Der Apfelwein-Botschafter: Kommissar Rauscher 11. Gerd Fischer
es ja auch noch nicht her.“
Rauscher schüttelte den Kopf. Das konnte er jetzt überhaupt nicht gebrauchen und wollte sich auch nicht damit befassen. Seine Aufmerksamkeit wurde von weiteren Überwachungskameras im Inneren des Hauses abgelenkt. Eine hing im Flur, eine die Treppe hoch. Adlhof schien das gesamte Haus überwachen zu lassen. Trotzdem sollte im Haus angeblich ein Mord geschehen sein.
Rauscher wechselte das Thema. „Und wie sieht es hier aus?“
In diesem Moment kam ein langer Schlaks aus einem Nebenzimmer auf die beiden zu. Es war Jan Krause.
„Moin“, sagte der Kollege, der Rauschers Job als Teamleiter während seiner Suspendierung übernommen hatte und nun von Chef Markowsky protegiert wurde, was ihm Rauscher aber nicht mehr krumm nahm. Krause war ehemaliger Hanseat, ein langer Lulatsch, drahtig und ein erfahrener Polizist. Nur in seine Rolle als Teamleiter musste er noch hineinwachsen. „Ich dachte mir, es sei nicht verkehrt, wenn du dich hier mal umschaust, ne! Immerhin hattest du ja in letzter Zeit mit dem Opfer zu tun.“
„Richtig. Habt ihr schon erste Erkenntnisse?“
„Willst du dir Adlhof nicht anschauen?“
„Nein. Ich gehöre nicht zum offiziellen Ermittler-Team …“ Er wollte jeden Verdacht vermeiden, an der Aufklärung des Falles beteiligt zu sein.
„Wie du willst. Ich kann dir auch die wichtigsten Fakten schildern, ne.“ Krause sammelte sich. „Die Kollegen der Schutzpolizei sind mit dem ersten Angriff schon durch. Die Kriminaltechnik ist jetzt dran. Ein Arzt hat bereits den Totenschein ausgestellt. Staatsanwalt Konetzke ist verständigt. Aufgrund des delikaten Falles, immerhin handelt es sich beim Opfer um einen Dezernenten, wird er persönlich hier erscheinen. Müsste in den nächsten fünfzehn Minuten eintreffen.“
„Todesursache?“, fragte Rauscher in die Rede hinein, weil ihm das alles zu lange dauerte.
„Adlhof wurde erstochen. Mindestens zehn Messerstiche konnten wir mit dem bloßen Auge identifizieren.“
„Übertötung?“
„Sieht man auf den ersten Blick. Die Auffindesituation war auf der Terrasse. Dahinter liegt ein Garten, der von keiner Seite einsehbar ist. Dichte, hohe Bäume grenzen das Grundstück ein. Könnte auch ein Schallschutz gewesen sein, denn bisher gibt es niemanden, der etwas gesehen oder gehört hätte, ne.“
Ein Schluchzen lenkte das Trio ab. Es kam aus dem offenen Wohnzimmer. Rauscher warf einen Blick hinein und sah einen Mann auf der Couch sitzen, der eine weinende Frau im Arm hielt. Ein Sanitäter kümmerte sich gerade um die Dame.
„Wer sind die beiden?“, erkundigte Rauscher sich.
„Ingrid Adlhof, hinterbliebene Ehefrau, und ein Herr Brecker, Freund der Familie. Scheint ein enger Vertrauter Adlhofs zu sein. Die beiden haben das Opfer aufgefunden.“
Gerade drang ein erstickter Schrei an Rauschers Ohren, der klang, als müsste er sich durch einen zu dünnen Hals pressen. Der Witwe schien es nicht gut zu gehen.
„Aha. Habt ihr sie schon vernommen?“
„Nicht möglich. Ich fürchte, da müssen wir noch ein, zwei Tage warten. Frau Adlhofs Zustand ist labil. Sie steht unter Schock. Muss wohl ins Krankenhaus zur Beobachtung.“
„Okay. Eventuell könnt ihr es ja später noch versuchen …“
„Werden wir sehen.“
Rauscher linste noch einmal ins Wohnzimmer. Sein Blick fiel durch die offenstehende Terrassentür, wo sich der Arzt, die Spurensicherer und der Fotograf um die Leiche kümmerten. Selbst aus dieser Entfernung erkannte er den blutverschmierten Anzug, den Adlhof trug. Er wandte sich schnell Krause zu: „Was noch?“
„Keine Tatwaffe, keine Kampfspuren, keine Einbruchspuren“, brachte Thaler in die Runde ein. „Auf den ersten Blick keine Eheprobleme, jedenfalls keine offensichtlichen. Keine finanziellen Probleme. Den Eheleuten gehört das Haus, er hatte einen sicheren und angesehenen Job bei der Stadt. Von außen betrachtet scheint alles paletti.“
„Raubmord?“, warf Rauscher in die Runde.
