James Bond 16: Kernschmelze. John Gardner

James Bond 16: Kernschmelze - John  Gardner


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Atomenergie geworfen zu werden, Sir?«

      M zögerte nicht. »Zum einen ist er in Bezug auf Geschäftsangelegenheiten absolut skrupellos. Er hat sich bei einigen seiner Geschäfte mit den hier aufgeführten Firmen recht nah am Rand der Legalität bewegt. Mindestens zwei seiner Vorsitze erhielt er, indem er fast wortwörtlich über die Leichen anderer Männer ging.«

      »Die meisten guten Geschäftsmänner neigen zur Skrupellosigkeit …«, begann Bond, aber M hob eine Hand.

      »Da war noch etwas anderes«, sagte er. »Anton Murik ist in gewisser Hinsicht ein Fanatiker und neigt dazu, sich der Meinung der Leute anzuschließen, die gegen den Einsatz von Kernenergie und die Gefahren bei der Entsorgung von Atommüll protestieren. Er hat eine Kampagne gegen die Benutzung von bereits in Betrieb genommenen oder kurz vor der Inbetriebnahme stehenden Kernreaktoren ins Rollen gebracht. Weltweit. Sehen Sie, 007, der Mann behauptet, den ultimativen Reaktor entwickelt zu haben – ein Modell, das nicht nur Energie liefert, sondern auch den Abfall sicher entsorgt und keine Fehlfunktionen erleiden kann. Er nennt ihn den Murik-Ultrasicher-Reaktor.«

      »Und seine Kollegen haben ihm das nicht abgenommen?«

      »›Nicht abgenommen‹ ist eine Untertreibung. Seine Kollegen sagen, dass es in der Bauweise des Ultrasicher-Reaktors grobe Fehler gibt. Manche gehen sogar so weit, zu behaupten, dass das gesamte Ding potenziell hundert Mal gefährlicher ist als die derzeitigen Modelle – die Schnellbrutreaktoren, Siedewasserreaktoren, Druckwasserreaktoren, die gas- und graphitmoderierten Reaktoren und Schnellbrüter, die mit flüssigem Metall gekühlt werden. Murik wollte Fördergelder von der Kommission, um seinen eigenen Reaktor zu bauen und zu beweisen, dass seine Kollegen unrecht haben.«

      »Also drehten sie ihm den Geldhahn zu.«

      M bestätigte, dass sie genau das getan hatten, und Bond lachte erneut und wies darauf hin, dass etwas so Unbedeutendes wie Geld für einen Multimillionär keine Rolle spielen dürfte. »Murik könnte doch sicher einfach seinen eigenen Reaktor bauen – in seinem Garten hinterm Haus. Platz genug scheint dort ja zu sein.«

      M seufzte. »Wir reden hier von mehreren Milliarden Dollar, Milliarden Pfund Sterling, James. Anton Murik hat sich mit seinen Kollegen gestritten. Offenbar gab es ein paar heftige Auseinandersetzungen und Andeutungen, dass der Mann alles andere als zurechnungsfähig ist.« Er berührte seine Stirn mit einem seiner Zeigefinger. »Das ist auch der Grund, warum mich die Tatsache, dass er Kontakt zu einem Burschen wie Franco hat, so beunruhigt. Und es ist der Grund, warum ich auf keinen Fall zulassen werde, dass Sie sich unvorbereitet in diesen Auftrag stürzen. Ich könnte natürlich falschliegen, aber ich glaube wirklich nicht, dass eine Woche oder so einen großen Unterschied machen wird. Vor allem wenn ich Sie in dieser Zeit zu einem idealen Maulwurf machen und Sie in Muriks Gefolge unterbringen kann. Und abgesehen davon«, M machte sich daran, wieder in seinem eigenen Dossier zu blättern, »denke ich, dass es besser wäre, wenn Sie Anton Murik in seinem eigenen Haushalt begegnen.« Er zog mehrere Fotos aus den Tiefen der dicken Aktenmappe.

      »Dann werden Sie Duggans Anfrage also offiziell ablehnen?« Bond konzentrierte sich nun voll und ganz auf den vor ihm liegenden Auftrag. Die lange Zeit der Untätigkeit spielte für ihn keine große Rolle. Mit seiner Arbeit war es wie mit Schwimmen oder Tauchen: Sobald man die Grundlagen beherrschte, kam die Professionalität im Handumdrehen zurück, wenn sich etwas Wichtiges ergab. Welchen Plan Franco oder Dr. Anton auch ausheckten, Bond würde nun keine Ruhe mehr geben, bis er diesen Auftrag beendet hatte, egal als wie gefährlich oder anstrengend oder langweilig er sich herausstellen mochte.

