Nice Girls. Louise Boije af Gennäs
Ihre Augen leuchteten, voller Wärme und Hoffnung auf erwiderte Liebe.
Nur mit Anstrengung nahm Stella das kleine, harte, weiße Kaugummidragee entgegen und stopfte es in den Mund.
5.
Am Tag nach der Pyjamaparty, im Salatrestaurant bei NK, sah zumindest Catta unglaublich erwachsen aus. Sie war in ein senfgelbes Armani-Jackett und dünne Hosen gekleidet, die in jeder Weise ihre natürliche Ähnlichkeit mit allen möglichen derzeitigen Idealbildern hervorhoben, und sie rauchte langsam, aber sicher eine ganze Packung gelbe Blend auf. ›Keiner‹ rauchte eigentlich gelbe Blend; eben deshalb hielt Catta treu an der Marke fest. Ihre Variationen des Begriffs Aufsässigkeit waren stets ebenso diskret wie ihre Farbkombinationen.
Sie war spät aufgewacht, hatte sich langsam angezogen und war von ihrer Wohnung in der Sybillegatan, am Östermalmstorg und Stureplan vorbei, bis zum Warenhaus NK geschlendert. Wie immer hatte sie mit großen, morgenwachen Augen und einem Gefühl von zugleich Streß und Erleichterung um sich geschaut: All diese Menschen, die ihr begegneten, waren seit sieben Uhr morgens auf den Beinen! Sie hatten alle eine richtige Arbeit, zu der sie unterwegs waren! Sie hatten alle eine Funktion zu erfüllen! Zwar waren sie gezwungen, an rauhen Wintermorgen, wenn sie selber nur die Decke ein Stück höher über die Nase zog, aus dem Bett zu kriechen, doch andererseits waren sie richtige, wirkliche Menschen.
Catta selbst war nur Kulisse.
Ihre Arbeit bestand darin, den Zwischenraum zwischen den wirklichen Menschen zu füllen, darauf zu achten, daß es tatsächlich große, schöne Blondinen in Armani-Jacketts gab, die bis elf schliefen und bei NK zu Mittag aßen.
Wenn die Mittagspause zu Ende war und die Leute an ihre Arbeitsplätze, zu ihren Kollegen und Aufgaben zurückkehrten, fiel Catta in sich zusammen. Sie fühlte sich wie eine Kasperpuppe, aus der man die Hand herausgezogen hatte.
Catta wurde finanziell noch immer von ihrem Vater unterstützt.
Im Augenblick sah man ihr jeden Millimeter ihrer neunundzwanzig Jahre an. Die Falten unter den Augen traten durch das starke Licht der Deckenlampen deutlicher hervor, und zwischen den Augenbrauen hatte sie zwei sich vertiefende Linien, an die sich Gunvor von früher her nicht erinnern konnte. Vor Catta stand ein riesiger Salatteller, überladen mit Melonenstücken, Krabben und brandgelbem Rogen. Sie hatte ihn nicht angerührt.
Ihr gegenüber saß Gunvor und aß hastig, weil sie spätestens Viertel nach eins wieder in ihrer Finanzberatung sein mußte. Sie fuhr purpurfarbene Schinkenstücke und ins Gelbgrüne spielende Käsestreifen in Riesenhappen ein. Ihre Augen glänzten. Hin und wieder schlug sie ihre Zähne in die Vollkornbrotscheibe. Gunvor liebte Salat, und sie liebte es, bei NK zu essen. Deshalb hatte sie Catta zum Geburtstagsmittag hierher eingeladen.
Catta war zu spät gekommen, wie immer, und Gunvor hatte gewußt, daß sie sich verspäten würde. Dennoch hatte sie ihren Rechner genau zehn vor zwölf ausgeschaltet, hatte ihre Handtasche genommen und war die kurze Strecke zwischen Kungsgatan und Hamngatan so rasch sie konnte entlanggeeilt. Gunvor hatte nicht mehr als eine Stunde Mittagspause, danach mußte sie wieder an ihrem Arbeitsplatz sein. Es galt, das beste aus der Stunde zu machen. Die kleine Freiheit auszunutzen, die man während eines langen Arbeitstages besaß.
An der roten Ampel der Mäster Samuelsgatan war sie stehengeblieben. »Immer so allein«, dröhnte es aus einem offenen Wagenfenster direkt neben ihr, Eva Dahlgrens und Uno Svenningssons so verschiedene Stimmen zärtlich verschlungen. »Immer so allein ... Leben in Einsamkeit ... Immer im Ungewissen ...«
Gunvor brach der Schweiß aus. Dieses Lied brachte sie immer zum Schwitzen. Sie war über die Straße geeilt, noch ehe die Ampel auf Grün umgeschaltet hatte.
