James Bond 16: Kernschmelze. John Gardner

James Bond 16: Kernschmelze - John  Gardner


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dort einen Tipp. Er fuhr geradewegs nach King’s Cross und nahm den ersten Zug nach Edinburgh. Er wird sein Ziel mittlerweile erreicht haben. Wir erwarten jeden Moment weitere Berichte.«

      Zwischen den vier Männern breitete sich Stille aus, die nur vom Kratzen von Ms Streichholz unterbrochen wurde, als er seine Pfeife anzündete. Bond sprach schließlich als Erster. »Und er besucht …?« Er ließ die Frage in der Luft hängen wie Ms Pfeifenrauch.

      Duggan räusperte sich. »Der Großteil des Landes, einschließlich des Dorfes Murcaldy befindet sich im Besitz einer einzigen Familie – den Muriks. Seit mindestens drei Jahrhunderten, vermutlich länger, sind die Muriks die Lairds von Murcaldy. Es sind fast schon feudale Zustände. Murik Castle, das im sechzehnten Jahrhundert erbaut wurde, wurde im Laufe der Jahre oft modernisiert. Und dann gibt es noch die Ländereien der Muriks – Bauernhöfe sowie Jagd- und Fischgründe. Der aktuelle Laird ist außerdem eine Berühmtheit auf anderen Gebieten – Dr. Anton Murik, Leiter diverser Firmen und ein ebenso angesehener wie exzentrischer Kernphysiker.«

      »Er trat erst kürzlich aufgrund irgendwelcher Unstimmigkeiten aus der internationalen Forschungskommission für Atomenergie aus«, fügte Ross hinzu. »Und wie Sie sehen werden, gibt es ernsthafte Zweifel bezüglich seines Anspruchs auf den Titel des Lairds von Murcaldy.«

      Bond lachte. »Tja, Anton ist nicht gerade ein bekannter schottischer Name. Aber wo komme ich ins Spiel?« Er hatte bereits eine recht gute Vorstellung, aber es hatte keinen Zweck, die Sache zu überstürzen.

      Duggans Gesichtsausdruck veränderte sich nicht: Die steinernen, gut aussehenden Züge wirkten bei genauerem Hinsehen makelbehaftet. Als er erneut sprach, war die übliche Gewandtheit von ihm abgefallen. »Franco hat Dr. Murik mittlerweile mit ziemlicher Sicherheit vier Besuche abgestattet. Dies wird sein fünfter sein. Ein internationaler Terrorist und ein Kernphysiker von nicht unerheblicher Bedeutung: Wenn man beides addiert, erhält man eine durchaus alarmierende Situation. Bei jeder Gelegenheit hat Franco das Land wieder verlassen, vermutlich – und hier können wir nur raten – über einen schottischen Hafen oder Flughafen. Wir bauen auf die Möglichkeit, dass sein Geschäft mit Murik noch ein wenig länger braucht, um zu einem Abschluss zu kommen, aber sobald er Großbritannien verlässt, sind uns die Hände gebunden. Wir sind heute hier, um Sie zu bitten, uns dabei zu helfen, seine Bewegungen außerhalb des Landes zu verfolgen.«

      Nun war es an Bond, zu nicken. »Und Sie wollen, dass ich mal kurz nach Schottland düse, Kontakt herstelle und ihm aus dem Land folge?«

      Duggan zögerte. »Nur wenn Ihnen das … ähm … passt. Aber ich glaube wirklich nicht, dass uns für diese Reise noch viel Zeit bleibt. Anton Murik besitzt eine Reihe Rennpferde, die er in England trainieren lässt. Zwei davon laufen am kommenden Wochenende in Ascot – eins sogar für den Gold Cup. Das ist abgesehen von der Kernphysik seine einzige Leidenschaft. Franco wird entweder Mitte der Woche abreisen oder auf dem Schloss auf Muriks Rückkehr aus Ascot warten.«

      Bond streckte seine Beine aus und dachte nach. Falls es tatsächlich eine bösartige Verbindung zwischen Franco und Murik gab, deutete das Timing darauf hin, dass dies nicht Francos letzter Besuch sein würde. Aber man konnte nie wissen.

      Duggan war aufgestanden. »Ich habe alle Informationen an M weitergeleitet.« Er deutete auf die Aktenmappe auf dem Schreibtisch – die Bond für eins von Ms Dossiers gehalten hatte –, während er die Fotos einsammelte und sie in seiner Aktentasche verstaute. »Er weiß auch, wie man meine Leute im Einsatz kontaktieren kann und all das. Wir sind hergekommen, um Sie im Interesse des Landes um Unterstützung zu bitten. Es wird Zeit, an einem Strang zu ziehen, und ich muss Ihnen nun die letzte Entscheidung überlassen.«

      M paffte seine Pfeife. »Ich werde Commander Bond über alles in Kenntnis setzen«, sagte er freundlich. »Ich melde mich später am Abend bei Ihnen, Duggan. Wir werden tun, was wir können – in jedermanns Interesse.«

      Die beiden Polizisten verabschiedeten sich recht herzlich von M und Bond, und sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, ergriff M das Wort. »Was halten Sie davon, 007?«

      James Bonds Herz machte einen Sprung und er spürte, wie eine neue Dringlichkeit durch seine Venen raste. Es war lange her, dass M ihn mit 007 angesprochen hatte, und es bedeutete, dass er durchaus schon bald wieder zu einer Reise ins wahre Unbekannte aufbrechen mochte. Er konnte die Möglichkeiten beinahe riechen.