      M schnaubte. »Duggan hat zwei gute Leute im Einsatz. Sie haben bereits vier Mal versucht, sich an Francos Fersen zu heften – also haben sie darin jede Menge Übung. Das sollte sie irgendwann zu Meistern ihres Fachs machen. Ich vertraue darauf, dass sie den Ort, von dem aus er das Land verlässt, dieses Mal ausfindig machen werden. Wir werden Franco beschatten lassen, wenn der richtige Moment dafür gekommen ist. Ihre Aufgabe ist zu wichtig …« Er musste den fragenden Ausdruck auf Bonds Gesicht gesehen haben. »Und sagen Sie mir nicht, dass ich Sie in den Zuständigkeitsbereich des MI5 schicke. Das weiß ich, und Sie wissen es ebenfalls, aber ich habe so ein Gefühl, dass das nicht lange anhalten wird. Sie werden Schottland verlassen, sobald das, was immer sie da zusammenbrauen, anfängt zu kochen. Und nun schauen wir uns ein paar hübsche Bilder an.«

      Zuerst erklärte er das Offensichtliche. Da er ein Schloss und ein riesiges Anwesen besaß, hatte der Laird von Murcaldy jede Menge Angestellte, auf die er jederzeit zurückgreifen konnte. »Er hat dort oben Wildhüter, Aufseher und jede nur vorstellbare Art von Bediensteten, von Fahrern bis hin zu Wachen. Was also den Laird angeht, hat er kein wirkliches Sicherheitsproblem. Es gibt allerdings noch einen zentralen Familienkern. Zuallererst ist da der Doktor selbst.«

      Das Foto zeigte ein kampflustiges Gesicht, das dem des verstorbenen Lord Beaverbrook ähnelte, nur dass es keine Lachfalten um den Mund herum hatte. Eine Bulldogge von einem Mann mit kalten Augen, die auf jemanden oder etwas – mit Sicherheit nicht auf die Kamera – leicht rechts von ihm gerichtet waren. Der Mund war eine harte, unnachgiebige Linie, und die Ohren, die sehr flach an seinem Kopf anlagen, verliehen ihm eine seltsame, symmetrische Kontur. Fotos konnten trügerisch sein – Bond wusste das nur zu gut –, aber dieser Mann, der von einem schnellen Klicken und dem Schließen einer Blende auf das Papier gebannt worden war, hätte der Sohn eines Pfarrers sein können. Er hatte dieses leicht puritanische Aussehen – ein Verfechter von Disziplin, einer, der wusste, was er wollte, und seinen Willen durchsetzen würde, egal was ihm im Weg stand. Bond fühlte sich ein wenig unwohl. Er würde nicht offen zugeben, dass er beim Anblick eines Fotos etwas so Heftiges wie Angst empfand, aber das Bild machte deutlich, dass der Laird von Murcaldy eine Gewalt war: eine Macht.

      Der nächste Abzug zeigte eine Frau, die vermutlich Anfang vierzig war, sehr gut aussah und scharfe, klassische Züge sowie dunkles, hochtoupiertes Haar hatte. Ihre Augen waren groß, aber nicht unschuldig – fand Bond. Selbst auf diesem Bild schienen sie eine Fülle an weltlichem Wissen zu enthalten, und der Mund war zwar groß, wirkte aber nicht unproportional. Die Mundwinkel waren leicht nach oben gezogen, wodurch die Gesichtszüge ein wenig milder schienen.

      »Miss Mary-Jane Mashkin«, sagte M, als würde das alles erklären.

      Bond warf seinem Vorgesetzten einen fragenden Blick zu. Das Komma aus Haaren hing über seine rechte Augenbraue, als wollte es ein Fragezeichen bilden.

      »Seine graue Eminenz, wie manche behaupten.« M paffte an seiner Pfeife, als wäre er ein wenig peinlich berührt. »Zweifellos Muriks Geliebte. Sie war zehn Jahre lang seine Sekretärin. Sie ist Muriks starker rechter Arm und seine persönliche Beraterin. Sie ist ausgebildete Physikerin. Universität von Cambridge, genau wie der Laird, allerdings nicht sein Maßstab, wie es scheint. Sie fungiert für ihn als Gastgeberin und lebt in Murik Castle. Sie reist mit ihm, isst mit ihm … und macht auch sonst alles mit ihm.«

      Bond überlegte, dass er mit seiner Einschätzung bezüglich des Puritanismus falschgelegen haben könnte, revidierte den Gedanken dann aber. Es war durchaus möglich, dass Anton Murik ein starkes Moralempfinden im Hinblick auf die Handlungen anderer Personen hatte, während er sich selbst von derartigen Einschränkungen ausschloss. So etwas kam ständig vor. Zum Beispiel bei den Leuten, die gegen Fernsehsendungen und Filme protestierten und sich dabei einbildeten, dass sie selbst gegenüber moralischen Gefahren immun waren.

      »Ich vermute, dass er sich in vielen Angelegenheiten von ihr beraten lässt, aber ich bezweifle, dass sie ihn bei sehr wichtigen Entscheidungen beeinflussen kann.« M schob ein drittes Foto in Bonds Richtung.

      Es zeigte eine weitere Frau. Sie war sehr viel jünger und, sofern das Bild die Realität widerspiegelte, absolut umwerfend. Dichtes blondes glattes Haar rahmte ihr Gesicht ein, das an die junge Lauren Bacall erinnerte. Es wies die gleichen hohen Wangenknochen und verführerischen dunklen Augen auf, und der Mund war aufgrund der Sinnlichkeit der Unterlippe bemerkenswert. Die Brauen über den Augen waren natürlich geformt und sahen wie eine Art verlängerter Zirkumflex aus. Bond gestattete sich ein fast unhörbares leises Pfeifen.

      M unterband diese reflexartige Reaktion sofort: »Anton Muriks Mündel. Miss Lavender Peacock. Die Art ihrer


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