Der Apfelwein-Botschafter: Kommissar Rauscher 11. Gerd Fischer
was wird?“
„Na, erster Apfelwein-Botschafter.“
„Nö. Aber auch das werden wir erfahren.“
„In der Rundschau stand, dass der Dezernatsneubau knappe zehn Millionen gekostet haben soll.“
„Ist ja für ne gute Sache.“ Rauscher grinste, zog Jana vom Stuhl hoch und umarmte sie.
„Der Zeitungskommentar fiel aber nicht gerade positiv aus. Verschwendung von Steuergeldern, linke Tasche, rechte Tasche und so weiter.“
„Motzen gehört zum journalistischen Handwerk.“
Jana lächelte. „Na, zum Glück ist niemand auf die Idee gekommen, ein Bier-Dezernat zu gründen.“
„Das hätte einen Volksaufstand in der Stadt gegeben!“ Rauschers Stimme hob sich.
„Du meinst, ne Demo?“
„Ich wäre ganz vorne marschiert.“
„Trau ich dir zu! Apropos: Wenn das mit unserem Urlaub diesmal nicht klappt, mach ich ne Demo: ne Beziehungsdemo!“
„So was hab ich ja noch nie gehört!“, erwiderte er, um das heikle Thema etwas abzuschwächen.
„An deiner Stelle würde ich‘s nicht drauf ankommen lassen.“ Er spürte, dass es ihr diesmal ernst war. Wie ihre Augen sein Gesicht abtasteten. Wie sie zwei-, dreimal unbewusst blinzelte und vermutlich schon an Strand, Sonne und Palmen auf einem exotischen Eiland dachte.
Sie gab ihm einen Nasenstupser, wand sich aus seinen Armen und ging ins Bad.
„Ich regel das“, rief er ihr nach. „Keine Sorge!“
Jana blieb abrupt stehen und drehte sich noch einmal um. „Du meinst, so wie du das mit dem Erbe von Tante Adelheid geregelt hast? Da ist doch auch noch nix passiert.“
„Äh, nein …“ Er fuhr sich durch die schwarzen kurzen Haare. „Aber glaub mir: Ich kümmer mich drum.“
Sie seufzte. „Wär echt schön, wenn du das noch in diesem Jahrzehnt hinkriegen würdest.“ Sie lächelte gequält.
„Nee, nee“, beeilte sich Rauscher zu erwidern. „Wir fahren in den Urlaub. Und wenn wir zurück sind, geh ich das mit dem Erbe an.“
Jana reckte beide Arme abwechselnd in die Luft und rief dazu immer wieder: „Wir fahren in den Urlaub. Wir fahren in den Urlaub. Wir fahren in den Urlaub!“
„Ich kann nur nicht alles auf einmal machen“, ergänzte Rauscher.
„Dein Bier“, sagte Jana, nahm die Arme runter und legte dann erschrocken eine Hand vor den Mund. „Oh, das hätte ich wohl besser nicht sagen sollen. Aber ‚dein Ebbelwoi‘ klingt einfach zu blöd.“ Sie lachte.
3
Im großen Saal des neu erbauten Apfelwein-Dezernats hatten sich die Honoratioren der Stadt und jede Menge andere geladene Gäste versammelt. Andreas Rauscher und Jana Kern saßen in einer der hinteren Reihen. Er trug Anzug, Krawatte und Lederschuhe, sie hatte sich für ein dunkelblaues Kleid entschieden. Die Ernennungszeremonie des ersten Frankfurter Apfelwein-Botschafters war in vollem Gange. Gerade hatte OB Feldmann seine Grußworte beendet und den Leiter des neuen Dezernats, Joachim Adlhof, als nächsten Redner angekündigt, der den ersten Botschafter küren sollte. Eine prickelnde Spannung lag über dem Saal, denn noch wusste niemand, wer der neue Botschafter werden würde. Die Stadtverwaltung hatte darum ein großes Geheimnis gemacht.
Rauscher ließ seinen Blick durch die Reihen schweifen, aber er kannte niemanden. Er hatte damit gerechnet, Chef Markowsky oder andere Mitglieder seines früheren Teams bei der Frankfurter Mordkommission zu entdecken, zum Beispiel die Kollegen Jan Krause oder Ingo Thaler, aber Fehlanzeige. Auch Polizeipräsident Zimmermann konnte er nirgends ausmachen. Dafür erhaschte er einen Blick durch die moderne Glasfront auf den Main, auf dem soeben das Ausflugsschiff ‚Goethe‘ vorbeifuhr. Die Lage des neuen Dezernats war exquisit. Das musste Rauscher zugeben, wobei die Stadt für seinen Geschmack die falsche Mainseite, nämlich hibbdebach, gewählt hatte. Dribbdebach – auf Sachsenhäuser Terrain – wäre dem Thema angemessener und die entschieden bessere Wahl gewesen. Aber womöglich hatte es dort kein geeignetes Grundstück gegeben.
