Ungeduld des Herzens. Stefan Zweig
als ein einstöckiges weitgestrecktes Gebäude im späten Barockstil, nach altösterreichischer Art mit dem sogenannten Schönbrunner Gelb gefärbelt und mit grünen Fensterläden versehen. Durch einen Hof abgesondert, drücken sich ein paar kleinere Gebäude, offenbar für das Gesinde, die Verwaltung und die Stallungen bestimmt, in den großen Park hinein, von dem ich bei jenem ersten nächtlichen Besuch nichts wahrgenommen hatte. Jetzt erst merke ich, durch die sogenannten Ochsenaugen, die ovalen Durchbrüche jener mächtigen Mauer, hineinspähend, daß dieses Schloß Kekesfalva keineswegs, wie ich unter dem Eindruck der inneren Einrichtung vermeinte, eine moderne Villa ist, sondern ein rechtes ländliches Gutsherrenhaus, ein Adelssitz alter Art, derlei ich im Böhmischen ab und zu bei Manövern im Vorbeireiten gesehen hatte. Auffällig wirkte nur der merkwürdige viereckige Turm, der, mit seiner Form ein wenig an die italienischen Campaniles erinnernd, sich ziemlich ungehörig emporstemmt, vielleicht Überrest eines Schlosses, das vor Zeiten hier gestanden haben mag. Nachträglich entsinne ich mich jetzt, vom Exerzierfeld aus diese sonderbare Warte öfters wahrgenommen zu haben, freilich in der Meinung, es sei der Kirchturm irgend eines Dorfes, und nun erst fällt mir auf, daß der übliche Turmknauf fehlt und der merkwürdige Kubus ein flaches Dach besitzt, das entweder als Sonnenterrasse oder Observatorium dient. Je mehr ich aber des Feudalen, Altererbten dieses adligen Gutsbesitzes gewiß werde, um so unbehaglicher fühle ich mich: gerade hier, wo sicher auf Formen besonders geachtet wird, mußte ich derart tölpelhaft debütieren!
Aber schließlich gebe ich mir, nach beendeter Umkreisung wieder beim Gittertor von der anderen Seite angelangt, den entscheidenden Ruck. Ich durchschreite den Kiesweg zwischen den kerzengrade geschnittenen Bäumen und lasse an der Haustür den schweren bronzegetriebenen Klopfer niederfallen, der hier nach altem Brauch statt einer Glocke dient. Sofort erscheint der Diener – sonderbar, er scheint gar nicht erstaunt über den unangemeldeten Besuch. Ohne weiter zu fragen oder meine schon vorbereitete Visitenkarte entgegenzunehmen, lädt er mich mit höflicher Verbeugung ein, im Salon zu warten, die Damen seien noch auf ihrem Zimmer, würden aber gleich kommen; daß ich empfangen werde, scheint also zweifellos. Wie einen angesagten Besuch führt er mich weiter; mit erneutem Unbehagen erkenne ich den rottapezierten Salon wieder, in dem damals getanzt wurde, und ein bitterer Geschmack in der Kehle erinnert mich, daß nebenan jener Raum mit der verhängnisvollen Ecke sich befinden muß.
Zunächst verschließt allerdings eine cremefarbene, mit goldenen Ornamenten zierlich geschmückte Schiebetür den Ausblick auf den mir deutlich gegenwärtigen Schauplatz meiner Tölpelei, aber bereits nach wenigen Minuten vernehme ich hinter dieser Tür schon Rücken von Sesseln, tuschelndes Sprechen, irgend ein verhaltenes Kommen und Gehen, das mir die Gegenwart mehrerer Personen verrät. Ich versuche die Wartezeit zu nützen, um den Salon zu betrachten: üppige Möbel Louis seize, rechts und links alte Gobelins und zwischen den Glastüren, die unmittelbar in den Garten führen, alte Bilder vom Canale Grande und der Piazza San Marco, die mir, so unbelehrt ich auch in diesen Dingen bin, kostbar zu sein scheinen. Zwar, sehr deutlich unterscheide ich nichts von diesen Kunstschätzen, denn ich horche mit gespannter Aufmerksamkeit zugleich auf die Geräusche von nebenan. Es klirrt dort leise von Tellern, es knarrt eine Tür, jetzt meine ich auch – das unregelmäßige trockene Tappen und Tocken von Krücken zu hören.
Endlich schiebt von innen eine noch unsichtbare Hand die Flügel der Tür auseinander. Es ist Ilona, die mir entgegentritt. »Wie lieb, Herr Leutnant, daß Sie gekommen sind.« Und schon führt sie mich in den mir allzu wohlbekannten Raum. In derselben Boudoirecke, auf derselben Chaiselongue hinter demselben malachitfarbenen Tisch (warum wiederholen sie die für mich so peinliche Situation?) sitzt die Gelähmte, eine weiße Pelzdecke voll und schwer über den Schoß gebreitet, so daß ihre Beine unsichtbar bleiben – offenbar soll ich »daran« nicht erinnert werden. Mit zweifellos vorbereiteter Freundlichkeit lächelt mir von ihrer Krankenecke Edith grüßend entgegen. Aber diese erste Begegnung bleibt doch ein fatales Wiedersehen, und an der genierten Art, wie sie, ein wenig angestrengt, mir die Hand über den Tisch entgegenstreckt, merke ich sofort, auch sie denkt »daran«. Keinem von uns glückt das erste verbindende Wort.
