Mit Schalke machse wat mit. Группа авторов
Überfüllung gar nicht mehr hineinzukommen. Schwierig, das alles.
Zurück zur frühen Abfahrt. Neun Uhr also. Natürlich ist es komplett beknackt, so früh zum Stadion zu fahren. Man ist Stunden vor Anpfiff, ja sogar Stunden vor Öffnung der Stadiontore vor Ort. Ich weiß auch gar nicht mehr, was genau uns da geritten hat, aber es war halt einfach so. Vielleicht brauchten wir auch noch Karten und hatten, anders als sonst, größere Bedenken, keine mehr zu bekommen.
Wir fuhren also auf der oben beschriebenen Route über Bochum nach Gelsenkirchen. Im Großen und Ganzen lief alles problemlos, was natürlich in erster Linie auf das Bier zutraf. Das war auch nicht weiter schlimm, denn schließlich sollte an diesem Tag die gute Laune im Vordergrund stehen. Blöderweise aber hat man immer einen in der Truppe dabei, der sich nicht so ganz im Griff hat. In diesem speziellen Fall war der eine leider ich. Aus irgendwelchen ominösen Gründen bekamen mir die Massen an Bier zu dieser frühen Stunde bedauernswerterweise überhaupt nicht, sodass ich, gegen halb zwölf am Stadion angekommen, einen Bauzaun auf übelste Weise besudeln musste. Ja, das war für uns beide nicht angenehm, für meine Kumpels jedoch ein Mordsspaß. War ja klar. Wer Kotze am Schuh hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Der „Schlachtruf“ für diesen Tag war damit auch geklärt: „Philip hat gekotzt, Philip hat gekotzt, Philip, Philip, Philip hat gekotzt!“, skandierten die Jungs immer wieder voller Freude. Das muss man dann über sich ergehen lassen. Mit so einem Quatsch verhält es sich ähnlich wie mit unliebsamen Spitznamen: Je heftiger man sich gegen sie wehrt, desto mehr verfestigen sie sich und bleiben im schlimmsten Fall für immer kleben.
Als die Stadiontore sich endlich öffneten, tingelte unsere Gruppe dann recht zielstrebig in Richtung Norden. Noch schnell ein Bierchen eingesammelt und ab in die Kurve. Im Gegensatz zum restlichen Stadion war die Nordkurve schon relativ früh sehr gut besetzt. Oppa Pritschikowski, die üblichen Gesänge und Fanfolklore, mal hier, mal dort. Man kennt das. Manche Besucher hatten schon jetzt einen so langen Tag hinter sich, dass sie die Zeit bis zum Anpfiff nutzten, um sich sitzend noch ein wenig auf den Stufen der Kurve auszuruhen. Meine Wenigkeit gehörte zu dieser Gruppe. Still ein wenig dasitzen, am Bier nippen und zwischen den ganzen stehenden Menschen versuchen, ein paar Sonnenstrahlen abzugreifen, das war jetzt genau das Richtige. Bis ich es plötzlich wieder neben mir hörte: „Philip hat gekotzt, Philip hat gekotzt, Philip, Philip, Philip hat gekotzt!“ Immer wieder. Erst einer, dann zehn, dann fünfzig Leute. Dann noch mehr. Zahlenmäßig lässt sich sowas ja immer schwer einschätzen, aber die Worte waren nun doch recht deutlich in der Kurve zu vernehmen. Heiliger Bimbam! Was jetzt? Lange kann ich nicht drüber nachgedacht haben, denn im nächsten Moment fand ich mich, das Gegröle befeuernd, auf einem Wellenbrecher stehend, wieder. Das war vielleicht ein bisschen albern und ganz sicher ziemlich bescheuert, aber ich muss bis heute grinsen, wenn ich an diesen Moment denke. Das war irgendwie ein guter Moment an dem Tag.
Später saßen ein paar von unserer Gruppe – da es zwischendurch drunter und drüber ging, waren wir etwas dezimiert – noch sehr lange zusammen an einer kleinen Brücke auf dem Weg vom Stadion zur Straßenbahnhaltestelle und tranken Bier in der Abendsonne. Durch einen milchigen Schleier sah ich immer wieder Schalker an mir vorbeiziehen, die sich Erinnerungsstücke ergattert hatten: ein bisschen Rasen, etwas vom Tornetz, demontierte Sitzbänke. Traurige Erinnerungsstücke. Es war der Abend des 19. Mai 2001.
Siegprämie
■ DIETMAR BARTEN
Ich sitze hier am Kaffeetisch mit einem Zeitzeugen, der ein in der königsblauen Historie unbedeutendes Spiel live und in Farbe vor Ort gesehen hat. Für die Menschen in meiner Heimatstadt aber war dieses Spiel über Monate hinweg das Gesprächsthema.
