Nice Girls. Louise Boije af Gennäs
du weißt doch, was das für ein Meckerheini ist. Da muß man ihm ja wohl nicht noch mehr Grund geben.«
Lizzie rührte sich nicht, als Frank an ihr vorbei ins Wohnzimmer drängte, wo sein fertiggepackter Koffer aufgeklappt dalag. Der Geruch seines Rasierwassers blieb in der Luft hängen und schlängelte sich in ihre Nase. Aramis. Sie selbst hatte es für ihn gekauft, es war bestimmt ein Jahr her, an einem Nachmittag voller Lärm und Geschrei auf dem Flughafen von Kopenhagen. Zum Dank hatte er sie mehrmals durch die Luft gewirbelt.
Jetzt war der Geruch der einzige Kontakt, den sie zu ihm bekam.
Sie spürte ein Hämmern in der Schläfe, Warum sollte sie sich dafür entschuldigen, daß sie mit ihren alten Freundinnen einen schönen Abend gehabt hatte? Seit Ewigkeiten das erstemal! Der Nachbar hatte sich beschwert – na und? Das war früher ja wohl auch schon passiert? Frank selbst war ein großer Partyhengst gewesen, ehe er beschlossen hatte, kürzerzutreten und zu heiraten. Warum konnte er nicht verstehen, daß man manchmal einen draufmachen mußte?
Vielleicht, weil er es bei ihr nicht gewöhnt war?
Dennoch schwieg Lizzie, drückte nicht einen ihrer Gedanken in Worten aus. Betrachtete lediglich ihren Mann, der über seinen Koffer gebeugt dastand und versuchte, den Deckel zu schließen, ihn zu schließen, um wieder einmal wegzufahren. Der kleine Toilettenpapierstreifen flatterte ihm am Kinn, doch er schien ihn völlig vergessen zu haben. Im Augenblick war er die Gereiztheit und männliche Effektivität persönlich und brauchte sich um bestimmte Details offensichtlich nicht zu kümmern.
»Wann kommst du zurück?« fragte sie.
»Aber Mädel«, sagte er mit unterdrücktem Ärger, »ich habe doch gesagt, ich weiß es nicht genau.«
Jetzt kontrollierte er die Innentasche seines Trenchcoats. Paß, Geld, Fahrkarte. Lizzie stand völlig reglos da, die Hände vor dem Bauch verschränkt, und beobachtete ihn. Sie spürte ihre Brüste schmerzen. Ein Gefühl der Hilflosigkeit erfaßte ihren Körper. Er fuhr weg, wieder einmal weg, und sie blieb wie immer allein zurück, auf die Post angewiesen, die auf den Dielenteppich hereinflatterte, auf die über die Möbel wandernden Sonnenstrahlen vom Fenster im Süden bis zu dem im Westen, mit trägen Schatten im Gefolge, während sie selbst gezwungen war, sich mit ihren unfertigen Manuskripten und ihrem unfertigen Fötus herumzuschlagen.
Ihrem Fötus.
Bisher hatte Frank noch keine Anzeichen größerer Teilnahme spüren lassen. Doch, er hatte getan, was seiner Ansicht nach von ihm erwartet wurde: Er hatte ihr hin und wieder die Hand auf den Bauch gelegt und gefragt, ob »es schon strample«. Doch fast ehe sie antworten konnte, hatte er wieder weggemußt, war er unterwegs zu ständig neuen Terminen, neuen Aufträgen, neuen wichtigen Konferenzen.
Fort; weg, um sein eigenes Leben zu leben. Ein Leben, in dem kein Platz für sie war.
Nicht, daß er sie nicht liebte, denn das tat er wirklich. Er liebte sie rein und stark. Untreue gab es in seiner Vorstellungswelt nicht, da war sie sicher. Als sie sich kennenlernten, hatte er ihr immer wieder versichert, wie fantastisch es sei, sein zweites Ich getroffen zu haben, seine bessere Hälfte, seine weibliche Ergänzung. Sie hätten so vieles gemeinsam, das betonte er ständig, angefangen bei ihren Interessen bis zu ihrem Verhalten.
Doch das war damals. Dann hatte Frank eine bessere Stelle bekommen, und sie war schwanger geworden.
Jetzt lebten sie schon in weit entfernten Welten.
»Ich rufe von Arlanda aus an, wenn wir landen«, sagte er. »Aber das wird mit Sicherheit nicht vor zehn Uhr sein.«
Dann küßte er sie auf dem Weg zur Wohnungstür flüchtig auf die Wange. Lizzie konnte ihm gerade noch den Toilettenpapierzipfel vom Kinn reißen.
Die Tür schlug zu. Frank war weg. Nur sie stand da mit einem kleinen Papierfetzen in der Hand. Das einzige, was seine Anwesenheit vor ein paar Sekunden bezeugte, war der kleine kreisrunde, hellrote Blutfleck, den seine Schnittwunde hinterlassen hatte.