      »Also, was halten Sie davon?«, wiederholte M.

      Bond zündete sich eine weitere Zigarette an und schaute zur Decke hoch, bevor er sprach. »Ich könnte mir vorstellen, dass Sie mich noch heute Abend nach Schottland schicken wollen.« Ms Blick verriet nichts, während Bond fortfuhr. »Das ist keine gute Mischung – ein internationaler Terrorist und ein berühmter Kernphysiker. Das ist schon seit einer ganzen Weile einer der großen Albträume, nicht wahr, Sir? Dass eine Gruppe nicht nur die Materialien in die Hände bekommt, sondern auch die Mittel hat, eine wirklich tödliche Nuklearwaffe zu bauen? Wir vermuten, dass ein paar von ihnen die Materialien haben – zum Beispiel dieser Achmed Yastaff, den ich für Sie ausgeschaltet habe. Mindestens vier der Schiffe, die er verschwinden ließ, hatten Materialien geladen …«

      M schnaubte. »Seien Sie kein Narr, 007. Eine so simple Waffe zusammenzubasteln, ist das Einfachste auf der Welt. Ja, sie haben zweifellos die Materialien – und fragen Sie mich nicht, wen ich mit »sie« meine. In dieser Angelegenheit müssen Sie logisch denken. Wenn irgendeine der existierenden Terrororganisationen eine selbstgebaute Bombe benutzen wollte, um eine Regierung zu erpressen, könnte sie das tun. Aber dass ein Mann wie Franco Umgang mit einem alten Teufel wie dem Laird von Murcaldy hat – nun, das ist eine ganz andere Sache und könnte eine von zwei Möglichkeiten bedeuten.«

      »Ja …?« Bond lehnte sich vor.

      »Erstens«, M zählte den Punkt am Zeigefinger seiner linken Hand ab, indem er mit dem seiner rechten dagegen tippte. Die Pfeife hatte er im Mundwinkel und hielt sie mit den Zähnen fest, während er sprach. »Erstens könnte es bedeuten, dass Franco eine sehr gut entwickelte Operation vorbereitet und Anton Murik aufgrund seines Expertenwissens um Hilfe bittet. Zweitens« – die Finger bewegten sich – »könnte es genau umgekehrt sein: Dr. Anton Murik braucht Francos Hilfe für irgendein eigenes kleines Abenteuer. Beide Möglichkeiten würden mehr als nur fünf kurze Besuche von Franco erfordern.«

      »Und ist Anton Murik zu beidem in der Lage?« Bond runzelte die Stirn. Er konnte absolut nichts in Ms wettergegerbtem Gesicht lesen, und das war immer ein Warnsignal. Hinter dieser Sache steckte sehr viel mehr als die Informationen, die ihnen »die Opposition« mitgeteilt hatte.

      »Er ist nicht nur dazu in der Lage, sondern auch ein äußerst wahrscheinlicher Kandidat.« M öffnete eine Schreibtischschublade und warf eine weitere Aktenmappe auf die, die ihnen die Leute vom MI5 zur Verfügung gestellt hatten. »Wir haben Dr. Anton Murik nun schon seit einer ganzen Weile auf dem Kieker.« Er tippte auf die beiden Aktenmappen. »Was Ross Ihnen erzählt hat, ist eine leichte Untertreibung – diese Sache, dass Murik wegen Unstimmigkeiten aus der internationalen Kommission für Atomenergie ausgetreten ist. Die haben nicht alle Fakten. Wir schon. Murik ist wegen einer verdammt heftigen Auseinandersetzung ausgetreten, 007. Tatsächlich wurde der Mann sogar rausgeworfen und reagierte darauf nicht gerade freundlich. Er ist ein brillanter Mann mit einer Menge Ressourcen.«

      M nahm die Pfeife aus dem Mund und schaute Bond direkt in die Augen. »Sogar sein Titel – Laird von Murcaldy – ist mehr als nur ein wenig suspekt, wie Ross erwähnte. Nein, ich beabsichtige nicht, Sie nach Schottland zu schicken, 007. Meine Aufgabe besteht darin, Sie anständig zu informieren, Ihnen gute Unterstützung zu gewähren sowie Ihnen eine brauchbare Tarnung zu verschaffen. Zum Teufel mit ›der Opposition‹ und ihrem Überwachungsteam. Ich will, dass Sie so nah wie möglich an Murik herankommen. Sie sollen ihn unterwandern. Doch bevor wir dazu kommen, gibt es noch einiges, das Sie über den sogenannten Laird von Murcaldy wissen sollten.«

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      DOSSIER ÜBER EINEN


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