Der Reiniger. Inger Gammelgaard Madsen

Der Reiniger - Inger Gammelgaard Madsen


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nickte bloß und überlebte das Level nicht, da er es nicht schaffte den Kopf zu bewegen und getötet wurde.

      „Hast du eingekauft?“

      „Ja, aber was zum Teufel bringt das, wenn du nicht heimkommst und Essen machst.“

      „Jetzt sei nicht sauer, Schatz.“ Sie beugte sich vor und machte einen Schmollmund.

      „Du hättest anrufen können.“

      „Ja. Entschuldigung! Morgen komme ich wohl früh nach Hause, dann können wir es uns richtig gemütlich machen.“

      Er zog den Kopf weg, als sie seine Wange streichelte und versuchte, ihn auf den Mund zu küssen. Er hasste es, wenn sie zu viel getrunken hatte und so wurde.

      „Ich habe heute einen Gruß von Papa bekommen“, sagte er, um das Ganze zu zerstören. Es klappte. Sofort stand sie auf und die Hand schnellte an ihren Hals, als wollte sie einen Schrei unterdrücken.

      „Von wem?“

      „Bloß einer, den Kasper kennt.“

      „Hat … hat er ihn besucht? Er ist doch wohl nicht draußen und …“

      Sie klang so erschrocken, dass Bertram bereute, es gesagt zu haben.

      „Nein, er ist nicht draußen, das weißt du doch. Erst in sechs Jahren, sagtest du.“

      „Ja, aber manchmal werden sie auf Bewährung entlassen, daher … Was hat er sonst noch gesagt? Dieser Freund von Kasper?“

      „Nur, dass Papa uns vermisst.“

      Sie schnaubte und nahm eine Zigarette aus der Schachtel auf seinem Tisch. Ihre Hände zitterten, als sie die Zigarette mit einem Einwegfeuerzeug, das er ihr reichte, anzündete.

      „Er vermisst wohl einfach jemanden, auf den er losgehen kann. Was anderes ist das sicher nicht!“, schnaubte sie, blies wütend den Rauch an die Decke und verschränkte wie zum Schutz die Arme vor der Brust.

      Bertram zuckte die Schultern. Er erinnerte sich nicht besonders gut an seinen Vater, er war erst sieben gewesen, als er im Knast gelandet war. Seine Mutter sagte, das sei wohl, weil er sich nicht erinnern wolle, hatte es aber nicht näher vertieft. Er wusste nur, dass sein Vater irgendwen ermordet hatte und dass Eva Maja ihn hasste. Mehr brauchte er auch nicht zu wissen.

      Er bemerkte, dass sie die Lederjacke entdeckt hatte und anstarrte. Innerlich fluchte er, sie nicht in den Schrank gehängt zu haben. Auf der anderen Seite kaufte er sich seine Klamotten selbst, also ging sie das ja nichts an. Aber sie lief zu dem Sessel, auf dem die Jacke lag, und hielt sie mit dem Zeigefinger am Aufhänger hoch. Ob sie sie wohl wiedererkannte? Kannte sie den Kunden, dem er sie gestohlen hatte? Vielleicht wusste sie auch, wozu die Liste in dem geheimem Netzwerk gebraucht wurde.

      „Wessen Jacke ist das?“, fragte sie spitz und sah ihn mit schmalen Augen an, die vor Misstrauen schwelten. Sie hatte ihn schon einmal beim Stehlen erwischt, aber das war viele Jahre her.

      „Meine natürlich, wenn sie in meinem Zimmer ist, glaubst du nicht?“

      „Nicht so vorlaut! Die sieht teuer aus. Woher hast du das Geld dafür?“ Ihre Augen waren hart und forschend und er schaute weg. Tat, als spielte er immer noch, obwohl er zum dritten Mal gestorben war.

      „Die hab ich gekauft … von meinem Gehalt.“

      „Verdient man so viel mit Werbung verteilen?“

      „Ja, wenn man spart.“

      „Du belügst mich doch nicht, oder?“

      „Nein, mach’ ich nicht! Warum glaubst du mir nie?“

      „Tu ich doch. Entschuldige, Schatz. Hast du was gegessen?“, fragte sie und strich ihm wieder über die Wange. Zum Glück lächelte sie. Erleichtert.

      Er zog wieder den Kopf von ihrer Hand weg.

      „Ich hab’ keinen Hunger.“

      Er starb wieder und gab auf. Konnte sich nicht konzentrieren.

      „Okay. Dann geh ins Bett, ja. Du solltest nicht die ganze Nacht vor diesem unheimlichen Spiel sitzen. Man kriegt ja Hirnschäden davon!“

      Sie ging und er wusste, er hatte es geschafft, ihre gute Laune zu verderben, indem er seinen Vater erwähnt hatte, aber das war ihm egal.