Glücklicherweise wirft Ilona rasch eine Frage in das stickige Schweigen:
»Was dürfen wir Ihnen anbieten, Herr Leutnant, Tee oder Kaffee?«
»Oh, ganz wie es Ihnen beliebt«, erwidere ich.
»Nein – was Sie lieber haben, Herr Leutnant! Nur keine Zeremonien, es ist doch ganz einerlei.«
»Also Kaffee, wenn ich bitten darf«, entschließe ich mich und bin froh, dabei zu hören, daß meine Stimme nicht allzu brüchig klingt.
Verflucht geschickt war das von dem braunen Mädel, mit einer derart sachlichen Anfrage die erste Spannung überbrückt zu haben. Aber wie rücksichtslos wiederum, daß sie gleich darauf das Zimmer verläßt, um dem Diener Auftrag zu erteilen, denn so bleibe ich ungemütlicherweise mit meinem Opfer allein. Es wäre jetzt an der Zeit, etwas zu sagen, Konversation à tout prix zu machen. Doch mir steckt ein Pfropf in der Kehle, und auch mein Blick muß etwas Verlegenes haben, denn ich wage nicht in die Richtung des Sofas zu schauen, weil sie sonst glauben könnte, ich starre auf den Pelz, der ihre lahmen Beine verdeckt. Glücklicherweise zeigt sie sich gefaßter als ich und beginnt mit einer gewissen nervös-heftigen Art, die ich jetzt zum erstenmal an ihr kennenlerne:
»Aber wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Leutnant? Da, rücken Sie sich doch den Fauteuil her. Und warum legen Sie Ihren Säbel nicht ab – wir wollen doch Frieden halten . . . dort auf den Tisch oder auf das Fensterbrett . . . ganz wie Sie wollen.«
Ich rücke mir etwas umständlich einen Fauteuil heran. Noch immer gelingt es mir nicht, den Blick unbefangen einzustellen. Aber energisch hilft sie mir weiter.
»Ich muß Ihnen noch danken für die wunderbaren Blumen . . . wirklich wunderbare Blumen sind das, sehen Sie nur, wie schön sie sich in der Vase machen. Und dann . . . und dann . . . ich muß mich auch entschuldigen für meine dumme Unbeherrschtheit . . . Schrecklich, wie ich mich benommen habe . . . die ganze Nacht konnte ich nicht schlafen, so habe ich mich geschämt. Sie haben es doch so lieb gemeint und . . . wie konnten Sie denn eine Ahnung haben. Und außerdem« – (sie lacht plötzlich scharf und nervös) – »außerdem haben Sie meinen innersten Gedanken erraten . . . ich hatte mich doch mit Absicht so gesetzt, daß ich den Tanzenden zusehen konnte, und gerade als Sie kamen, hatte ich mir nichts so sehr gewünscht, als mitzutanzen . . . ich bin ja ganz vernarrt in den Tanz. Stundenlang kann ich zusehen, wie andere tanzen – so zusehen, daß ich selbst jede Bewegung bis in mich hinein spüre . . . wirklich, jede Bewegung. Nicht der andere tanzt dann, ich bin es selbst, die sich dreht, sich beugt, die nachgibt und sich führen, sich schwingen läßt . . . so närrisch kann man sein, das vermuten Sie vielleicht gar nicht . . . Schließlich, früher als Kind hab ich schon ganz gut getanzt und furchtbar gern . . . und immer, wenn ich jetzt träume, ist es vom Tanz. Ja, so dumm es klingt, ich tanze im Traum, und vielleicht ist es gut. für Papa, daß mir das mit . . . daß mir das passiert ist, sonst wäre ich von Hause weggelaufen und Tänzerin geworden . . . Nichts passioniert mich so, und ich denk mir, es muß herrlich sein, mit seinem Körper, mit seiner Bewegung, mit seinem ganzen Sein jeden Abend Hunderte und Hunderte Menschen zu packen, zu fassen, aufzuheben . . . herrlich muß das sein . . . übrigens, damit Sie sehen, wie närrisch ich bin . . . ich sammle alle Bilder von großen Tänzerinnen. Alle habe ich, die Saharet, die Pawlowa, die Karsawina. Von allen habe ich die Photographien und in allen ihren Rollen und Posen. Warten Sie, ich zeige sie Ihnen . . . dort, in der Schatulle liegen sie . . . dort beim Kamin . . . dort in der chinesischen Lackschatulle« – (ihre Stimme wird plötzlich ärgerlich vor Ungeduld) – »Nein, nein, nein, dort links neben den Büchern . . . ach, sind Sie ungeschickt . . . Ja, das ist sie« – (ich hatte die Schatulle endlich gefunden und brachte sie) – »Sehn Sie, das da, das zu oberst liegt, ist mein Lieblingsbild, die Pawlowa als sterbender Schwan . . . ach, wenn ich ihr nur nachreisen, wenn ich sie nur sehen könnte, ich glaube, es wäre mein glücklichster Tag.«
Die rückwärtige Tür, durch die Ilona sich entfernt hatte, beginnt sich leise in den Scharnieren zu bewegen. Hastig, wie ertappt, mit einem trockenen, knallenden Wurf klappt Edith die Schatulle zu. Es klingt wie ein Befehl, den sie mir jetzt zuwirft:
»Nichts davon vor den andern! Kein Wort von dem, was