Ausgewählte Wildwestromane von James Fenimore Cooper. James Fenimore Cooper
erheben wollten. Im Vordergrund des Gemäldes, längs den Ufern des Sees und in der Nähe des Dorfes, schien jeder Baum mit Diamanten übersät. Selbst die Seiten der Berge, wo die Strahlen der Sonne noch nicht hinreichen konnten, prunkten in einem glasigen Gewand, das jede Abstufung des Glanzes schauen ließ, von den Lichtstreifen der ersten Sonnenstrahlen bis zu dem dunklen Nadelwerk der Tannen, das unter der Hülle von Kristall schimmerte. Mit einem Wort, die ganze Landschaft war ein zitterndes Strahlenmeer, da See, Berge, Dorf und Wälder, jedes sein besonderes Licht, mit der ihm eigentümlichen Farbe und nach Lage und Größe wechselnd, aussandte.
»Sehen Sie!« rief Elisabeth, »sehen Sie, Luise; eilen Sie ans Fenster und schauen Sie die wundervolle Veränderung!«
Miß Grant kam, und nach einem kurzen Schweigen bemerkte sie mit leisem Ton, als fürchte sie sich vor ihrer eigenen Stimme:
»Die Veränderung ist in der Tat wunderbar! Ich bin ganz überrascht, daß er sie so schnell bewerkstelligen konnte.«
Elisabeth wandte sich erstaunt um, als sie eine so skeptische Äußerung aus dem Munde von Herrn Grants Tochter hörte, fand aber mit einiger Überraschung, daß die sanften blauen Augen ihrer Gefährtin statt auf dem herrlichen Naturschauspiel auf der Gestalt eines jungen Mannes weilten, der vor der Tür draußen in ernstem Gespräch mit ihrem Vater begriffen war. Es bedurfte eines zweiten Blickes, ehe sie in derselben die Person des jungen Jägers in einer zwar einfachen Tracht, aber dennoch in der eines Mannes von Stand zu erkennen vermochte.
»Alles scheint in diesem Zauberland ans Wunderbare zu grenzen«, sagte Elisabeth, »und unter allen Wechseln, die sich vor unseren Augen auftun, ist dieser gewiß nicht der am wenigsten auffallende. Die Schauspieler sind so einzig wie die Bühne.«
Miß Grant errötete und zog den Kopf zurück.
»Ich bin nur ein einfaches Landmädchen, Miß Temple«, begann sie, »und ich fürchte, Sie werden eine sehr unbedeutende Gesellschafterin an mir finden. – Ich weiß nicht, ob ich alles verstehe, was Sie sagen; aber ich war in der Tat der Meinung, Sie hätten mich auf die Veränderung bei Herrn Edwards aufmerksam machen wollen. Ist es nicht sehr wunderbar, wenn wir uns seiner Abkunft erinnern? Es heißt, er sei ein halber Indianer.«
»Jedenfalls ein vornehmer Wilder. Doch gehen wir hinunter, um dem Sachem seinen Tee zu geben: – denn ich vermute, daß er ein Abkömmling von König Philipp, wenn nicht gar ein Enkel von Pocahontas ist.«
Die Damen begegneten in der Halle dem Richter Temple, der seine Tochter beiseite nahm, um ihr die mit dem neuen Hausgenossen vorgegangene Umwandlung mitzuteilen, welche ihr jedoch nichts Neues mehr war.
»Er spricht offenbar nur widerstrebend über seine frühere Lage«, fuhr Marmaduke fort, »denn ich entnehme aus seinen Reden wie aus seinem ganzen Wesen, daß er einst bessere Tage gesehen hat Ich möchte fast Richards Ansicht über seine Abkunft beistimmen; denn es ist nichts Ungewöhnliches, daß die indianischen Führer ihren Kindern eine lobenswerte Erziehung geben und –«
»Ganz recht, mein lieber Vater«, unterbrach ihn Elisabeth, indem sie ihre Augen abwandte, »ich bin schon zufrieden. Doch da ich kein Wort von der Sprache der Mohawks verstehe, so muß er sich schon zu der unserigen bequemen, und was sein Betragen anbelangt, so überlasse ich es dir, dasselbe zu überwachen.«
»Ja, aber Beß –«, sagte der Richter, indem er sie sanft zurückhielt »man darf ihn nicht nach seinem vergangenen Leben fragen. Er hat sich ausdrücklich diese Gunst erbeten. Auch ist er vielleicht noch etwas sauertöpfisch wegen seines verwundeten Arms; da aber die Beschädigung nur leicht zu sein scheint, so läßt er sich wohl ein andermal mitteilsamer an.«
»Oh, lieber Vater! ich bin nicht sonderlich mit jenem lobenswerten Wissensdurst geplagt, den man Neugierde nennt. Ich will glauben, daß er das Kind von Korn-stalk oder Korn-planter oder eines andern berühmten Häuptlings, vielleicht gar ein Sohn der Großen Schlange selbst ist, und will ihn als einen solchen behandeln, bis er es für passend hält, sich seinen Lockenkopf abzurasieren, ein halbes Dutzend Paar meiner besten Ohrringe zu borgen, seine Büchse auf den Rücken zu nehmen und ebenso plötzlich zu verschwinden, wie er zum Vorschein gekommen ist. So komm denn, lieber Vater, und laß uns die Pflichten der Gastfreundschaft nicht vergessen, da er doch vielleicht nur eine kurze Zeit bei uns bleiben wird.«
Richter Temple lächelte über den Scherz seiner Tochter, nahm ihren Arm und führte sie nach dem Frühstückszimmer, wo der junge Jäger bereits saß und durch sein Benehmen zeigte, daß er sich mit so wenig Umständen wie möglich in der Familie heimisch zu machen gedachte.
