MUSIK-KONZEPTE Sonderband - György Kurtág. Группа авторов
a play about the end of the world, a bizarre, demoniacal, cruel, and also very comic piece, to which I wanted to give an additional dimension, that of ambiguity … one never knows whether he (Nekrotzar) really represents death or whether he is simply a charlatan. So Le grand macabre is an opera about death conceived as a farce.«42
In »… le tout petit macabre« sind einige versteckte Anspielungen auf Le grand macabre und die Aventures enthalten. Zum einen könnte das Hinzufügen des 13. Reihentons am Ende des ersten Abschnitts als subtilen Verweis auf die dritte Szene von Le grand macabre verstanden werden. Konkret geht es um jenen bedeutenden Handlungsmoment, als Nekrotzar, die eben erwähnte vielschichtige Figur, beim Palast eintrifft. Der Zusammenhang ließe einen unheilvollen Ausbruch in Art eines ›Dies Irae‹ erwarten. Diese Erwartungshaltung wird jedoch auf ironische Weise unterminiert: Es folgt ein Zitat aus Beethovens Eroica, aber ausgerechnet eines, das den heroischen Gestus des Werks überhaupt nicht wiederzugeben vermag: das Passacaglia-Thema (folgerichtig setzt auch bei Ligeti eine Passacaglia ein). Der Rhythmus ist deutlich erkennbar, verbindet sich allerdings mit einer Zwölftonreihe. Da das Passacaglia-Thema aber aus 13 Tönen besteht, entsteht eine Phasenverschiebung, die den weiteren Verlauf bestimmt.43 In »… le tout petit macabre« nimmt Kurtág also nicht nur auf Ligetis spezifischen Humor, sondern auch auf ein strukturelles Detail Bezug, das in Le grand macabre im Zusammenhang mit der Farce des Todes steht. Eine gewisse gestische Ähnlichkeit der Reihenverläufe bei Kurtág und Ligeti ist ebenfalls nicht zu übersehen (Notenbeispiel 5: dem Ton B kommt dabei auch insofern Bedeutung zu, als er in der Zwölftonreihe keinen Platz findet – er verdoppelt den kurz zuvor erklungenen Ton ais. Das ist möglicherweise der Grund für die Sprechgesang-Notation des B: ähnlich wie das gis, der 13. Reihenton, fällt auch dieser Ton ›aus der Reihe‹). Die Verknüpfung struktureller und semantischer Bezüge macht deutlich, dass auch Kurtágs Strategien des Humors im Zusammenhang mit der erörterten Sprachähnlichkeit stehen.44
Notenbeispiel 5: Vergleich der Zwölftonreihe aus György Ligeti, Le Grand Macabre, 3. Szene mit der Eröffnungsphrase aus György Kurtág, … le tout petit macabre – Ligetinek
In »… le tout petit macabre« kommt auch dem Wechsel der Stimmfärbung ein zentraler Stellenwert zu (mezza voce, sotto voce, dolce, etc). Diese Wechsel sind derart häufig, abrupt und kurzatmig, dass sie unweigerlich komisch wirken. Insgesamt entsteht die Färbung des Vokalparts aber auch durch colla parte mitgeführte Instrumente. Mit solchen Verfremdungstechniken45 spielt Kurtág auf Ligetis Aventures an, in denen dieser eine ähnliche Strategie verfolgte:
»Ich wollte die Instrumente einsetzen, ein bißchen in dem Sinn, daß die phonetische Komposition, die in den Sängern stattfindet, durch die klangfarblichen Möglichkeiten der Instrumente moduliert, etwas verändert, auch bereichert wird. Es gibt keinen selbständigen Instrumentalpart. Die Instrumente sind hier wirklich den Sängern untergeordnet.«46
Diese Unterordnung findet sich auch in »… le tout petit macabre« – besonders radikal im Violinpart, der sich ausschließlich auf kurze Geräuschimpulse beschränkt. Dies ist ebenso witzig wie die Eruption des Schlagwerks, welche die anfängliche Zurückhaltung mit einem plötzlichen Gewaltausbruch beendet.