„Nahezu ausgeschlossen. Es gibt keinerlei Erkenntnisse, dass etwas mitgenommen wurde.“
„Also kannte Adlhof seinen Mörder“, vermutete Rauscher.
„Schaut so aus, als habe er ihn reingelassen.“
„Und was ist mit den vielen Kameras, die überall hängen?“
„Modernste Technik“, erklärte Thaler. „Bin echt beeindruckt. Da kann nicht mal ne Maus unbemerkt durchs Haus laufen.“
„Na, dann ist ja alles geritzt. Der Mord müsste gefilmt worden sein“, kommentierte Rauscher, bevor Krause anmerkte: „Irrtum. Das hatten wir natürlich sofort angenommen und Frau Adlhof direkt darauf angesprochen, ne. Leider hat Herr Adlhof das Überwachungssystem immer sofort ausgestellt, sobald er zu Hause eingetroffen ist. So auch heute. Das funktioniert quasi automatisch. Er tippt einen Code ein, wenn er zur Tür reinkommt. Dann beenden die Kameras ihre Aufzeichnungen.“
„Mist. Und auf den Bändern ist wirklich nichts zu sehen?“
„Das prüfen wir gerade, aber wir gehen nicht davon aus. Frau Adlhof wirkt glaubhaft. Warum sollte sie uns in dieser Hinsicht anlügen?“ Krause schüttelte deprimiert den Kopf. „Wär ja auch zu schön gewesen …“
„Und wie geht ihr jetzt weiter vor?“, fragte Rauscher.
„Wir befragen natürlich die Nachbarn, ob jemand etwas Verdächtiges gehört oder gesehen hat, auch wenn es für die unmittelbare Tat keine Zeugen geben dürfte“, erklärte Krause. „Außerdem durchkämmen wir Adlhofs Umfeld. Feinde. Neider. Und so weiter. Mal schauen, ob wir da was zutage fördern. Sein Handy und seinen Mailaccount nehmen wir uns gleich vor. Vielleicht hatte er ja vor der Tat Kontakt zu seinem Mörder. Auf den Obduktionsbericht und den Bericht der Spurensicherung müssen wir sicher noch ne Weile warten. Im Prinzip ganz normale Ermittlungen, ne!“
„Routinefall“, ergänzte Thaler.
„Guter Plan.“
„Äh, Rauscher, offiziell ermittelst du ja nicht mit uns, aber Markowsky hat da so ne Andeutung gemacht …“, bemerkte Krause.
„Welche?“
„Dass du im Dezernat Augen und Ohren offenhalten könntest. Als Botschafter bist du ja jeden Tag in der Höhle des Löwen.“ Thaler grinste.
„Ich ruf ihn an.“
„Mach das!“
„Haltet ihr mich auf dem Laufenden?“
„Ehrensache!“, sagte Thaler und kam damit einem bissigen Kommentar von Krause zuvor, der sich aber doch nicht ganz zurückhalten konnte.
„Ich weiß zwar nicht, was da im Hintergrund läuft, aber ich mache mir so meine Gedanken.“
„Kann nicht schaden“, beendete Rauscher das Gespräch, drehte sich um und war in der nächsten Sekunde aus dem Haus verschwunden.
Spät am Abend, Rauscher war längst wieder zu Hause eingetroffen und hatte Jana über den Mord informiert, verzog er sich in sein Büro, griff zum Handy und wählte Markowskys Privatnummer.
„Herr Rauscher, was kann ich für Sie tun?“, meldete sich der Chef nach ein paar Sekunden. Seiner Stimme war anzumerken, dass er zwiegespalten war. Ein Anruf um diese Uhrzeit, und auch noch von seinem einstmals besten Mann, der mittlerweile bei vielen im Präsidium in Ungnade gefallen war.
„Ich nehme an, Sie haben es schon gehört“, begann Rauscher.
„In der Tat. Tragisch.“
„Mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?“
„Was wollen Sie hören,