinter das letzte Fahrzeug und stieg aus. Er sah sich um. Aus den Augenwinkeln erkannte er drei, vier Personen, die am Rande des rechten Nachbargrundstücks standen und sich leise unterhielten. Hin und wieder warfen sie neugierige Blicke auf Adlhofs Haus, bevor sie wieder die Köpfe zusammensteckten. Rauscher ließ seinen Blick über den Schauplatz schweifen und bemerkte eine Überwachungskamera über der Eingangstür. Im Nu zählte er drei weitere. Der Chef des Dezernats schien ein Sicherheitsmensch zu sein.
Einige Kollegen wurden auf ihn aufmerksam und näherten sich.
„Sie können hier nicht halten“, rief ihm einer von ihnen zu.
„Andreas Rauscher“, sagte der Kommissar. „Kollege Jan Krause hat mich informiert.“
„Etwa DER Rauscher?“ Die hohe Stirn des Beamten zog sich noch höher. „Sie wollte ich schon immer mal kennenlernen. Es ist mir eine Ehre.“ Er streckte Rauscher die Hand entgegen.
Rauscher ergriff sie. Der Kollege merkte, dass ihn die Situation nebenan beschäftigte. „Die lieben Nachbarn“, kommentierte er. „Damit es morgen auch schön das ganze Viertel weiß.“
„Was ist denn überhaupt los?“ Rauscher schien es angebracht, sich zu erkundigen, bevor er das Haus betrat. Unliebsame Überraschungen zu dieser Stunde waren nicht sein Fall. Doch als er das nächste Wort hörte, zuckte er unwillkürlich zusammen.
„Tötungsdelikt!“
„Doch nicht etwa …?“ Rauscher brach mitten im Satz ab, weil er die unbequeme Wahrheit nicht nur ahnte. Er wusste sie, bevor ein weiteres Wort gesprochen wurde.
„Ein Joachim Adlhof. Übel zugerichtet. Sie müssten ihn kennen“, bemerkte der Kollege.
„Kennen ist zu viel gesagt.“ Rauscher seufzte und wirkte etwas verstört. „Ich hatte in letzter Zeit beruflich mit ihm zu tun.“ Das fing ja prächtig an. So hatte er sich seinen Einstand im Dezernat nicht vorgestellt. Einen beschisseneren Beginn seiner neuen Tätigkeit hätte er sich nicht vorstellen können.
„Schlimme Sache. Sieht nach einem Verrückten aus.“ Der Polizist schüttelte den Kopf.
Rauscher nickte dem Polizisten zu. „Danke. Ich geh da jetzt rein.“
„Finden Sie das Schwein!“, rief ihm der Kollege nach.
Rauscher betrat die offenstehende Haustür und wäre beinahe gegen Ingo Thaler geprallt, der forsch aus einer Tür zu seiner Rechten kam. „Rauscher am Tatort. Wie in früheren Zeiten.“ Kollege Thaler, einer von Rauschers engsten Mitarbeitern vor seiner Suspendierung, konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Thaler war etwas kleiner als Rauscher, hatte aber in letzter Zeit um die Hüfte einige Kilo verloren, was ihm gut stand.
„Nichts ist so, wie es scheint“, korrigierte der Angesprochene. „Trotzdem schön, dich zu sehen. Wie war das Wellness-Wochenende auf Sylt?“
Thaler hatte ihm in den vorangegangen Fällen zweimal entscheidende Hilfe geleistet, ohne die Rauscher sie womöglich nicht hätte lösen können. Zudem hatte durch Thalers Recherche Rauschers Sohn Mäxchen aus den Händen seiner Entführerin befreit werden können. Somit hatte Rauscher in Thalers Schuld gestanden und sich an Weihnachten mit einem Urlaubsgutschein spendabel gezeigt.
„Traumhaft. Aber du wirst es nicht glauben, wen ich auf der Insel getroffen habe …“ Thalers Gestik verriet, dass er immer noch von dem Aufenthalt im Fünf-Sterne-Hotel schwärmte.
Rauscher dachte kurz nach. „Fällt mir niemand ein.“
„Elke und Mäxchen.“
Rauscher fühlte sich überrumpelt. „Du machst Witze!“
„Mein voller Ernst. Ihr Alter hat da ein Häuschen, weißt du, der ehemalige Polizeipräsident von Hamburg. Von da ist es ja nur ein Katzensprung auf die Insel. Wir sind uns zufällig auf der Promenade in Westerland begegnet. Quasi in die Arme gelaufen, genau vor meinem Hotel.“
„Ist ja nicht zu fassen.“
„War