1431. Sophie Reyer

1431 - Sophie Reyer


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Und wenn sie verzückt ist, leuchtet gleichsam geisterbleich ihr ganzes Gesicht. Wenn sie die Stimme nicht hört, werden ihre Augen aber wieder heimatlos. Was bleibt, ist dann nur die Großmutter als Sicherheit: wie sie das Brot bäckt.

      »Was machst du mit den Resten, Großmutter?«, fragt Johanna.

      »Die gehören ins Feuer, die bringen dann Glück. Damit die toten Seelen singen!«, kommt es zur Antwort.

      »Ehrlich?«

      »Ja!«

      Die Großmutter reicht ihr ein Stück Brot.

      »Iss«, sagt sie.

      Johanna schüttelt den Kopf, weil ihr gerade wieder der tote Vogel einfällt.

      »Ich mag nicht!«

      »Die Gabe Gottes sollst du loben und schätzen!«, sagt die Großmutter ein wenig tadelnd.

      »Warum?«

      »Weil er sonst straft, Johanna!«

      Da springt Johanna auf und holt den toten Vogel aus der Lade, den sie aufgehoben hat. Die Großmutter blickt sie erstaunt an. Während ihr die Großmutter folgt, läuft Johanna indes in den Garten und beginnt zu graben.

      »Der Vogel ist tot. Was machst du, Johanna?«, will die Großmutter wissen.

      »Ich gebe ihn jetzt Gott zurück, Großmutter! Die Zeit ist gekommen.«

      Ein seltsames Kind ist sie, denkt die Großmutter und versteht nicht und fragt deshalb nach: »Das geschieht durchs Eingraben?«

      »Ja!«

      »Bist du sicher?«, will die Großmutter wissen.

      »Ja!«

      Johanna hält inne. Stille.

      »Das machen Menschen doch auch, oder?«, fragt sie dann und betrachtet ihre erdigen Hände. Die Großmutter lächelt.

      »Nicht alles, was Menschen machen, muss auch richtig sein!«, meint sie.

      Johanna überlegt. »Der Tod ist grässlich, Großmutter, oder?«, fragt sie dann.

      »Er ist das Einzige, worauf wir hinleben!«

      »Warum?«

      »Um bei Gott zu sein!«

      Johanna wird wieder traurig. Sieht der Großmutter in die Augen. Schwarz wie die Löcher zwischen den Galaxien sind ihre Pupillen, denkt sie. Was für ein einsames Alter die Kindheit ist! Alles sagt immer bloß ich, ich und ich und ich.

      »Aber!«, ruft Johanna da aus, doch mehr fällt ihr nicht ein.

      »Schau, das Fleisch, Johanna! Es kommt von den Tieren. Wir töten sie, damit es uns etwas nutzt!«, sagt die Großmutter da.

      »Ich weiß. Deshalb möchte ich nichts essen, was Augen hat«, nickt Johanna.

      »Davon wird man aber satt. Und das Schlimme, Johanna, das ist nicht das Töten!«, erklärt die Großmutter zärtlich.

      »Sondern?«, will Johanna wissen.

      »Das Quälen!«

      Johanna überlegt.

      »Verstehe«, sagt sie dann.

       3. Älterwerden

      Auch in den nächsten Tagen geht man nicht gut mit Johanna um, wie er beobachten kann. Man gafft sie an wie ein wildes Tier. Wie allen der Geifer aus den Mündern schwappt! So befingert man die Jungfrau, wieder und wieder. Vor allem Jeannotin Simon, dem Schneider, scheint es große Freude zu bereiten, mit seinen Händen an ihr herumzuwerken. Johanna ist empört, schreit laut auf, knackt mit dem Kiefer. Eine Bestie ist sie, die schnaubt und um sich stößt. Das hören auch die Soldaten und treiben daraufhin umso mehr ihre Scherze mit ihr.