Unter diesen Umständen also vergrößerte sich die Familie des Richters Temple auf eine so seltsame Weise, und da wir den Jüngling einmal dort untergebracht haben, so fordert der Gang unserer Erzählung nun, daß wir vorderhand keine weitere Notiz von dem Fleiß und der Brauchbarkeit nehmen, die er in Marmadukes Diensten an den Tag legte, sondern die Aufmerksamkeit unseres Lesers andern Gegenständen zuwenden.
Als Major Hartmanns gewöhnliche Besuchszeit vorüber war, nahm er für die nächsten drei Monate Abschied. Herr Grant mußte häufig entferntere Landesteile besuchen, weshalb seine Tochter fast ohne Unterlaß zu Gast in dem Herrenhause war. Richard widmete sich mit gewohnter Leidenschaftlichkeit den Obliegenheiten seines Amtes, und da Marmaduke stets mit neuen Gesuchen um Land auf seinem Grund und Boden behelligt ward und daher viel zu tun hatte, so entschwand der Winter rasch. Der See war der Hauptbelustigungsort für die jungen Leute, und die Damen brachten manche Stunde auf ihm zu, indem sie sich von Richard von einem einspännigen Schlitten umherfahren ließen. Auch der junge Edwards gesellte sich, wenn es der Schnee gestattete, hin und wieder der Gesellschaft bei, um der Wohltat freier Bewegung in der reinen Luft der Berge willen. Die Zurückhaltung des jungen Mannes wich nach und nach, doch konnte es einem aufmerksamen Beobachter nicht entgehen, daß ihn oft bittere Anwandlungen beschlichen.
Elisabeth sah in den folgenden drei Monaten viele große Lichtungen an den Hängen der Berge entstehen, da verschiedene Ansiedler dort, in der Sprache der Gegend, »ihren Pferch aufgeschlagen hatten«, während die zahllosen mit Weizen und Pottaschefässern beladenen Schlitten, die durch das Dorf fuhren, einen deutlichen Beweis lieferten, daß diese Arbeiten nicht ins Blaue hinein unternommen worden waren. Mit einem Wort – die ganze Gegend zeigte das rührige Treiben einer sich hebenden Ansiedlung, wo sich auf den Straßen Fuhrwerke drängten, die bald Hausrat herbeiführten, hin und wieder die lächelnden Gesichter von Weibern und Kindern zeigten die sich in dem Reiz der Neuheit glücklich fühlten, oder mit den Produkten des Landes beladen dem allgemeinen Markt in Albany zufuhren – in letzterem Falle ebenso viele Schlingen, um Auswanderungslustige in die wilde Gebirgsgegend zu locken, wo sie Glück und Auskommen zu finden hofften.
Das Dorf war ein lebendes Bild der Geschäftigkeit. Mit dem Wohlstand der Umgegend nahm auch der der Handwerksleute zu, und jeder Tag war Zeuge einer weiteren Annäherung an die Sitten und Gebräuche einer längst bestehenden Stadt. Der Mann, der das Postwesen versah, schwatzte viel von seiner Station, und während des Winters sah man ihn wohl ein-oder zweimal in seinem Schlitten einen einzelnen Passagier durch die Schneehaufen nach dem Mohawk hin fahren, an welchem wöchentlich zweimal von den ›Gegenden unten‹ aus ein regelmäßiges Fuhrwerk mit Blitzschnelle und unter kundigem Peitschenknall kam. Gegen den Frühling, zeitig genug, um den Schnee noch zu nützen, kehrten mehrere Familien, die bei Verwandten in den ›alten Staaten‹ auf Besuch gewesen, zurück und brachten nicht selten ganze Haufen mit, die sich durch die Schilderungen jener hatten verleiten lassen, ihre Meiereien in Connecticut und Massachusetts zu verlassen und ihr Glück in den Wäldern zu suchen.
Diese ganze Zeit über war Oliver Edwards, dessen plötzliche Erhebung in einem so wechselvollen Landstrich keine Überraschung erregte, den Tag über emsig in Marmadukes Diensten beschäftigt, während er die Nächte öfters in Lederstrumpfs Hütte zubrachte. Der Verkehr unter den drei Jägern hatte allerdings etwas Geheimnisvolles, und wurde von den Beteiligten mit lebhaftem Eifer unterhalten, obgleich Mohegan selten und Natty nie in das Herrenhaus kamen. Dagegen nutzte Edwards jeden freien Augenblick, um seinen früheren Aufenthalt zu besuchen, von dem er oft erst spät in der Nacht oder, wenn er über die gewöhnliche Schlafenszeit der Familie hinaus abgehalten wurde, mit der aufgehenden Morgensonne