Bewegung auf der Bühne lenkte Rauschers Gedanken ab. Er erkannte Herrn Adlhof, der hinterm Pult Stellung bezogen hatte und gerade seine Rede begann.
„Verehrte Gäste. Ich freue mich, Sie heute zu diesem feierlichen Akt begrüßen zu dürfen. Herr Oberbürgermeister Feldmann hat ja bereits alles gesagt zur Bedeutung des neuen Apfelwein-Dezernats für die Stadt. Daher möchte ich Sie nicht weiter auf die Folter spannen und zum eigentlichen Anlass des heutigen Tages kommen: der Ernennung des ersten Frankfurter Apfelwein-Botschafters. Die Wahl fiel uns sehr leicht. In der Stadt gibt es niemanden, der die Botschaften des Apfelweins besser verkörpern könnte. Seine berühmte Vorfahrin, die Frau Rauscher aus der Klappergass, kennt jedes Kind in der Stadt …“
In diesem Moment schrak Jana zusammen. Sie ergriff rasch Rauschers Hand und stieß einen Schreckensschrei aus, den sie aber mit der anderen Hand zu unterdrücken versuchte. Das misslang. Einige neugierige Köpfe wandten sich ihr zu.
Doch es blieb keine Zeit für Nachfragen, denn Adlhof ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Unbeirrt fuhr er fort: „Sein Nachname steht für DAS Frankfurter Nationalgetränk. Es ist mir eine Freude, hiermit Herrn Andreas Rauscher, Kommissar bei der Frankfurter Mordkommission, zum ersten Frankfurter Apfelwein-Botschafter zu ernennen.“
Beifall brandete auf. Hälse reckten sich. Blicke schweiften umher auf der Suche nach dem neuen Botschafter.
Rauscher spürte zahlreiche Augenpaare, die ihn fixierten. Die Aufmerksamkeit, die ihm zuteilwurde, mochte er gar nicht. Ganz langsam drangen Adlhofs letzte Worte bis zu seinem Großhirn vor.
Rauscher schluckte.
„Andreas Rauscher ist prädestiniert für dieses Amt wie kein Zweiter“, fuhr Adlhof fort, „und wird ihm die nötige Ehre erweisen. Er wird sich für unser beliebtes Stöffche mit ganzer Kraft einsetzen und es würdig in aller Welt vertreten. Und nun bitte ich den Würdenträger nach vorne, damit ich ihm die Ernennungsurkunde überreichen kann. Kommen Sie, Herr Rauscher!“
Es dauerte eine ganze Weile, bis Andreas Rauscher endgültig realisiert hatte, dass er gemeint war. Er reagierte erst, als Jana ihm in die Bauchfalte zwickte. „Ich glaube, du musst mal da vor.“
„Äh … ich?“ Er wandte ihr den Kopf zu und schaute sie mit starren Augen an. „Aber wieso …?“
„Frag lieber nicht, das werden wir jetzt sowieso nicht ergründen können. Vielleicht steckt Markowsky dahinter.“ Da sich Rauscher noch immer nicht gerührt hatte, rief sie: „Los jetzt!“ und gab ihm einen kleinen Schubs.
Wie in Zeitlupe erhob sich der Kommissar und blickte sich schüchtern im Saal um; aber auch jetzt erkannte er niemanden. Doch was er sah, gab ihm Kraft. Die Gäste fingen begeistert an zu klatschen und halfen ihm so, in Gang zu kommen. Seine Schritte aus der Reihe und nach vorne waren leichtgängig, er schwebte geradezu im aufbrausenden Applaus.
Adlhof drückte ihm die Hand und überreichte ihm die Ernennungsurkunde.
„Ich freue mich sehr, den ersten Frankfurter Apfelwein-Botschafter an meiner Seite begrüßen zu dürfen: Andreas Rauscher. Wir sind alle sehr gespannt, was Sie dazu zu sagen haben.“
Adlhof warf einen hoffnungsfrohen Blick auf Rauscher. Mit einer Geste seiner rechten Hand bat er ihn, ans Mikrofon zu treten. Der Beifall im Saal verebbte.
Rauscher drehte langsam den Kopf in Richtung Publikum, machte einen Schritt zum Pult und legte die Urkunde auf der schrägen Fläche ab. Er sah die vielen Köpfe, die ihn neugierig und erwartungsvoll beäugten. Sein Gesicht war bleich wie das einer Wachsfigur.
„Ja, also …“ Er setzte ab, bevor er zögerlich fortfuhr: „Ehrlich gesagt,