       »Eine Ohrfeige hast du dem Schneider gegeben, Kleines?«, hänseln sie sie. »Na, dann versuch’s mal mit uns!«

      So tönt es im Kellergewölbe. Und er, Loyseleur, ist Zuschauer, ist Beobachter, der auslotet. Die Soldaten also. Vor ihnen scheint Johanna, im Gegensatz zum Schneider, Angst zu haben. Er kann es genau sehen. Wie ihre Augen rollen, wie sie innerlich aufzuckt, wenn sie vor der Kammer stehen. Durch ein Loch in der Wand, das der Bischof für ihn angefertigt hat, kann er stets einen Blick in die Zelle der Jungfrau werfen. Nun sieht er sie zittern. Denn sie weiß: Stets könnten die Soldaten eindringen, Johanna verletzen, ihr wehtun. Er betrachtet die Jungfrau. Müde scheint sie zu werden, zerrt jeden Tag weniger an den Ketten, ja, eine Art Lähmung scheint sich in ihr breitzumachen. In den nächsten Verhandlungen befragt man sie wiederholt zu den Erzengeln.

      »Wie sieht der heilige Michael aus?«, will der Earl von Warwick, ein hagerer Mann mit scharfem, stechendem Blick und einer grob hervortretenden Hakennase, wissen.

      »Hell«, entgegnet Johanna.

      Doch das reicht Warwick und Cauchon, Bischof von Beauvais, freilich nicht als Antwort.

       »Und die Haare?«

      »Engel und Haare?«, entgegnet die Jungfrau zweifelnd.

      Da beginnt das Priesterpack sofort, sich darüber zu empören.

      »Sollte ein Engel nicht Haare haben?«, tönt es und in dem Gerichtssaal werden die Stühle und Tische verrückt, wühlt das Denken in den Gesichtern. Alles Idioten, denkt Loyseleur. Die Jungfrau ist eingeschüchtert. Seltsam, aber es ist, als gehe ihr diese Frage wirklich zu Herzen, überlegt er.

      »Ich weiß nicht!«, murmelt die Jungfrau da.

      Langsam scheint sie an Kraft und Stärke zu verlieren, es fällt ihm auf. Ja, Johanna beginnt zu stammeln, zu stottern. Ihre Stimme strauchelt.

      »Und andere Körperteile?«, fragt man sie.

      Müde flackert ihr Gesicht auf. Loyseleur will nach ihren Handgelenken greifen, mit einem Mal tut ihm die tierische Jungfrau leid.

      »Was?«, fragt etwas blass aus Johanna heraus.

      »Hast du andere Körperteile gesehen?«, will Cauchon wissen.

      Johanna blinzelt.

       »Von wem?«

      »Na, von den Heiligen!«, entgegnet Warwick und lacht schallend.

       Er merkt, wie der Jungfrau nach und nach rötliche Farbe ins Gesicht schießt. Zornig bricht es da wieder aus ihr hervor, als wäre ihre Kraft zurückgekehrt:

       »Ich habe euch alles gesagt, was ich weiß. Anstatt das zu tun, hätte ich aber eigentlich lieber, dass ihr mir den Kopf abschlagt!«

      Cauchon schweigt mit offenem Mund. Diese Aussage ist sogar einem Priester zu viel.

      »Und hast du sie gesehen?«, will Warwick nun wissen.

      Die Magd nickt, und das Haar fällt ihr schmutzig und strähnig ins Gesicht.

      »Ja, mit Augen. Und es roch süß!«, sagt sie trotzig.

      »So wie jetzt meine Hand?«, meint hänselnd einer der Soldaten und beginnt, während er sich die Lippen leckt, über ihren Mund zu streichen. Johanna spuckt aus. Ein Hieb vom Wärter reicht jedoch, dass sie den Kopf einzieht.

       »Gewiss doch!«, sagt Johanna, mit einem Mal leise und sanft, »und als Ihr mich verließt, weinte ich, denn ich sehnte mich danach, dass Ihr mich zu euch nehmen würdet!«

      Cauchon nickt, sein Doppelkinn wabbelt.

       »Sie sind kein Engel!«, sagt Johanna, aus der nun eine Stärke und Helligkeit dringt, die nichts mehr mit ihrer eben noch tierischen Gebärde gemein hat. »Denn ich kenne die Engel. Ich habe sie gesehen, ja, mit meinen eigenen Augen. Und ich


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