      Sobald sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, loggte er sich wieder in das geheime Netzwerk ein. Welchem Zweck diente es? Da standen nur diese Namen und dann …

      Die Seite war aktualisiert worden. Nun gab es einen Videoclip neben dem Bild dieses Typen. Zögernd drückte Bertram auf den weißen Pfeil in der Mitte; der Film startete. Ein Mann stand an einem offenen Fenster und schaute sich mit Entsetzen in den Augen um. Dann verschwand er. Ob er selbst sprang oder ob er geschubst wurde, konnte er nicht erkennen. Die Kamera verfolgte ihn, als ob Bertram selbst es tat, und er zuckte automatisch zurück, als er sah, wie tief es herunterging. Im Licht einer Straßenlaterne erahnte er die Silhouette einer Gestalt, die in einer unnatürlich verrenkten Stellung auf dem Bürgersteig lag. Das Bild verschwand für einen Moment, wo nur Dunkelheit war, dann kam es zurück. Jetzt wurde das Gesicht des Mannes aus der Nähe gefilmt. Die Kamera schwenkte darüber. Er war nicht ganz tot. Die Knochen auf der einen Seite des Gesichts waren nach der Begegnung mit dem Bürgersteig eingedrückt. Blut strömte hinaus und breitete sich schnell auf den Pflastersteinen aus. Die blutigen Lippen teilten sich, als versuchte er, etwas zu sagen, aber die Aufnahme war ohne Ton. Das eine Auge, vor Schmerzen und Angst leuchtend, starrte hoch in die Kameralinse. Da war auch noch ein anderer Ausdruck. Bertram rückte näher, um deutlicher zu sehen. Verblüffung. Als verstünde er nicht, was passierte. So war es wohl zu sterben. Plötzlich zuckte das Gesicht und ein lautloser Seufzer, gefolgt von noch mehr Blut, entwich seinem Mund. Dann wurde das Auge steif und der Ausdruck ließ Bertram sofort den Laptop ein bisschen zu fest zuklappen. Lange hielt er den Deckel des Laptops mit beiden Händen umklammert und blickte durch das Fenster hinaus in die Dunkelheit. Das war er. Julius Habekost. Und jetzt war er tot. Er versuchte, Felix anzurufen, aber er ging nicht dran.

      Bertram lag auf dem Rücken im Bett und starrte in die Luft. Es war Vollmond, das ufomäßige Licht fiel durch einen Spalt im Vorhang, zeichnete einen mystischen Streifen an die Wand hinter dem Tisch direkt über seinem Laptop und erhellte das Leder der Jacke. Wem gehörte sie? Bertram hatte nicht übel Lust aufzustehen und sie aus dem Fenster zu schleudern. Er beschloss, doch den Hehler zu fragen, ob der sie nicht haben und versuchen wollte, sie zu verkaufen.

      Er hatte vorher noch nie einen toten Mann in Wirklichkeit gesehen. Das Auge, aus dem plötzlich das Leben wich, starrte ihn weiter an, wenn er seine Augen schloss. Wieso hatte er nicht den Mut seines Vaters geerbt? Der hatte vor nichts Angst und war imstande gewesen, einen anderen Menschen zu töten. Felix, Kasper und Bjarke fanden, es wäre cool, so einen Vater zu haben. Sie meinten, dass der andere wohl selbst darauf aus gewesen sei und es verdient hatte zu sterben. Bertram bezweifelte es, denn an etwas konnte er sich doch erinnern. Die Fäuste seines Vaters, wenn er wütend wurde, und das wurde er schnell. Eva Maja hatte überall blaue Flecken gehabt, jedoch nicht, wo man sie sehen konnte, wenn sie Kleidung trug. Ab und zu hatte auch Bertram herhalten müssen, aber Eva Maja hatte jedes Mal eingegriffen, sodass sie die Aufmerksamkeit von ihm ablenkte. All das hatte sich geändert, als sein Vater ins Gefängnis gekommen und er allein mit seiner Mutter war. Sie hatte sich verändert. Aber er spürte auch, dass es etwas gab, an das er sich nicht erinnern konnte. Manchmal sah er kleine, kurze Blitze, wie wenn man sich an etwas aus einem Film, den man gesehen hat, erinnert, aber ansonsten den Rest der Handlung vergessen hat. Eva Maja wollte ihm nicht helfen. Sie sagte, es sei normal, dass man sich nicht an seine frühe Kindheit erinnern könne und dass das manchmal von Vorteil sei. Sie konnte sich auch nicht an ihre erinnern.

      Als die Amsel zu singen begann und das Mondlicht von der Morgendämmerung abgelöst wurde, bemerkte er, dass er doch geschlafen haben musste. Tatsächlich wirkte das Ganze bloß wie ein langer Traum, den etwas in seinem Gehirn im Laufe der Nacht erfunden hatte. Genau wie die Horrorstorys, die er schrieb, wenn er nicht schlafen konnte. Eine Fortsetzung


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