Die bekanntesten Werke von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
es wird da, scheint mir, viel Aufhebens gemacht um eines Campbell willen!« sagte er. »Es sind ihrer doch nicht so wenige, soviel ich weiß!«
»Du kannst mir wenigstens keinen Vorwurf machen,« sagte ich, »nach all dem, was du mir an Bord erzählt hast. Aber in Versuchung kommen und die Tat auch wirklich vollbringen, ist zweierlei, und ich danke Gott noch einmal dafür. Wir könnten alle in Versuchung geraten, aber kalten Blutes einem Menschen das Leben nehmen, Alan!« Ich konnte für den Augenblick nichts weiter sagen.
»Weißt du, wer es getan hat,« fügte ich noch hinzu. »Kennst du jenen Mann im schwarzen Mantel?«
»Ich weiß nicht genau, was er für einen Mantel trug,« sagte Alan schlau, »aber es kommt mir so vor, als wäre er blau gewesen.«
»Blau oder schwarz, hast du ihn gekannt?« fragte ich.
»Ich könnte nicht schwören,« sagte Alan. »Es ist wahr, er kam dicht an mir vorbei, aber ich habe merkwürdigerweise gerade meine Schuhe zugeschnürt.«
»Kannst du schwören, daß du ihn nicht kennst?« rief ich halb ärgerlich, halb lachend über seine Art, mir auszuweichen.
»Jetzt nicht,« sagte er, »aber ich habe eine große Fähigkeit zu vergessen, David.«
»Und doch habe ich eines deutlich bemerkt,« sagte ich, »und zwar, daß du dich und mich absichtlich in Gefahr gebracht hast, um die Soldaten irre zu führen und ihre Aufmerksamkeit auf uns zu lenken.«
»Das ist höchstwahrscheinlich,« sagte Alan, »und das hätte jeder getan. Du und ich waren ja unschuldig an dieser Tat.«
»Umsomehr Grund; da wir fälschlich verdächtigt wurden, fort zu kommen,« rief ich. »Der Unschuldige sollte doch vor dem Schuldigen kommen.«
»Warum, David,« sagte er, »der Unschuldige hat doch die Chance vor Gericht freigesprochen zu werden. Aber der Bursche, der die Kugel abschoß, für den ist, denke ich, die Heide der beste Platz. Diejenigen, die sich noch in keinerlei Schwierigkeiten eingelassen haben, sollten derer nicht vergessen, die es bereits getan haben. Und das ist das wahre Christentum. Denn wäre es umgekehrt gewesen, und steckte der Bursche – dessen Gesicht ich nicht genau sehen konnte – in unserer Haut, wir wären, glaube mir, hübsch froh und ihm gar sehr verbunden, wenn er uns die Soldaten vom Halse schaffte.«
Da gab ichs auf. Alan sah die ganze Zeit so unschuldig drein, und war so überzeugt von dem, was er sagte, und so bereit, sich für das, was er für seine Pflicht hielt, zu opfern, daß er mich damit mundtot machte. Ich erinnerte mich der Worte Herrn Henderlands: daß wir von diesen wilden Hochländern selbst gar manches lernen könnten. Nun, und hier hatte ich mein Teil gelernt. Alans Moralbegriffe waren ganz verkehrt; aber so wie sie nun einmal waren, fand ich ihn stets bereit, sein Leben für sie zu lassen.
»Alan,« sagte ich. »ich will nicht sagen, daß dies das wahre Christentum sei, so wie ich es verstehe, aber es ist doch gut. Und hier biete ich dir zum zweitenmal meine Hand.«
Da reichte er mir seine beiden hin und sagte, ich hätte ihn sicherlich verzaubert, denn mir könne er alles verzeihen. Dann wurde er sehr ernst; wir hätten nicht viel Zeit zu verlieren, sondern müßten beide aus diesem Land fliehen: er, weil er ein Deserteur sei und ganz Appin jetzt wie ein Haus durchsucht werden würde und jeder gezwungen, genaue Rechenschaft über sich abzulegen; und ich, weil ich sicher in diese Mordgeschichte verwickelt wäre.
»Oh,« sagte ich, in der Absicht, ihm eine Lektion zu geben, »ich fürchte die Gerechtigkeit meines Landes nicht.«
»Als ob das dein Land wäre!« sagte er. »Oder ob deine Sache hier in einem Lande der Stewarts ordentlich untersucht werden würde!«
»Es ist doch alles Schottland!« sagte ich.
»Mensch, ich muß mich über dich wundern,« sagte Alan. »Der hier getötet wurde, ist ein Campbell. Die Sache wird in Inverara, dem Hauptsitz der Campbells untersucht werden, und fünfzehn Campbells werden zu Gericht sitzen und der größte Cambpell von allen (das ist der Herzog) wird an ihrer Spitze sitzen. Gerechtigkeit, David? Dieselbe Gerechtigkeit, die Glenure vor einer Weile auf der Straße fand.«
Das erschreckte mich ein wenig, gebe ich zu, und hätte mich noch weit mehr erschreckt, hätte ich gewußt, wie nahe Alans Vermutungen der Wirklichkeit kamen. Er hatte tatsächlich nur in dem einen Punkt übertrieben, daß bloß elf Campbells zu Gericht saßen.
