James Bond 16: Kernschmelze. John Gardner

James Bond 16: Kernschmelze - John  Gardner


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bei einem Flugzeugunglück ums Leben. Es gibt ein wenig Geld – ein paar Tausend –, das Miss Peacock erhält, sobald sie ihr siebenundzwanzigstes Lebensjahr erreicht. Das wird nächstes Jahr der Fall sein.«

      Bond stellte laut fest, dass Lavender Peacock eine beeindruckende Frau sei, er aber auch glaube, sie von irgendwoher zu kennen – und das liege nicht nur an ihrer Ähnlichkeit mit der jungen Bacall.

      »Schon möglich, 007. Dieses Mädchen wird allerdings an einer kurzen Leine gehalten. In manchen Angelegenheiten ist der Laird sehr altmodisch. Lavender Peacock wird wie ein zerbrechliches Porzellanpüppchen behandelt. Sie hatte als Kind Privatlehrer und durfte nur ins Ausland reisen, wenn Murik und ein paar zuverlässige Wachhunde sie begleiteten. Diese Mashkin hat sie ein wenig herumgeschleppt, und Sie könnten ihr Bild in Verbindung mit dieser Kleiderfirma gesehen haben. Von Zeit zu Zeit erlaubt der Laird ihr, als Modell zu arbeiten – aber nur zu ganz besonderen Anlässen und immer in Begleitung der Wachhunde.«

      »Wachhunde?« Der Ausdruck machte Bond stutzig.

      M stand auf und ging zum Fenster. Er schaute auf den Park hinaus, der nur noch undeutlich zu erkennen war, während die Sonne langsam unterging und die Lichter der Stadt nach und nach angingen.

      »Wachhunde?«, wiederholte M. »Oh ja, hauptsächlich Frauen aus dem Umfeld der Mashkin und der Kleiderfirma.« Er drehte sich nicht zu Bond um. »Murik hat immer ein paar junge schottische Schlägertypen in der Nähe. Eine Art Leibwächter. Sie wissen ja, wie diese Leute sind. Sie sollen nicht nur sein Mündel, sondern die ganze Familie bewachen. Es gibt einen, der eine besondere Stellung innehat. Er ist so etwas wie der Leiter der Truppe. Wir haben kein Foto von ihm, aber ich habe eine Beschreibung erhalten. Er heißt Caber.«

      Eine lange Stille entstand. Schließlich holte Bond tief Luft. Er hatte sich das Triptychon aus Fotos vor sich auf dem Tisch angesehen. »Ich soll mich also bei dieser kleinen Gruppe einschmeicheln, herausfinden, warum Franco ihnen so viel Aufmerksamkeit widmet, und mich im Großen und Ganzen unentbehrlich machen?«

      »Ich denke, das wäre die geeignete Vorgehensweise.« M wandte sich vom Fenster ab. »Wir müssen das Spiel eine ganze Weile lang mitspielen, 007. Tatsächlich sogar sehr lange. Ich habe große Vorbehalte gegen Dr. Anton Murik. Er würde ohne zu zögern töten, wenn es für das Gelingen irgendeines Plans nötig wäre, von dem er besessen ist. Und wir wissen alle, dass er derzeit von dem Geschäft seines Ultrasicher-Kernreaktors besessen ist. Vielleicht steckt irgendein hirnrissiger Plan dahinter, bei dem er in eins von Francos Unternehmen investiert und damit großen Profit einstreicht – eine schnelle Nummer: genug Geld, um der Kommission für Atomenergie zu beweisen, dass sie falschliegt. Wer weiß? Es wird Ihre Aufgabe sein, das herauszufinden, James. Ihre Aufgabe und meine Verantwortung.«

      »Vorschläge, wie ich das anstellen soll, wären mir willkommen«, begann Bond, doch als M gerade etwas erwidern wollte, klingelte das rote Telefon auf seinem Schreibtisch.

      Für ein paar Minuten saß Bond schweigend da und lauschte Ms Seite der Unterhaltung mit Sir Richard Duggan. Als das Telefonat beendet war, lehnte sich M mit einem dünnen Lächeln zurück. »Damit wäre das also erledigt. Ich habe den MI5 darüber informiert, dass Sie bereit sind, einzuspringen und jeder Information nachzugehen, die sie mit uns teilen wollen, Duggan hat die Einzelheiten über seine Überwachungsleute hier drinnen zusammengefasst.« Er tippte mit den Knöcheln einer Hand auf die MI5-Akte. »Das übliche abenteuerliche Zeug, das sie zu mögen scheinen.«

      »Und Franco?«

      »Befindet sich definitiv auf Murik Castle. Sie haben es bestätigt. Keine Sorge, James, wenn er plötzlich abreist, werde ich jemanden auf ihn ansetzen, damit Sie Ihre Tarnung nicht aufgeben müssen.«

      »Da wir gerade von Tarnung sprechen …«, begann Bond.

