Die flammende Nacht. Hans Hyan

Die flammende Nacht - Hans Hyan


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geschützt, die Kostüme, das wahrhaft einzige Besitztum dieser armen und so fröhlichen Menschen.

      Das Tänzerpaar „Illa-Dilla“ zog sich gerade zur nächsten Nummer um. Sie mimte eine Bajadere, eine in Schleier gehüllte Tempeldirne vom Ganges, die den Gott ihrer Liebe und Gebete, den grossen Krischna, umschwebt. Und dieser Gott war ein früherer Reitknecht mit hartgeschnittenen Zügen und sehnig bemuskelten Gliedern. Er selbst sass, beim Tanz vom Scheinwerfer blaubeleuchtet, mit untergeschlagenen Beinen auf dem Podium, in einem mit Messingplättchen benähten, glitzernden Mantel, vor dem brutalen Gesicht eine Maske, in deren Augen kleine Glühbirnen leuchteten. Sie, eine aus dem Elternhause entlaufene Adlige, liebte die harten Männer und das Vagabundenleben. Sie trug eine Perlenkette um den bis zum Nabel enthüllten Leib, deren Wert eine Lebensrente darstellte, aber sie hungerte mit ihrem Stallgefährten, wenn es kein Engagement gab und nahm geduldig, vielleicht gar brünstig, seine harte Faust hin, die manche Nacht die Karten auf den Tisch schlug, ohne an morgen zu denken.

      Deinhardt unterhielt sich mit dem Humoristen. Der lag halb, halb sass er in seinem Frack, dünn, wie eine schräg stehende Zaunlatte, auf dem Stuhl und lutschte an seiner ausgegangenen Zigarre:

      „Du musst dir darauf nichts einbilden, Martin, wenn ich hier mit dir so leutselig spreche .. is mir ja nich an der Wiege gesungen worden. Mein Vater ...“

      „Ich weiss, Walter, dein Vater war Photograph!“

      „Xylo .. Xylo! .. Xylograph war er! Aber ihr lernt das nicht .. ich kann’s noch oft sagen! .. Sieh mal, Martin, darum sage ich’s dir doch! Xylograph war mein Vater, sage ich dir! Aber du bleibst bei Photo! .. Dann brauch’ ich’s dir doch gar nicht erst zu sagen! .. Warum sage ich’s dir denn? Sage mal so ’ne halbe Stunde hintereinander: Xylo! Xylo! Xylo! .. ’ne halbe Stunde ununterbrochen, vastehste? .. Ich wer’ solange raufgehn un’n Schnaps trinken!“

      Und er ging mit seinen dünnen Beinen, die die engen schwarzen Hosenrohre nicht füllen konnten, steif und hölzern zur Tür, dabei die Frackschösse mit den Händen höchst unanständig lüftend.

      Indem kamen zwei der Lalamädchen, soeben mit ihrer Pièce fertig, rasch herein. Effi, sechzehn Jahre alt, und Bella, auch kaum siebzehn:

      „Sie hat mich wieder mit dem Schwert gestossen, das Heupferd, die Pauline! .. Nächstes Mal hau’ ich wieder! .. Jedesmal macht sie das bei dem Gladiatorentanz, die alte Kuh! .. Und ich sage dir, Bella, sie tut’s absichtlich! .. Komm, Martin, schnür mir die Sandalen auf!“

      Der Journalist liess sich’s nicht zweimal sagen. Das Mädchen hatte Beine wie eine Elfe, ihr ganzer Leib war ein Gedicht, das sie übrigens bereitwillig zum besten gab. Sie, wie ihre kleine Kollegin, warfen die roten Satinröckchen fort, und so standen sie nackt und knospenhaft.

      Es klopfte. Martin ging zur Tür, machte sie einen Spalt weit auf, der Kellner stand draussen:

      „Ach, Herr Deinhardt, das Fräulein da oben ..“

      „Na, was ist denn?“

      „Die, mit der Sie hergekommen sind ..“

      „Was ist denn mit ihr?“ Martin Deinhardt war wütend, dass ihn dies dumme Abenteuer nicht losliess. Gleichzeitig fiel ihm ein, dass er der Armen da oben im Saal ein Obdach hatte verschaffen wollen. Und weil er’s vergessen hatte, ward er noch ärgerlicher. So wurde es ihm nicht gleich bewusst, was der Kellner sagte:

      „Sie ist ohnmächtig geworden, Herr Deinhardt!“

      Doch dann war er mit zwei Schritten auf der Treppe.