Rhetorische Figuren47
Eine weitere Eigenschaft von Kurtágs Humor, die an Ligeti erinnert, ist die Tendenz zur Übertreibung und Überzeichnung rhetorischer Figuren. Kurtág setzt dabei insbesondere die folgenden Figuren ein.
a) aposiopesis
Versucht man, die Zäsuren und Pausen in Kurtágs Musik vor dem Hintergrund der Tradition der Musikalischen Rhetorik zu deuten, lässt sich die rhetorische Figur der aposiopesis ins Spiel bringen: In manchen Bach-Kantaten symbolisiert ein plötzliches und unvermutetes Schweigen das Vergängliche: den Tod. Die Zersplitterung in Einzelgesten, die sich in »… le tout petit macabre« findet, könnte man zunächst ähnlich verstehen: als Unfähigkeit zur Artikulation, die immer wieder vom Schweigen bedroht ist. Durch die Omnipräsenz dieses Gestus und die starre Mechanik des Ablaufs wird der existenzielle Ernst aber humorvoll verfremdet. Eben diese clowneske Doppelbödigkeit fand Kurtág bei Beckett48: Es handelt sich um jenen Galgenhumor, der aus der Stille kommt.
b) saltus duriusculus
Eine weitere rhetorische Figur, auf die sich Kurtág indirekt bezieht, ist diejenige des expressiven Sprungs – in der Tradition der musikalischen Rhetorik bezeichnete man sie als saltus duriusculus. Schon im Barock und in der Klassik standen weite Intervallsprünge für einen spezifischen Ausdrucksgehalt. Man denke etwa an die Arie der Pamina aus Mozarts Zauberflöte: Hier bedeutet ein immenser Sprung in die Tiefe die Unausweichlichkeit von Tod und Verzweiflung (»so wird Ruh im Tode sein«). Bei Webern werden solche Gesten mit zusätzlicher Expressivität aufgeladen. Bei Kurtág schließlich gehen manche Intervallsprünge über den ›normalen‹ Stimmambitus so weit hinaus, dass sie nicht mehr expressiv, sondern übertrieben grotesk wirken. Auf diese Weise wird übersteigerte Expressivität offen als komisch entblößt. Dies wird immer wieder auch durch Vortragsanweisungen wie »troppo dolce« (»… le tout petit macabre«, Phrase II/3) verdeutlicht.
c) Lamentofiguren
Zu Beginn von Beethovens Les-Adieux-Sonate op. 81a findet sich eine Melodik, die barocken Lamentofiguren nachempfunden ist: Eine absteigende Ganztonfolge verbindet sich mit Intervallvergrößerungen (große Terz, Quint, kleine Sext), die trugschlüssig in die VI. Stufe münden. Auf solche Figuren wurde in der Musiktradition des 19. und 20. Jahrhunderts häufig zitatartig Bezug genommen.49 So greift sie z. B. Mahler im Adagio seiner Neunten Sinfonie auf. Die trugschlüssige Wendung wird hier allerdings durch Chromatisierung verfremdet. An diese Tradition des verfremdeten Zitierens schließt wiederum Ligeti im Trio für Violine, Horn und Klavier (1982) an: Zu Beginn dieses Werks wird die absteigende Ganztonmelodik zur Abfolge Ganzton-Ganzton-Halbton modifiziert. Auch im weiteren Verlauf des viersätzigen Werks nehmen gebrochene und verfremdete Lamentofiguren eine zentrale Stellung ein. Die durch die Verfremdung gegebene Distanz wird infolge der Omnipräsenz der Figuren übersteigert und an den Rand grotesk-abgründigen Humors gerückt.50 Zuweilen verbindet sich dies mit collageartigem Komponieren. Das Gegenüberstellen unterschiedlicher Materialien legt ironische Brechung und kritische Reflexion nahe.51
Vor diesem Hintergrund lässt sich die Hommage à Ligeti in Kurtágs Hipartita für Violine solo op. 43 (2000–04) näher beleuchten.52 Der 1. Satz dieses Werks (Sostenuto, doloroso) ist hörbar durch Lamentofiguren53 geprägt. Dabei diente, wie die Detailanalyse zeigt, der 4. Satz aus Ligetis Horntrio als Modell. In gebrochener, collageartiger Form werden Elemente dieses Satzes bausteinartig neu zusammengesetzt. Ein Beispiel: Die großen Septen (z. B. d′ – cis″) und kleinen Nonen (z. B. dis′′′ – e′′′′), die den Beginn (S. 1, Systeme 1–3) und die Passage ab Tempo I (S. 2, Systeme 3–4) prägen, finden sich auch bei Ligeti (Horntrio, 4. Satz, ab T. 33). Die Lamentofiguren sind omnipräsent und zuweilen mit Figuren bei Ligeti deckungsgleich (z. B. S. 1, System 2: Hier erklingt das Lamento f′′′ – e′′′ – es′′′ – d′′′, das häufig im 4. Satz des Horntrios auftritt).