      »Dazu komme ich gleich. Wie gelangen Sie in den Familienkreis? Nun, ich denke, Sie benutzen Ihren eigenen Namen, aber mit einer leicht abgeänderten Vita. Das können wir alles hier zusammenbasteln. Ein Söldner, denke ich. Sie haben gehört, was Ross über Muriks zweite Leidenschaft im Leben gesagt hat – Pferderennen. Tja, wie Sie wissen, laufen einige seiner Pferde nächste Woche in Ascot. Tatsächlich war das Pferd, das er für den Gold Cup angemeldet hat, erst einmal bei den drei großen Rennen dabei. Es heißt China Blue. Unser Freund, der Laird von Murcaldy, scheint ihnen gern beim Trainieren und Laufen zuzusehen – er genießt das ganze Drumherum mit den Rennstrecken und Trainern.«

      »Nur zum Spaß«, sagte Bond, und M schaute ihn einen Augenblick lang merkwürdig an.

      »Ich schätze schon«, erwiderte M schließlich. »Aber Muriks Besuch in Ascot nächste Woche sollte uns die Gelegenheit liefern. Sofern es keine kurzfristige Planänderung gibt, sollten Sie wohl in der Lage sein, am Tag des Gold Cups den Kontakt herzustellen. Damit bleibt uns noch genug Zeit, um Sie ausreichend vorzubereiten und anständig auszurüsten, was?«

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      DER WEG NACH ASCOT

      Abgesehen von den großen Golfturnieren interessierte sich James Bond nicht sonderlich für jene Ereignisse, die nach wie vor das darstellten, was die Klatschkolumnisten – und die Schmarotzer, die Lippenbekenntnisse abgaben und ihnen Informationshappen zur Verfügung stellten – als »die Saison« bezeichneten. Ihn zog nichts nach Wimbleton, zur Henley-Regatta oder zum Royal Ascot. Die Tatsache, dass Bond ein standhafter Monarchist war, änderte nichts an den ernsten Bedenken, die er hegte, als er den Saab am Tag des Gold Cups in Richtung Ascot steuerte.

      Sein Leben war seit dem Freitagabend der vergangenen Woche, an dem M beschlossen hatte, Bond ins Herz der Welt des Lairds von Murcaldy einzuschleusen, sehr betriebsam gewesen.

      Im Inneren des Gebäudes am Regent’s Park stellte man keine Fragen, wenn ein plötzliches Verschwinden eines Mitarbeiters oder ein Ausbruch hektischer Aktivität die Tagesabläufe durcheinanderbrachten. Obwohl Bond gelegentlich auftauchte, wenn er von einer Besprechung zur nächsten eilte, hielt er sich nicht in der Nähe seines Büros auf.

      Tatsächlich arbeitete Bond während dieser Vorbereitungsphase ganze siebzehn Stunden pro Tag. Für den Anfang gab es lange Besprechungen mit M in dessen großem Büro, das kürzlich renoviert worden war und nun von Coopers Gemälde von Admiral Jervis’ Flotte, die 1797 vor Cap St. Vincent über die Spanier triumphierte, dominiert wurde. Das Bild war eine Leihgabe des National Maritime Museum an den Secret Service.

      Während der folgenden Wochen sollte sich Bond oft an diese Schlachtszene vor dem Hintergrund eines düsteren Himmels und die Darstellungen der britischen Krieger, der flatternden Flaggen und Banner erinnern, die durch die aufgewühlte See pflügten, die vom Glühen des Feuers und dem Rauch der Kanonen eingefärbt wurde.

      Unter diesem Gemälde führte M Bond ruhig durch alle logischen Möglichkeiten der vor ihm liegenden Situation. Er eröffnete ihm das Ausmaß, in dem Anton Murik kürzlich in Unternehmen investiert hatte, die alle auf die ein oder andere Weise mit Atomenergie zusammenhingen, und verriet ihm seine schlimmsten insgeheimen Befürchtungen bezüglich möglicher Pläne, die der Laird von Murcaldy in diesem Augenblick aushecken mochte.

      »Das Teuflische daran ist, James«, erklärte M ihm eines Abends, »dass dieser Murik seine Finger in einem Dutzend Märkten hat – in Europa, im Nahen Osten und sogar in Amerika.« Bisher hatte M die CIA noch nicht informiert, aber er hatte sich mit der Tatsache abgefunden, dass es nötig sein würde, falls sich Bond gezwungen sah – durch die Anstellung, die er bei Anton Murik zu ergattern hoffte –, innerhalb der streng behüteten Sphären des amerikanischen Einflussbereichs zu operieren.

      In erster Linie bestand die Idee darin, Bond als eine Art wandelndes Abhörgerät in Muriks Gefolge unterzubringen. Natürlich musste er aus diesem Grund viel Zeit mit den Mitarbeitern der Q-Abteilung verbringen, den Experten für alle genialen technischen Spielereien. In der Vergangenheit hatten ihn die ernsthaften jungen Männer, die die dortigen Werkstätten und Testbereiche bevölkerten, oft gelangweilt, aber die Zeiten änderten sich. Innerhalb des vergangenen


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