Radetzkymarsch. Йозеф Рот

Radetzkymarsch - Йозеф Рот


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des Fremden mit freundschaftlichem Schlag auf die gestreifte Hose des Bezirkshauptmanns niederfallen und den abwehrenden sanften Rückzug des väterlichen Oberschenkels. Da saß nun der Alte, würdig wie sonst, zurückgelehnt und gleichsam abgehalten vom Alkoholgeruch, der gegen seine Brust und sein Angesicht gerichtet war, lächelte und ließ sich alles gefallen. «Solltest dich renovieren lassen», sagte der Maler. «Schäbig bist du geworden! Dein Vater hat anders ausgesehn.»

      Der Bezirkshauptmann strich seinen Backenbart und lächelte.

      «Ja, der alte Trotta!» begann wieder der Maler.

      «Zahlen!» sagte plötzlich leise der Bezirkshauptmann. «Du entschuldigst, Moser, wir haben eine Verabredung.»

      Der Maler blieb sitzen, Vater und Sohn verließen den Garten. Der Bezirkshauptmann schob seinen Arm unter den des Sohnes. Zum erstenmal fühlte Carl Joseph den dürren Arm des Vaters an der Brust. Die väterliche Hand im dunkelgrauen Glacéhandschuh lag in leicht gekrümmter Zutraulichkeit auf dem blauen Ärmel der Uniform. Es war die gleiche Hand, die, hager und zürnend, umscheppert von der steifen Manschette, mahnen konnte und warnen, mit leisen und spitzen Fingern in Papieren blättern, die Schubladen mit grimmem Ruck in ihre Fächer stieß, Schlüssel so entschieden abzog, daß man glauben konnte, die Schlösser seien für alle Ewigkeit versperrt. Es war die Hand, die mit lauernder Ungeduld auf die Tischkante trommelte, wenn es nicht nach dem Willen ihres Herrn ging, und an die Fensterscheibe, wenn im Zimmer irgendeine Verlegenheit entstanden war. Diese Hand hob den mageren Zeigefinger, wenn jemand im Haus etwas unterlassen hatte, ballte sich zur stummen, niemals aufschlagenden Faust, bettete sich zärtlich um die Stirn, nahm behutsam den Zwicker ab, bog sich leicht um das Weinglas, führte die schwarze Virginia liebkosend zum Mund. Es war die linke Hand des Vaters, dem Sohn seit langem vertraut. Und dennoch war es, als erführe er jetzt erst, daß es die Hand des Vaters war, die väterliche Hand. Carl Joseph verspürte das Verlangen, diese Hand an seine Brust zu drücken.

      «Siehst du, der Moser!» begann der Bezirkshauptmann, schwieg eine Weile, suchte nach einem gerecht abwägenden Wort und sagte endlich: «Aus dem hätte was werden können!»

      «Ja, Papa!»

      «Wie er das Bild vom Großvater gemacht hat, war er sechzehn Jahre alt. Waren wir beide sechzehn Jahre alt! Es war mein einziger Freund in der Klasse! Dann ist er in die Akademie gekommen. Der Schnaps hat ihn halt erwischt. Er ist trotzdem . . .» Der Bezirkshauptmann schwieg und sagte erst nach ein paar Minuten: «Unter allen, die ich heut’ wiedergesehn hab, ist er trotzdem mein Freund!»

      «Ja — Vater.»

      Zum erstenmal sagte Carl Joseph das Wort «Vater»! — «Jawohl, Papa!» verbesserte er sich schnell.

      Es wurde dunkel. Der Abend fiel heftig in die Straße.

      «Du frierst, Papa?»

      «Keine Spur.»

      Aber der Bezirkshauptmann schritt rascher aus. Bald waren sie in der Nähe des Hotels.

      «Herr Statthalter!» erscholl es hinter ihnen. Der Maler Moser war ihnen offenbar gefolgt. Sie wandten sich um. Da stand er, den Hut in der Hand, mit gesenktem Kopf, demütig, als wollte er den ironischen Anruf ungeschehen machen. «Die Herren entschuldigen!» sagte er. «Habe zu spät bemerkt, daß mein Etui leer ist!» Er zeigte eine offene, leere Blechschachtel. Der Bezirkshauptmann zog ein Zigarrenetui. «Zigarren rauch’ ich nicht!» sagte der Maler.

      Carl Joseph hielt einen Zigarettenkarton hin. Moser legte umständlich die Mappe vor die Füße, auf das Pflaster, füllte seine Schachtel, bat um Feuer, hielt beide Hände um das blaue Flämmchen. Seine Hände waren rot und klebrig, zu groß im Verhältnis zu ihren Gelenken, zitterten leise, erinnerten an sinnlose Werkzeuge. Seine Nägel waren wie kleine flache schwarze Spaten, mit denen er eben in Erde, Kot, farbigem Brei und flüssigem Nikotin geschaufelt hatte. «Wir sollen uns also nicht mehr wiedersehen», sagte er und bückte sich nach der Mappe. Er stand auf, über seine Wangen rannen dicke Tränen. «Nie mehr wiedersehn!» schluchzte er. «Ich muß für einen Augenblick ins Zimmer», sagte Carl Joseph und ging ins Hotel.