»Was hat Lizzie heute morgen gesagt?« fragte Catta jetzt und blies zwei schmale Fäden Rauch durch die Nase.
»Sie war ziemlich cool, als ich mit ihr gesprochen habe«, erwiderte Gunvor. »Macht sich nichts draus, was die Nachbarn sagen. Ich begreife nicht, wie sie so ruhig sein kann. Ich wäre furchtbar fertig. Aber Frank war offenbar mächtig sauer.«
Catta antwortete nicht. Sie dachte an ihre letzte Cocktailparty, wo keiner nach Hause gehen wollte. Halb eins hatte der Nachbar von gegenüber leicht verärgert an der Tür geklingelt. Diese Tatsache hatte Catta noch tagelang verfolgt.
Ihr fiel ein, daß sie es nicht einmal gewagt hatte, zum Tabakladen an der Ecke runterzugehen, aus Angst, den besagten Nachbarn zu treffen. Catta ertrug es nicht, wenn jemand sie nicht mochte. Dennoch wollte sie auch nicht so bewundert werden, wie es anscheinend immer der Fall war: aus der Entfernung. Sie wollte diese Distanz nicht, sie wollte nur gemocht werden, genauso selbstverständlich wie alle anderen, wie von selbst. Ganz von selbst.
»Nachbarn«, sagte sie und schlug ein bißchen Asche ab. »Die sollte man ausrotten, kurzerhand.«
Gunvor kicherte.
»Du bist auch eine Nachbarin.«
»Ich bin eine gute Nachbarin. Ich beschwere mich nicht.«
Catta verzog den Mund zu einem breiten Grinsen, um dem Klumpen im Magen entgegenzuwirken. Gunvor sah sie zwischen den Bissen nachdenklich an.
»Iß jetzt. Ich bezahle keinen teuren Salat, um dann zuzusehen, wie du Asche drauf streust!«
»Du kannst ihn gern haben.«
Catta schob den Teller zu Gunvor hin, die ihn, ohne zu zögern, gegen ihren eigenen, fast leeren austauschte. Das Paar am Tisch nebenan schielte herüber, als Gunvor auf ihre zweite Portion einhieb, aber Catta und Gunvor merkten nichts. Catta zündete sich statt dessen eine neue Zigarette an der Glut der alten an.
»Was machst du heut nachmittag?« fragte Gunvor.
»Weiß nicht. Shoppen. Es gibt eine Menge neuer Platten, die ich mir selbst schenken will.«
»Die neue von den Waterboys soll beschissen sein.«
»Mir hat die letzte auch schon nicht gefallen.«
»Hast du gehört, ihr Sänger soll Patti Smith angemacht haben?« fragte Gunvor. »Ich hab was drüber in der I-D gelesen.«
»Ernsthaft?« fragte Catta. »Ich dachte, die ganze Truppe besteht nur aus frommen Schwulen.«
Gunvor lachte.
»Nein. Das bringst du jetzt durcheinander.«
Die Serviererin kam und räumte Cattas Teller oder mit anderen Worten Gunvors alten ab.
»Hat es geschmeckt?« fragte sie.
»Wunderbar«, sagte Catta und lächelte ihr zu.
»Sie ist viel schneller als ich«, sagte Gunvor liebenswürdig zu der Serviererin. »Aber ich bin gleich soweit. Zwei Kaffee und zwei Schokoladenbiskuits, bitte.«
Sie wandte sich an Catta.
»Willst du doch haben?«
»Klar«, sagte Catta. »Schokolade und Zigaretten formten diesen schönen Körper.«
Die Serviererin ging. Gunvor schob den fast leeren Teller zur Seite.
»Ich fand’s gestern toll«, sagte sie. »Und du?«
»Lieb von Stella, all den Schampus mitzubringen«, antwortete Catta.
Sie schaute Gunvor nicht an.
»Äh«, erwiderte Gunvor, »das hat Lizzie ihr aufgetragen. Sie glaubte wohl nicht, daß Stella und ich was anderes als Vino Tinto besorgen würden.«
»Lizzie kann manchmal furchtbar kleinbürgerlich sein«, meinte Catta. »Ich mach mir ein bißchen Sorgen um sie.«
»Ich auch«, sagte Gunvor. »Ich begreife nicht, warum sie denkt, es tue ihr gut, schon jetzt mit der Arbeit aufzuhören!«
Catta rauchte schweigend. Das Blut stieg ihr plötzlich heiß ins Gesicht. Was Lizzie erreichen wollte, war ja genau das, wogegen sie selbst ständig ankämpfte. Die Bürgerlichkeit.