Es war kalt und frostig an jenem Samstag im Januar 1947. Der sechsfache Deutsche Meister Schalke 04 gab sich die Ehre, um gegen die Dorffußballer der SG Geldern 1946 auf dem schneebedeckten Aschenplatz „Am Brühl“ zu einem der sogenannten Bratkartoffelspiele anzutreten. Lebensmittel waren knapp in diesem Winter, und die Fußballer aus Schalke nutzten jede Gelegenheit, ihren Kalorienhaushalt auszugleichen.
Doch wie kam es überhaupt zu diesem Spiel? Der in Duisburg wohnhafte Schalker Spieler Georg Gawliczek trainierte nebenher die Gelderner Fußballer und vermittelte dieses Freundschaftsspiel. Keine zwei Jahre später sollte er dann auch schon während seiner aktiven Karriere den Trainerlehrgang unter dem damaligen Bundestrainer Sepp Herberger absolviert haben.
Spielanzeige in der „Gelderner Post“ vom 18. Januar 1947
Foto vom Schalker Gastspiel in Geldern
Die über 6000 Zuschauer staunten nicht schlecht, als die Schalker Mannschaft aufgrund fehlender Busse auf der offenen Ladefläche eines Lastkraftwagens anreiste. Der nicht als überragender Torschütze bekannte Georg Gawliczek wettete vor dem Spiel noch mit den Gelderner Spielern, dass er ihnen sechs Tore reinmachen würde. Über den Wetteinsatz ist heute leider nichts mehr bekannt. Vermutlich bestand er ebenfalls aus Lebensmitteln.
Der Schalker Kreisel dominierte das Spiel von Beginn an. Klar zu erkennen war, dass Gawliczek von seinen Mitspielern immer wieder in gute Schusspositionen gebracht wurde. Beim 10:0-Sieg der Knappen erzielte er dann letztlich auch genau die prophezeiten sechs Tore.
Neben den üblichen Lebensmitteln fuhren die Knappen nach dem Spiel noch mit einer etwas bizarren Siegprämie zurück: Auf der Ladefläche des Lkws lag ein halbes Pferd. Pferdefleisch war in jener Zeit sehr begehrt, war es doch nicht nur sehr schmackhaft, sondern gleichzeitig sehr preiswert. So konnten sich auch Familien mit kleineren Einkommen ab und zu eine Fleischmahlzeit leisten – so wie nach diesem Spiel eben die Knappen aus Gelsenkirchen-Schalke.
Erst Eintracht, dann Liebe
■ MANFRED WINTER
Es war am 10. August 1991, ein Freund von mir klingelte morgens um zehn bei mir und meinte: „Ey, Manfred! Du bist doch Eintracht-Anhänger? Lass uns nach Frankfurt fahren, dort spielt Schalke!“ Mein Freund war S04-Fan, also gefragt, getan.
So sind wir denn nach Frankfurt, ohne Karten. Aber damals gab es ja noch Kassenhäuschen. Auto abgestellt, er in den Gästebereich abgedüst, ich zum Heimeingang.
Problem: Es gab keine Steherkarten mehr für den Heimblock. Sitzen aber war mir zu teuer, außerdem isses sowieso für den Arsch, auch damals schon. Ich also ans Auto, Frankfurt-Kappe abgelegt und schwupps in den Gästebereich gelaufen – da gab’s nämlich noch Karten. Meinen Freund gesucht, natürlich nicht gefunden, kein Wunder bei ca. 4000 Blau-Weißen im Waldstadion!
Egal. Ich in die Kurve der Schalker.
Schnelles 1:0, in der zweiten Halbzeit ein Doppelschlag: 2:0, 3:0 für die Eintracht – da musste ich mal kurz jubeln.
Manche fragen sich jetzt bestimmt, ob ich lebensmüde bin. Nein, bin ich nicht! Das war eines der besten Dinge, die ich in meinem Leben getan habe. Also das Thema Fußball betreffend, auch wenn es erst nich so aussah. Denn es tippte mir wer von hinten auf die Schulter und ein blau-weißer Zwei-Meter-Schrank stand plötzlich vor mir.
„Oh, oh, das gibt jetzt Ärger!, dachte ich mir. „Junge, komm mal mit nach draußen ...“, brummelte der Typ. Was blieb mir anderes übrig? Ich sah mich schon bei den Sanitätern um die Ecke. Draußen angekommen, lud er mich zu einem Bier ein, und wir unterhielten uns über Schalke und Fußball. Dass drinnen mittlerweile das 4:0 und 5:0 fiel (wieder Möller und Kruse), das war egal.
Nach dem Schlusspfiff meinte der Riese, ich sollte doch zum Rückspiel mal in die Nordkurve kommen und mir das mal unter Tausenden von Schalkern anschauen. Also tauschten wir Adressen und Telefonnummer aus (unglaublich, aber Handy gabs noch nicht).
Mein Freund kam total enttäuscht zum Auto, aber ich grinste nur. Ergebnis: nette Schalkers kennengelernt!
Rückspiel auf Schalke, im Dezember: kalt war’s. Ich traf mich mit dem Schalker vor der Nordkurve und betrat zum ersten Mal das Parkstadion. Das Endergebnis (1:1, Anderbrügge