      Er rannte die Stufen hinauf ins Zimmer, beugte sich aus dem Fenster, beobachtete ängstlich seinen Vater, sah, wie der Alte die Brieftasche zog, der Maler zwei Sekunden darauf mit verjüngten Kräften dem Bezirkshauptmann die schauerliche Hand auf die Schulter legte und hörte, wie Moser ausrief: «Also, Franz, am dritten, wie gewöhnlich!» Carl Joseph rannte wieder hinunter, es war ihm, als müßte er den Vater schützen; der Professor salutierte und trat zurück, ging, mit letztem Gruß, erhobenen Hauptes, mit nachtwandlerischer Sicherheit schnurgerade über die Fahrbahn und winkte vom gegenüberliegenden Bürgersteig noch einmal zurück, bevor er in einer Seitengasse verschwand. Aber einen Augenblick später kam er wieder zum Vorschein, rief laut: «Einen Moment!», daß es in der stillen Gasse widerhallte, setzte mit unwahrscheinlich sicheren und großen Sprüngen über die Fahrbahn und stand vor dem Hotel, so unbekümmert und gleichsam neu angekommen, als hätte er sich nicht erst vor ein paar Minuten verabschiedet. Und, als sähe er jetzt zum erstenmal seinen Jugendfreund und dessen Sohn, begann er mit einer klagenden Stimme: «Wie traurig ist es, sich so wiederzusehn! Weißt du noch, wie wir nebeneinander in der dritten Bank gesessen sind? In Griechisch warst du schwach, ich habe dich immer abschreiben lassen. Wenn du wirklich ehrlich bist, sag’s selbst, vor deinem Sprößling! Hab ich dich nicht alles abschreiben lassen?» Und zu Carl Joeph: «Er war ein guter Kerl, aber ein Traumichnicht, Ihr Herr Vater! Auch zu den Mädeln ist er spät gegangen, ich hab ihm Kurasch machen müssen, sonst hätt’ er nie hingefunden. Sei gerecht, Trotta! Sag, daß ich dich hingeführt habe!»

      Der Bezirkshauptmann schmunzelte und schwieg. Maler Moser machte Anstalten, einen längeren Vortrag zu beginnen. Er legte die Mappe auf das Pflaster, nahm den Hut ab, streckte einen Fuß vor und begann: «Wie ich zum erstenmal dem Alten begegnet bin, es war in den Ferien, du erinnerst dich doch.» Er unterbrach sich plötzlich und tastete mit hastigen Händen alle Taschen ab. Der Schweiß trat in dicken Perlen auf seine Stirn. «Ich hab’s verloren!» rief er aus und zitterte und wankte: «Ich habe das Geld verloren!»

      Aus der Tür des Hotels trat in diesem Augenblick der Portier. Er grüßte den Bezirkshauptmann und den Leutnant mit einem heftigen Schwung der goldbetreßten Mütze und zeigte ein unwilliges Gesicht. Es sah aus, als könnte er im nächsten Augenblick dem Maler Moser Lärm und Aufenthalt und Beleidigung der Gäste vor dem Hotel verbieten wollen. Der alte Trotta griff in die Brusttasche, der Maler verstummte. «Kannst du mir aushelfen?» fragte der Vater. Der Leutnant sagte: «Ich werde den Herrn Professor ein wenig begleiten. Auf Wiedersehn, Papa!» Der Bezirkshauptmann lüftete den Halbzylinder und ging in’s Hotel. Der Leutnant gab dem Professor einen Schein und folgte dem Vater. Der Maler Moser hob die Mappe auf und entfernte sich mit gemessen wankender Würde.

      Schon lag der tiefe Abend in den Straßen, und auch in der Halle des Hotels War es dunkel. Der Bezirkshauptmann saß, den Zimmerschlüssel in der Hand, den Halbzylinder und den Stock neben sich, ein Bestandteil der Dämmerung, im ledernen Sessel. Der Sohn blieb in achtungsvoller Entfernung von ihm stehen, als wollte er die Erledigung der Affäre Moser dienstlich melden. Noch waren die Lampen nicht entzündet. Aus dem dämmernden Schweigen kam die Stimme des Alten: «Wir fahren morgen nachmittag zwei Uhr fünfzehn.»

      «Jawohl, Papa.»

      «Es ist mir bei der Musik eingefallen, daß du den Kapellmeister Nechwal besuchen müßtest. Nach dem Besuch beim Wachtmeister Slama, versteht sich. Hast du noch was in Wien zu erledigen?»

      «Die Hosen abholen lassen und die Zigarettendose.»

      «Was sonst?»

      «Nichts, Papa!»

      «Du machst morgen vormittag noch deine Aufwartung bei deinem Onkel. Hast du offenbar vergessen. Wie oft bist du sein Gast gewesen?»

      «Jedes Jahr zweimal, Papa!»

      «Na also! Richtest einen Gruß von mir aus. Sagst, ich laß’ mich entschuldigen. Wie sieht er übrigens aus, der gute Stransky?»

      «Sehr gut, wie ich ihn zuletzt gesehen habe.»

      Der Bezirkshauptmann griff nach


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