Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
bei einmaliger Übertretung und Deportation nach den Kolonien beim zweitenmal«. Auch konnte ich nicht gut begreifen, wozu ein Religionslehrer bewaffnet umhergehen sollte, oder was ein blinder Mann mit einer Pistole anfangen könne.
Ich erzählte ihm von meinem Führer, denn ich war stolz auf meine Tat und meine Eitelkeit gewann diesmal die Oberhand über meine Klugheit. Bei Erwähnung der fünf Schillinge schrie er so laut auf, daß ich mich entschloß von den anderen zwei nichts mehr zu sagen und froh war, daß er nicht sehen könne, wie ich errötete.
»War es zu viel?« fragte ich zögernd.
»Zuviel?« rief er. »Nun ich will Euch für einen Schluck Branntwein nach Torosay führen und Euch noch das Vergnügen meiner Gesellschaft (der ich ein gebildeter Mann bin) mit in den Kauf geben.«
Ich sagte, ich könne nicht begreifen, wie ein blinder Mann ein Führer sein sollte. Aber da lachte er und sagte, sein Stock wäre Auges genug, er sähe wie ein Adler.
»Wenigstens auf der Insel Mull,« sagte er, »wo ich jeden Stein und Heidebusch auswendig kenne. Seht nur,« sagte er und schlug rechts und links mit dem Stock auf, wie um sich zurecht zu finden, »hier unten fließt ein Bach und an dessen Quelle steht ein kleiner Hügel, und oben ist ein großer Stein darauf gestülpt und knapp am Fuß des Hügels läuft der Weg nach Torosay vorbei, und dieser Weg hier ist glatt getreten, weil es ein Herdenweg ist, und er führt grasbewachsen durch die Heide.«
Ich mußte zugeben, daß er mit allem recht hatte und sprach meine Verwunderung darüber aus.
»Ach!« sagte er, »das ist nichts. Wollt Ihr mir glauben, daß ich – ehe die Vorschrift herauskam, und als man noch Waffen tragen durfte hier – schießen konnte? Ja, das könnt ich!« ruft er und dann seitwärts schielend: »Hättet Ihr so etwas wie eine Pistole bei Euch, ich würde Euch zeigen, wie ich es mache.«
Ich sagte ihm, daß ich nichts dergleichen bei mir trüge und gab ihm damit freieren Spielraum. Wenn er gewußt hätte, daß seine Pistole ganz deutlich aus seiner Tasche hervorschaute und die Sonne sich auf dem Stahlkolben spiegelte! Aber glücklicherweise wußte er nichts davon und glaubte, daß alles gut zugedeckt und verborgen läge.
Dann fing er an, mich schlau auszufragen, woher ich käme, ob ich reich wäre, ob ich ihm ein Fünf-Schillingstück wechseln könnte (das er in diesem Augenblick in seiner Tasche zu haben vorgab) und die ganze Zeit bemühte er sich, nahe an mich heran zu kommen und ich, ihm auszuweichen. Wir gingen jetzt auf einem Wiesenpfad, einer Art Herdenweg, der über die Hügel nach Torosay führte, und wir tanzten von einer Seite auf die andere, immerfort Platz tauschend. Ich hatte so offenkundig die Oberhand, daß ich ganz vergnügt wurde und wirklich Vergnügen daran fand, mit dem blinden Mann Blindekuh zu spielen. Aber der Katechet wurde immer zorniger und zorniger, begann schließlich in gälischer Sprache zu schimpfen und mit seinem Stock nach meinen Beinen zu schlagen.
Da sagte ich ihm, daß ich so gut wie er eine Pistole in der Tasche hätte, und wenn er sich nicht geradewegs südwärts über die Hügel davon mache, ich ihm eine Kugel durch den Kopf schießen werde.
Er wurde sofort sehr höflich und nachdem er vergebens eine Weile versucht hatte mich zu beruhigen, rief er mir noch einen gälischen Fluch nach und bog vom Wege ab.
Ich blickte ihm nach, wie er an Sumpf und Gestrüpp vorbeischritt, mit seinem Stock vor sich hertastend, bis er hinter einem Hügel meinen Augen entschwand. Dann machte ich mich wieder auf den Weg in der Richtung nach Torosay, froh wieder allein zu sein, anstatt die Reisegesellschaft dieses gebildeten Mannes zu genießen. Das war ein Unglückstag, und diese beiden, deren ich mich dieserart entledigt hatte, waren die zwei übelsten Menschen, denen ich im Hochland begegnet war.
