Die bekanntesten Theaterstücke. Heinrich von Kleist

Die bekanntesten Theaterstücke - Heinrich von Kleist


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      SYLVESTER:

       Auch diese Untat, wenn sie häßlich gleich,

       Doch ists noch zu verzeihn, Jeronimus.

       Denn schwer war er gereizt. – Auf jeden Fall

       Ist mein Gesuch so unerwarteter;

       Und öfters tut ein Mensch, was man kaum hofft,

       Weil mans kaum hofft.

      JERONIMUS: Es ist ein blinder Griff,

       Man kann es treffen.

      SYLVESTER: Ich wills wagen. Reite

       Nach Rossitz, fordre sicheres Geleit,

       Ich denke, du hast nichts zu fürchten.

      JERONIMUS: – Nein;

       Ich wills versuchen. (Ab ins Tor.)

      SYLVESTER: So leb wohl.

      GERTRUDE: Leb wohl,

       Und kehre bald mit Trost zu uns zurück.

      (Sylvester, Gertrude und Agnes folgen.)

      AGNES (hebt im Abgehen den Dolch auf):

       Es gibt keinen. –

      GERTRUDE (erschrocken):

       Den Dolch – er ist vergiftet, Agnes, kann

       Vergiftet sein. – Wirf gleich, sogleich ihn fort.

       (Agnes legt ihn nieder.)

       Du sollst mit deinen Händen nichts ergreifen,

       Nichts fassen, nichts berühren, das ich nicht

       Mit eignen Händen selbst vorher geprüft.

      (Alle ab. Der Vorhang fällt.)

      Dritter Aufzug

       Inhaltsverzeichnis

      Erste Szene

       Inhaltsverzeichnis

       Gegend im Gebirge. Agnes sitzt im Vordergrunde der Höhle in der Stellung der Trauer. Ottokar tritt auf, und stellt sich ungesehen nahe der Höhle. Agnes erblickt ihn, tut einen Schrei, springt auf und will entfliehen.

      AGNES (da sie sich gesammelt hat):

       Du bists. –

      OTTOKAR: Vor mir erschrickst du?

      AGNES: Gott sei Dank.

      OTTOKAR:

       Und wie du zitterst. –

      AGNES: Ach es ist vorüber.

      OTTOKAR:

       Ists wirklich wahr, vor mir wärst du erschrocken?

      AGNES:

       Es ist mir selbst ein Rätsel. Denn soeben

       Dacht ich noch dran, und rief den kühnen Mut,

       Die hohe Kraft, die unbezwingliche

       Standhaftigkeit herbei, mir beizustehn

       – Und doch ergriffs mich, wie unvorbereitet,

       – – Nun, ists vorbei. –

      OTTOKAR: O Gott des Schicksals! Welch ein schönes,

       Welch ruhiges Gemüt hast du gestört!

      AGNES:

       – Du hast mich herbestellt, was willst du?

      OTTOKAR: Wenn

       Ichs dir nun sage, kannst du mir vertraun,

       Maria?

      AGNES: Warum nennst du mich Maria?

      OTTOKAR:

       Erinnern will ich dich mit diesem Namen

       An jenen schönen Tag, wo ich dich taufte.

       Ich fand dich schlafend hier in diesem Tale,

       Das einer Wiege gleich dich bettete.

       Ein schützend Flordach webten dir die Zweige,

       Es sang der Wasserfall ein Lied, wie Federn

       Umwehten dich die Lüfte, eine Göttin

       Schien dein zu pflegen. – Da erwachtest du,

       Und blicktest wie mein neugebornes Glück

       Mich an. – Ich fragte dich nach deinem Namen;

       Du seist noch nicht getauft, sprachst du. – Da schöpfte

       Ich eine Hand voll Wasser aus dem Quell,

       Benetzte dir die Stirn, die Brust, und sprach:

       Weil du ein Ebenbild der Mutter Gottes,

       Maria tauf ich dich.

       (Agnes wendet sich bewegt.)

       Wie war es damals

       Ganz anders, so ganz anders. Deine Seele

       Lag offen vor mir, wie ein schönes Buch,

       Das sanft zuerst den Geist ergreift, dann tief

       Ihn rührt, dann unzertrennlich fest ihn hält.

       Es zieht des Lebens Forderung den Leser

       Zuweilen ab, denn das Gemeine will

       Ein Opfer auch; doch immer kehrt er wieder

       Zu dem vertrauten Geist zurück, der in

       Der Göttersprache ihm die Welt erklärt,

       Und kein Geheimnis ihm verbirgt, als das

       Geheimnis nur von seiner eignen Schönheit,

       Das selbst ergründet werden muß.

       Nun bist

       Du ein verschloßner Brief. –

      AGNES (wendet sich zu ihm): Du sagtest gestern,

       Du wolltest mir etwas vertraun.

      OTTOKAR: Warum

       Entflohest du so schleunig?

      AGNES: Das fragst du?

      OTTOKAR:

       Ich kann es fast erraten – vor dem Jüngling,

       Der uns hier überraschte; denn ich weiß,

       Du hassest alles, was aus Rossitz ist.

      AGNES:

       Sie hassen mich.

      OTTOKAR: Ich kann es fast beschwören,

       Daß du dich irrst. – Nicht alle wenigstens;

       Zum Beispiel für den Jüngling steh ich.

      AGNES: Stehst du. –

      OTTOKAR:

       Ich weiß, daß er dich heftig liebt. –

      AGNES: Mich liebt. –

      OTTOKAR:

       Denn er ist mein vertrauter Freund. –

      AGNES: Dein Freund –?

      OTTOKAR:

       – Was fehlt dir, Agnes?

      AGNES: Mir wird übel:

       (Sie setzt sich.)

      OTTOKAR: Welch

       Ein Zufall – wie kann ich dir helfen?

      AGNES: Laß

       Mich einen Augenblick. –

      OTTOKAR: Ich will dir Wasser

       Aus jener Quelle schöpfen. (Ab.)

      AGNES (steht auf): Nun ists gut:

      


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