Nice Girls. Louise Boije af Gennäs
dem Telefonstuhl saß, zog den Morgenrock, Franks Morgenrock, enger um sich. Das war das dritte Mal, daß Gunvor sie seit gestern Mittag anrief, und jedesmal ging es um dieselbe Sache: Konnten sie nicht wieder zusammen in der Band spielen?
»Ich habe keine Lust«, erklärte Lizzie. »Muß ich noch mehr dazu sagen? Ich habe gestern übrigens geglaubt, du willst mich aufziehen, als du damit angefangen hast.«
Gunvor am anderen Ende seufzte tief.
»Ich glaube, du machst jetzt einen großen Fehler«, sagte sie. »Catta ist auch der Meinung. Wir finden, du brauchst etwas, womit du dich beschäftigen kannst!«
Lizzie lachte böse. Wollten sie jetzt ankommen und ihr erklären, wie sie ihr Leben zu leben hatte?
»Das ist ja riesig nett von euch«, sagte sie, »eine ganze Rockband gründen zu wollen, nur damit ich etwas zu tun bekomme! Müßte es da nicht ein paar mehr Gründe von eurer Seite geben?«
»Ich fände es toll«, sagte Gunvor. »Aber mein Gott, die Welt geht nicht daran zugrunde. Wenn du nicht willst, dann eben nicht.«
»Nein«, sagte Lizzie, »ich will nicht.«
Als sie aufgelegt hatte, saß sie lange da und starrte auf das Telefon.
Aus irgendeinem Grund schien ihr, als hätte sie mit der einfachen Geste des Hörerauflegens die Gefahr eines herannahenden Sturms abgewehrt.
2.
Die Telefondrähte blitzten und funkelten in einem dichten Netzwerk über ganz Stockholm und weiter ins Land hinaus. Die nicht in der Luft zu sehen waren, lagen eingegraben, unsichtbar, unter der Erde, aber sie existierten. Und das Kommunizieren klappte genausogut, wenn nicht besser.
Im gleichen Moment, als Lizzie den Hörer auflegte, nahm Charlie in einem anderen Stadtteil einen Hörer ab.
»Wie ist nun wieder die Nummer?« fragte er.
»300 000«, sagte Catta. »Frag, ob du es nicht für den Frauentarif kriegen kannst, der ist billiger.«
Charlie antwortete nicht. Der Scherz erreichte ihn überhaupt nicht. Er hob nur seinen langen, ein wenig feisten, behaarten Arm und wählte. Catta konnte direkt in seine Achselhöhle sehen, wo die schwarzen Härchen nach der Anstrengung immer noch zusammenklebten. Als Catta ihre rechte Hand an die Nase hob, konnte sie den Geruch von Sperma und Geschlechtsorgan spüren. Wie immer, ekelte er sie, ekelte sie bis an die Grenze der Übelkeit.
Catta war es immer schwergefallen zu verstehen, warum man den Beischlaf »sich lieben« nannte. Für sie war Liebe eher all das, was man außerhalb des Bettes tat, sich umarmen und streicheln, ohne sexuelle Absichten, das Frühstück füreinander zubereiten, den Müll wegbringen oder an ganz gewöhnlichen, grauen Tagen mit Blumen kommen. Im Bett gab es nicht viel Platz für Liebe, eher war es umgekehrt. Die Liebe konnte leicht allzu nett werden, und dann bestand die Gefahr, daß sie die Sexualität tötete. Im Bett hingegen waren alle Mittel zugelassen; Peitschen, Stiefel, sexy Unterwäsche, was auch immer. Da ging es nicht darum, nett zu sein; da ging es um Lust, um Bezwingen und Grenzüberschreitungen, und es ging darum, sich selbst und seinen Partner so geil zu machen wie nur möglich. So geil, daß man nach einem Jahr nicht die Lust verlor, oder nach fünf, oder sechzehn, jedenfalls nicht, wenn man an ein Zusammenleben glaubte, das das ganze Leben andauern sollte.
Für Charlie und Catta war das bisher kein Problem – rein sexuell paßten sie zusammen wie Puzzlestücke. Charlie liebte es, dominant zu sein; Catta erregte es ungeheuer, wenn sie genommen wurde, vielleicht sogar festgehalten oder mit weichen Bändern gebunden. Charlie wurde von sexy Unterwäsche angemacht, Catta besaß Schubladen voll mit weißen und schwarzen Kombinationen, und einen Körper, den sie gern vorzeigte. Charlie liebte es, die Initiative zu übernehmen; Catta liebte es, verführt zu werden. Sie hatten wunderbare Simultanorgasmen.