In Torosay, am Sund von Mull, mit dem Blick auf das Festland Morven, befand sich ein Wirtshaus mit einem Wirt, der anscheinend ein Maclean aus einer sehr hohen Familie war. Denn ein Wirtshaus zu besitzen gilt im Hochland sogar für noch vornehmer als bei uns; vielleicht wegen der Gastfreundschaft, vielleicht auch, weil es ein mit Müßiggang und Trunksucht gepaartes Gewerbe ist. Der Wirt sprach gut Englisch und da er mich für etwas wie einen Gelehrten hielt, prüfte er mich erst im Französischen, worin er mich leicht schlug, dann lateinisch, und ich weiß nicht, wer von uns beiden darin die größeren Kenntnisse besaß. Diese heitere Gegnerschaft brachte uns bald auf freundschaftlichen Fuß, und ich saß und trank Punsch mit ihm (oder genau gesagt, saß und sah ihm zu, Punsch trinken), bis er so benebelt war, daß er, an meine Schulter gelehnt, weinte.
Ich versuchte es, wie zufällig, mit Alans Knopf bei ihm, aber es war klar, daß er ihn niemals gesehen oder davon gehört hatte. Er trug sogar einen gewissen Groll gegen die Familie oder die Anhänger Ardshiels, und ehe er betrunken war, las er mir eine Schmähschrift vor, die er gegen ein Mitglied dieses Hauses abgefaßt hatte, in sehr guten lateinischen Versen zwar, aber in sehr böser Absicht, was den Inhalt betraf.
Als ich ihm von meinem Katecheten erzählte, schüttelte er den Kopf und sagte mir, es wäre ein Glück für mich, daß ich ihn so gut losgeworden wäre. »Das ist ein sehr gefährlicher Mann«, sagte er. »Duncan Mackiegh heißt er. Er kann nach dem Gehör einige Ellen weit schießen und war schon oft wegen Straßenräuberei angeklagt, und einmal sogar wegen Mord.«
»Die Creme davon ist,« sagte ich, »daß er sich einen Katecheten nannte.«
»Warum auch nicht?« sagte er, »das ist er ja. Maclean von Duart machte ihn dazu, weil er blind war. Aber vielleicht war das schade,« sagte mein Wirt, »denn er ist immer unterwegs; er geht von einem Ort zum anderen, um das junge Volk in Religion zu unterrichten, und das ist zweifellos eine große Versuchung für einen armen Mann.«
Endlich, als mein Wirt nicht mehr trinken konnte, führte er mich zu meinem Bett, und ich legte mich sehr zufrieden nieder. Ich hatte den größten Teil dieser ausgebreiteten und an Windungen so reichen Insel Mull in vier Tagen durchwandert – von Earraid bis Torosay sind es fünfzig Meilen Luftlinie, und ich hatte zu Fuß beinahe hundert zurücklegen müssen – ohne große Ermüdung. Und ich war wirklich am Schlusse dieser langen Wanderung körperlich und seelisch in weit besserer Verfassung als zu Beginn.
Kapitel XVI
Der Bursche mit dem Silberknopf: Quer durch Morven
Zwischen dem Festlande von Torosay und Kinlochaline verkehrt regelmäßig eine Überfuhr. Das Land zu beiden Ufern des Sundes gehört dem mächtigen Clan der Macleans, und die Leute, die mit mir zusammen in der Überfuhr saßen, waren beinahe alle Angehörige dieses Clan. Der Schiffsbesitzer wieder hieß Neil Roy Macrob; und da Macrob einer der Namen von Alans Clansmännern war, und Alan selbst mich an diese Überfuhr gewiesen hatte, war ich sehr begierig, allein mit Neil Roy zu sprechen.
In dem vollen Boot war dies natürlich unmöglich, und die Überfahrt ging nur langsam von statten. Es war kein Wind, und da das Boot elend ausgestattet war, konnten wir bloß an einer Seite mit zwei Rudern arbeiten und nur mit einem an der anderen. Die Männer aber halfen mit gutem Willen nach und die Passagiere lösten einander ab, um sie bei der Arbeit zu unterstützen. Die ganze Gesellschaft aber gab mit gälischen Schiffsliedern den Takt dazu. Dies alles als Ganzes genommen – die Lieder und die Seeluft, die gute Laune und freundliche Gesinnung aller Mitbeteiligten und das schöne Wetter – konnte die Überfahrt ein hübsches Erlebnis genannt werden.
In Kinlochaline nahm ich Neil Roy am Ufer beiseite und sagte, ich wüßte, daß er einer von Appins Leuten wäre.
»Und was ist's, wenn nicht?« sagte er.
»Ich suche jemanden«, sagte ich, »und da fiel mir ein, daß Ihr vielleicht Nachrichten von ihm habt. Alan Breck Stewart ist sein Name.« Und anstatt ihm den Knopf zu zeigen, wollte ich ihm dummerweise einen Schilling in die Hand drücken.
Daraufhin zog er sie zurück.
»Ihr beleidigt mich ernstlich,« sagte er, »und das ist nicht die Art, wie sich ein Gentleman gegen einen anderen benehmen sollte. Der Mann, nach dem Ihr mich fragt,