Nice Girls. Louise Boije af Gennäs
hatte.
Die blöde Lizzie. Sie war dicker als sie selbst, und dieses verdammte Gör im Bauch würde sie noch fetter machen. Wie konnte man zulassen, schwanger zu werden und Zuchtkuh zu sein? Ganz besonders bei einem Mann wie Frank! Wirklich unbegreiflich.
Stellas eine Hand lag auf ihren Rippen. Sie wehrte die unangenehmen Gedanken ab und widmete sich den üblichen, leichteren, die ihr eigenes Aussehen betrafen. Sie fühlte mit Befriedigung, daß die Rippen sich deutlich an den Seiten ihres Brustkorbs abzeichneten, ohne daß deshalb der Busen an Umfang verloren hätte. Die ganze Woche hatte sie so gut wie nichts gegessen, und offenbar hatte es geholfen. Benjamin würde zufrieden sein.
Er lag ihr ständig in den Ohren: Nimm ab, du Fettkloß. Sie war dünn wie ein Strich, das konnte sie manchmal sogar selbst sehen, aber es reichte nicht. Für Benjamin mußte sie immer noch ein bißchen dünner sein. Wenn man dünn ist, sieht man jünger aus. Wenn man dünn ist, sieht man intelligenter aus. Benjamin hatte eine Menge zu den Vorteilen des Magerseins zu sagen, aber er hatte natürlich leicht reden, soviel Drogen, wie er konsumierte.
Benjamin selbst war fast nur ein Schatten, beinah zwei Meter groß und schwarzgekleidet von Kopf bis Fuß, in Sachen, die aussahen, als hätte man ihn ins Wasser gestoßen. Außer der riesigen Lederjacke natürlich, der Jacke, die Benjamins Erkennungszeichen war. Stella pflegte darin zu schlafen, und allein deshalb bestand ja wohl kein Zweifel daran, daß sie auf dieser Pyjamaparty fehl am Platz war. Stella schielte auf die Uhr. Benjamin würde bald nach Hause kommen, und dann wollte sie auch da sein. Stella fühlte, daß sie möglicherweise nicht ohne ihn leben konnte, und der Gedanke erschreckte sie so sehr, daß es in ihren Schläfen zu hämmern begann. Ihr wurde der Mund trocken.
Benjamin wurde demnächst dreiundzwanzig.
5.
Doch nach der ersten Flasche Dom Perignon begann es auch in Stellas Gliedern angenehm zu kribbeln. Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück und blickte mit glitzernden Augen in die Runde.
»Habt ihr den letzten Klatsch gehört?« fragte sie.
Das war ihr Spiel. Ein Spiel, das sie schon in der Zehnten zu spielen begonnen hatten, ein Spiel mit fest abgesteckten Revieren und unverschämten Überschreitungen, mit eindeutigen Favoriten und ausgesprochenen Sündenböcken. Es war ein Spiel, das ebenso in ungestümen Kitzelangriffen und Lachkrämpfen wie in heulendem Elend, in Ohrfeigen und regelrechten Schlägereien enden konnte.
Jetzt war es lange her, daß sie es gespielt hatten.
»Was für einen?« schrien die anderen.
Sie begriffen sofort. Die Frage wirkte wie ein Signal, und die Freundinnen waren die Pawlowschen Hunde. Stella schaute sie an.
»Per Gessle ist schwul«, sagte sie langsam, mit offensichtlichem Wohlbehagen. »Ich habe es direkt von einem Musikjournalisten.«
»Hör auf!« brüllte Gunvor. »Das ist nicht wahr!!!«
Per Gessle gehörte ihr, ihr allein. Keine der anderen hatte ihn mit ihr teilen wollen. Die Gruppe »Gyllene tider« gehörte zu ihren Idolen, und sie gestattete niemandem, ihnen, und vor allem Gessle, auch nur ein Haar zu krümmen.
»Ich sitz auf meinem Sofa ... mit schmollenden Lippen ...!« sang Stella aufreizend.
Lizzie und Catta kicherten entzückt.
»Okay«, schrie Gunvor aufgebracht und zeigte mit dem Finger auf Stella, »aber du bist selbst schuld. Du hast es so gewollt!«
»Immer los«, erwiderte Stella.
Gunvor überlegte fieberhaft. Es durfte nicht einfach erfunden sein, so lautete die Regel. Erst mußte ein Gerücht existieren, irgendeine Behauptung mußte der Beschuldigung zugrunde liegen.
Jetzt fiel ihr etwas Wunderbares ein.