»Na, na,« sagte er, »wir sind im Hochland, David, und wenn ich dir sage: lauf davon, dann folge mir und lauf. Es ist zweifellos eine üble Sache, sich in der Heide verstecken zu müssen und Hunger zu leiden, aber es ist noch schlimmer, gefesselt in einem Gefängnis der Rotröcke zu liegen.«
Ich fragte ihn, wohin wir fliehen sollten und als er mir sagte »ins Flachland« war ich schon eher geneigt, mit ihm zu gehen; denn ich sehnte mich wirklich schon darnach, zurück zu kommen und meinen Onkel unterzukriegen. Außerdem stellte Alan es als so sicher hin, daß in dieser Sache nicht nach Gesetz und Recht geurteilt werden würde, daß ich anfing zu fürchten, er könnte Recht haben. Von allen Todesarten, wäre mir der Tod auf dem Galgen, der am wenigsten erwünschte gewesen, und das Bild dieses gefährlichen Instrumentes stand plötzlich mit ungewöhnlicher Deutlichkeit vor meinen Augen.
»Ich will es wagen, Alan,« sagte ich. »Ich gehe mit dir.«
»Aber merk dir wohl,« sagte Alan, »es ist keine leichte Sache. Du wirst oft hart und bloß und hungrig liegen müssen. Das Versteck des Heidehuhns wird dein Lager sein und dein Leben das des gehetzten Wildes, und du wirst lernen müssen zu schlafen, die Waffen in der Hand. Ja, Mensch, und manche wundgelaufenen Füße wird es kosten, ehe wir durchkommen. Ich sage dir dies, zu aller Anfang, denn ich kenne dies Leben gar wohl. Aber fragst du mich, welch andere Wahl dir bleibt, so antworte ich dir: keine. Entweder du wählst mit mir die Heide oder du hängst.«
»Und die Wahl ist leicht getroffen,« sagte ich, und wir schüttelten einander die Hände.
»Jetzt wollen wir noch einmal nach den Rotröcken gucken,« sagte Alan, und er führte mich zum nordöstlichen Rande des Waldes.
Alan sah den Soldaten lächelnd nach.
»Ja,« sagte er, »die werden hübsch müde sein, ehe sie ihr Ziel erreichen! Und so können wir David, du und ich, hier noch ein wenig sitzen bleiben, einen Bissen essen, ein wenig ausschnaufen und noch einen Schluck aus der Flasche trinken. Dann machen wir uns nach Aucharn auf, zum Hause meines Anverwandten, James von Glens, wo ich meine Kleider und Waffen holen muß und Geld, damit wir uns weiter helfen können. Und dann wollen wir »Glück auf!« rufen und uns in das Heideland stürzen!«
So setzten wir uns wieder nieder und aßen und tranken und konnten von unserem Platz aus die Sonne untergehen sehen, inmitten dieser großen, wilden, häuserarmen Gebirgsgegend, die ich nun mit meinem Genossen zu durchwandern verdammt war. Wir erzählten einander, zum Teil während dieser Rast, zum Teil auf dem Wege nach Aucharn, alle unsere Abenteuer und ich will hier so viel von Alans Geschichte niederschreiben, als mir bemerkenswert oder notwendig erscheint.
Er scheint, so bald die große Welle vorüber war, ans Bollwerk gelaufen zu sein, sah mich, verlor mich wieder aus den Augen, sah mich wieder, wie ich in den Fluten herumgewirbelt wurde, und dann schließlich noch einmal, wie ich an der Segelstange hing. Dies gab ihm die Hoffnung, daß ich schließlich vielleicht doch ans Land gelangen könnte und veranlaßte ihn, mir diese Botschaften und Anhaltspunkte zu hinterlassen, die mich (wohl um meiner Sünden willen) in dieses unglückliche Land Appin gebracht haben.
Inzwischen hatten jene, die noch auf dem Schiff waren, das Boot hinunter gelassen, und es waren bereits ein oder zwei von ihnen schon darin, als jene zweite Welle – noch größer als die erste – kam, das Schiff in die Höhe hob, und es sicherlich in den Grund gebohrt hätte, wäre es nicht an einem hervorstehenden Riff aufgeschlagen und festgehangen. Als das Schiff zum erstenmal aufschlug, war es mit dem Bug voran gewesen, so daß das Steuer bisher zu unterst gewesen war. Jetzt aber wurde das Steuer in die Luft gehoben, und der Bug kam unters Wasser und damit begann das Wasser zur Vorderdeckluke einzudringen wie der Bach eines Mühldammes.
Alan