Irgendwann morgen abend gegen zehn würde er also wieder in Schweden landen. Bis dahin mußte sie allein zurechtkommen.
Lizzie starrte auf die Tür. Dann drehte sie sich langsam zum Spiegel um und begegnete ihrem Blick, graublau, alltäglich, unter völlig geraden Augenbrauen.
Sie wußte nicht, wie lange sie dort gestanden hatte, als sie plötzlich ein Zucken in ihrem Bauch fühlte, schwach wie von einem kleinen zappelnden Fisch.
Das erste Strampeln!!!
Und sie war ganz allein.
2.
Der Morgen brach an bei Benjamin und Stella. Genau in der Reihenfolge stimmte es, zuerst war es Morgen bei Benjamin, dann bei Stella. Immer war es erst sein Morgen, ehe es ihrer wurde. Sein Name stand zuoberst an der Tür, seine Sachen dominierten in der winzigen Einzimmerwohnung, und er war es, der bestimmte, was Spaß machte – ob es nun um Sex ging oder darum, vielleicht vor der Glotze zu sitzen und Bier zu trinken, oder sich zusammen mit Kumpels vollzudröhnen, bevor man in die Stadt zog.
Stella machte mit. Sie machte bei allem mit. Zum erstenmal in ihrem Leben war nicht sie es, die das Sagen hatte, sondern sie ließ über sich bestimmen und fand es herrlich und erschreckend zugleich. Alle, die Stella kannten, wußten, daß ihre Willenskraft für fünf ausreichte und daß sie mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg halten konnte, egal zu welchem Thema. Wer Benjamin hatte kennenlernen dürfen – und das waren nicht viele –, fand es unglaublich, daß sie sich auf dieses Arrangement eingelassen hatte. Fragte man Stella selbst, erklärte sie, sie begreife nicht, warum man die ganze Zeit an Kleinigkeiten herumkritteln solle. So was verderbe eine Beziehung nur, das könne man ja überall beobachten.
In Wahrheit hatte Stella ihre Abhängigkeit eingesehen, hatte verstanden, daß sie aus dieser Beziehung vielleicht sowieso nicht herauskam. Und damit gab es tausend Gründe, jedem Auftritt aus dem Weg zu gehen und zu vermeiden, den eigenen Willen bei jeder Gelegenheit zu betonen. Was hieß überhaupt Willen? Wessen Willen denn? Stella konnte nicht länger sehen, wohin sie unterwegs war. Ihren Willen hatte Benjamin übernommen. Und sie selbst hatte sich darein gefügt.
Nachdem Benjamin aufgestanden war und die Stereoanlage eingeschaltet, ein Bier geöffnet, die Zeitung durchblättert, gerülpst und sich unter die Dusche gestellt hatte, machte Stella Tee für sich und ihn. Zum Frühstück nur Tee war die erste Regel des Tages. Kein Toast dazu – davon wurde man dick. Manchmal machte sich Benjamin zwar ein Brot, doch fragte er Stella nie, ob sie auch eins wolle, und niemals ergriff sie selbst die Initiative, während er zusah. Sie sprachen nicht viel beim Frühstück. Benjamins Laune war vor drei Uhr nachmittags selten gut.
Die Musik dröhnte durch die Wohnung. Stella ging ins Bad, duschte und zog sich an. Sie war dünner, als sie während ihres ganzen erwachsenen Lebens gewesen war, und die Sachen hingen an ihr herunter wie an einem unterernährten Pariser Model. Als sie fertig angezogen war, nahm sie Kalender, Portemonnaie und Tasche und küßte Benjamin auf die Stirn, bevor sie ging. Er brummte zur Antwort, umfaßte sie leicht, ohne von der Zeitung aufzusehen.
»Ich komme gegen sieben nach Hause. Bist du heut abend da?« fragte Stella.
Benjamin schaute auf.
»Weiß nicht. Mal sehen. Hab noch nichts festgemacht.«
Stella nickte. Sie nahm ihre Tasche und ging, und erst als sie unten auf der Straße war, konnte sie richtig durchatmen. Ein und aus, die herrliche, frische Morgenluft. Von Luft wurde man nicht fett. Und hier sah sie keiner, sah, wie sie die Lungen mit Luft füllte und Brust und Bauch richtig rausstreckte, weit, weit raus, ehe sie die Luft ausatmete und wieder zusammenfiel.
In ihrem Kopf surrte eine Textzeile herum wie eine lästige Fliege, sie ließ sich nieder, flog auf und setzte sich wieder zur Ruhe. Als sie bei Rot über die Straße ging, flog sie blitzschnell auf und war wieder zur Stelle.
»... cause if you can’t let yourself go
what are you saving yourself for?«
Die Zeile hallte in ihrem Kopf wider.
Sie