»Annabel von Bow Wow Wow arbeitet in Südengland als Kindergartentante!« Gunvor lächelte ein teuflisches Lächeln.
»Du lügst«, sagte Stella.
»Nee, das habe ich tatsächlich auch gelesen«, mischte sich Catta ganz unschuldig ein. »Neulich in einer Popzeitschrift!«
»Ihr seid nicht bei Trost!« sagte Stella und setzte sich auf. »Dann holt doch die Zeitschrift her!«
Die Gruppe Bow Wow Wow war eins ihrer absoluten Idole gewesen. Gleich nach dem Abitur hatte sie sich für kurze Zeit sogar die Haare abrasiert und für fast zweitausend Kronen ein Wildlederkleid mit Federn angeschafft.
»Das kann in einer von denen dort stehen«, sagte Lizzie und zeigte auf einen Haufen von mehreren hundert Musikzeitschriften, die neben einem Bücherregal aufgeschichtet lagen. »Willst du suchen?«
Stella starrte mißtrauisch von Gunvor zu Catta und auf den Stapel Zeitschriften.
»Ich komme drauf zurück«, sagte sie mit einem verschmitzten Augenblitzen. »Glaubt nicht, daß ich eine solche Sache vergesse.«
»Wißt ihr, was ich gehört habe?« fragte Lizzie lächelnd.
»Du hast was gehört?« höhnte Stella. »Wo denn? In der Mütterberatung?«
»Sehr lustig«, erwiderte Lizzie. »Ich habe gehört, daß Nina Hagen nach ihrem Konzert am Freitag bei ›Vickan‹ spielen wird.«
»Nicht möglich!« sagte Catta. »Dort gibt’s doch keine gute Bühne!«
»Redet man über so was in der Mütterberatung?« erkundigte sich Stella.
»Hast du vor hinzugehen?« fragte Gunvor hoffnungsvoll. »Dann komm ich mit!«
»Natürlich gehen wir«, sagte Stella.
Sie sahen sich an. Plötzlich war klar, daß sie hingehen würden. Alle vier. Zusammen.
Die Verwunderung war so groß, daß sie verstummten.
»Was haltet ihr von ein bißchen Musik?« fragte Catta schließlich. »Getz scheint total eingeschlafen zu sein.«
Die Frage war fast überflüssig, so selbstverständlich erschien sie ihnen. Gunvor sprang auf und stieß beinah die neue Champagnerflasche um, die Lizzie mit einem leichten Satz über die Sofalehne vor die Stereoanlage geholt hatte. Es bumste gewaltig, als Gunvor landete, und Stella erschauerte unmerklich. Wie konnte man so dick sein und keine Hungerkur machen?
»Denk an die Nachbarn«, sagte Lizzie. »Die sind hyperempfindlich.«
Gunvor wühlte indes klappernd zwischen den CDs herum. »Das ist ja nur neues Zeug!« sagte sie entrüstet.
»Denk ’n bißchen nach, Gunni«, ließ sich Cattas tiefe Stimme vernehmen. »Das ist das CD-Gestell.«
»Kannst du nicht ›Augen wie Eis‹ auflegen?« fragte Lizzie. »Die steht bei den LPs.«
»Ja!« sagte Stella. »Und dazu ein bißchen ›will dich haben im Duunkeln bei miir‹. Ein Nostalgietrip!«
»Ich weiß genau, was ich nehmen werde«, sagte Gunvor entschlossen, und ihre Augen glitzerten mutwillig.
Sie legte eine CD ein und drehte an den Knöpfen. Die anderen schauten ihr abwartend zu und nippten an ihren Gläsern. Die CD lief an.
»Ich wußte nicht, daß es das hier auf CD gibt«, sagte sie zu Lizzie und grinste über das ganze Gesicht.
Die Wirkung zeigte sich unmittelbar. Die beiden ersten Takte von ›I Never Promised You A Rose Garden‹ mit Lynn Anderson erklangen aus den Lautsprechern. Sie sahen sich alle breit grinsend an. Lizzie stand auf, kroch fast in einen Wandschrank und kehrte mit einem blankgewetzten Baß und einer Gitarre zurück, der zwei Saiten fehlten. Sie warf Stella die Gitarre zu und hängte sich selbst den nicht angeschlossenen Baß über die Schulter. Stella erhob sich zögernd und stellte den Gitarrengurt ein. Catta hatte unterdes eine Haarbürste gefunden, die sie wie ein Mikrofon vor den Mund hielt, während Gunvor vor dem alten Sekretär von Cattas Großmutter auf die Knie gesunken war, mit einem Salatbesteck in jeder Hand.