Aber da endeten auch schon die Übereinstimmungen ihrer Wünsche.
Catta konnte nämlich im Unterschied zu Charlie ihr Bedürfnis nach Sexualität und ihr Bedürfnis nach Liebe klar und deutlich unterscheiden. Sie konnte auch eine klare Grenze zwischen den Sexspielen und der Wirklichkeit ziehen, zwischen ihrer Lust, unterworfen zu werden, und ihrem Bedürfnis, als Mensch anerkannt zu werden. Für Charlie hingegen schien alles in einem einzigen großen Beziehungskompott vermengt zu sein, auf dem als Sahneklecks über dem übrigen Inhalt seine Frau und seine Kinder schwammen. Seine Dominanz schwappte ins wirkliche Leben hinüber, seine Rücksichtslosigkeit hielt sich nicht in den Grenzen von Cattas Schlafzimmer, seine Lust am Bestimmen betraf bedeutend mehr als die Sexualität.
Ihm selbst schien das ganze Problem überhaupt nicht bewußt zu sein.
»Natürlich liebe ich dich!« konnte er sagen und auf seine Betthälfte hinüberrollen, verschwitzt und atemlos. »Wie könnten wir es sonst so schön haben?«
»Quatsch nicht solchen Blödsinn«, sagte Catta.
Jetzt sah sie ihn wie in einem Stummfilm die Lippen bewegen, als er der Telefonistin ihre Adresse angab. Er mußte natürlich zurück ins Büro; das hier war nur ein kleiner Mittagsfick.
»Ich – ein Mittagsfick«, dachte Catta mit Galgenhumor.
Wenn sie nun tatsächlich ein Buch schreiben würde?
»So«, sagte Charlie, stellte das Telefon zurück und streckte die Arme nach ihr aus. »Komm her.«
»Willst du nicht duschen?« fragte Catta vorsichtig.
»Schaffe ich nicht. Mache ich im Büro.«
Catta rührte sich nicht, trotz der ausgestreckten Arme.
»Was wird nun?« fragte sie. »Hast du mit ihr geredet?«
Charlie ließ die Arme sinken und schloß die Augen.
»Fang nicht wieder damit an!« sagte er. »Verdirb jetzt nicht alles, wo es so gut gewesen ist! Ich habe doch gesagt, es ist im Moment nicht günstig! Ihre Mutter ist krank, die Kinder haben Probleme in der Schule und alles mögliche andere. Ich muß auf die richtige Gelegenheit warten!«
Du lügst, dachte Catta, und wunderte sich über die Schärfe und Unsentimentalität ihres eigenen Gedankens. Du lügst, und du wirst weiter lügen. Sie und mich anlügen.
Sie sah plötzlich Margareta vor sich, Charlies Frau, freundlich, sanft und wartend. Eine Anwandlung von schlechtem Gewissen überfiel sie, doch sie schob sie von sich.
Margareta war nicht ihr Problem. Charlie war es.
Charlie und die Tatsache, daß sie, nur ein paar Stunden später, hübsch und munter zu sein hatte: Geburtstagskind und Gastgeberin.
Allein.
Charlie seufzte, schwang die Beine über die Bettkante und fing an, sich die Socken anzuziehen. Dann sah er sie mit seinen lieben, braunen Augen an.
»Das Taxi ist bald hier«, sagte er. »Wird man nicht wenigstens mal umarmt?«
Catta ging zu ihm. Nahm seinen Kopf zwischen ihre Arme und preßte ihn an ihren flachen Bauch, beugte sich über ihn und bohrte ihre Nase in sein braunes, welliges Haar. Als sie seinen Geruch spürte, verlor sich die Schärfe. Alles wurde undeutlich und verschwommen, und sie hörte sich selbst flüstern: »Verlaß mich nicht!«
»Natürlich tue ich das nicht«, flüsterte Charlie mit fester Stimme zurück. »Ich verlasse dich niemals! Du kannst auf mich zählen.«
3.
Was viele von Catta nicht wußten, war, daß sie malte. Sie malte recht gut, und das sogar, ohne auf die Kunstschule gegangen zu sein. Sie hatte zwar einmal auf der Nyckelviksschule angefangen, doch schon nach ein paar Wochen hatte sie es wieder hingeworfen. Es war oft so mit Dingen, die Catta in Angriff nahm; sie verlor so schnell das Interesse, daß sie nichts richtig zu Ende brachte.
Seitdem hatte Catta parallel zu ihren Universitätsstudien in Kunstgeschichte und ihrem Halbtagsjob in der Galerie gemalt. Mit der Zeit war sie besser geworden, ungefähr so, wie ein Autodidakt