      Oben im Kabarett beruhigte man sich schon wieder. Die Kranke war in den Nebenraum, eine kleine Bar, getragen worden, die selten jemand aufsuchte. Da lag sie, noch bewusstlos, in einem Ledersessel. Ein Medizinstudent hielt ihre Linke, die wie eine welke Blüte aus der Manneshand herniederhing. Da der junge Mann sah, dass Deinhardt Beziehung zu der Leidenden hatte, stellte er sich flüchtig vor.

      „Es wäre gut, wenn Sie die Dame recht schnell nach Hause transportieren .. ein Wagen natürlich, laufen kann sie nicht .. ich würde mitkommen, wenn Sie gestatten, denn ich glaube, ärztliche Hilfe ist notwendig.“

      Auf den Journalisten stürmten tausend Gedanken ein: Abwehr, Widerspruch, Scham, sich zu erklären, und ein Ärger sondergleichen, dass dieser Unglückswurm sich nun mit seiner Ohnmacht so fest an seinen Hals hing, dass er sie nicht mehr abschütteln konnte. Dann aber trieb sein Herz, in dessen Tiefe trotz alledem die Güte lebte, die bösen Schatten fort. Er liess ein Auto holen, nahm, stark wie er war, die schwach Atmende auf seine Arme, nachdem er sie in seinen Pelz gewickelt hatte, und trug sie mühelos hinaus. Der Mediziner folgte ihm.

      Und Martin Deinhardt freute sich, wie leicht er das Mädchen trug .. Am Ende war es gar nicht so schwer, einen Menschen durch die kalte Lebensnacht ins warme Licht der Liebe zu tragen.

      3

      Am anderen Morgen, so um zehn, klingelte Tessi Sommer bei dem Journalisten. Sie sah brillant aus in ihrem hellen, englischen Kostüm mit Waschbärbesatz. Ihr kräftiges, nicht unintelligentes Gesicht mit den vom klaren Wintertag geröteten Wangen und dem blauen, siegessicheren Augenpaar gefiel den Männern. Tessi hatte, wie stets, auch auf dem Wege hierher mehrfache Ansprache gehabt. Aber sie liess die Begehrlichen abblitzen, dass es eine Art hatte. Ihr Schwarm war nun mal dieser grosse, kräftige Zeitungsschreiber. Und es war noch nicht lange her, dass sie die Hoffnung nährte, Frau Deinhardt zu werden.

      Sie hatte eine Weile warten müssen, als er sehr behutsam die Tür aufmachte.

      „Pst! ... leise!“ Er liess das Mädchen, das ihn erstaunt ansah, eintreten, führte sie in sein Arbeitszimmer und flüsterte, auf das alte Ledersofa, das halb voll Zeitungen und Büchern lag, hinweisend:

      „Setz dich .. da! .. aber recht leise .. sie hat die ganze Nacht Fieber gehabt und ist eben eingeschlafen!“

      „Wer denn?“

      „Na, du hast sie doch gesehen, gestern abend .. in der Lerche!“

      „Ach so .. wo hast du denn .. ich meine ..“

      „Was du meinst, kann ich mir denken!“

      „Sprich vor allen Dingen ein bisschen mehr piano, Tessi! Du bist doch ’n guter Kerl und wirst nicht wollen, dass das arme Ding da nebenan wieder ihre Fieberdelirien kriegt! ... Nein, nicht wahr! Eher wirst du mir helfen, sie gesund zu machen!“

      „Aber wo hast du sie denn bloss her?“

      „Von der Strasse! ... aufgelesen wie ein armes, verhungertes, beinah’ schon totgefrorenes Kätzchen.“

      „Und was willst du nun mit ihr, Martin?“

      Er gab der hübschen, geraden Nase einen Tupp mit dem Finger:

      „Heiraten will ich sie! Jawoll! Heiraten! Sowie sie gesund ist! Oder hast du was anderes erwartet, Tessi?“

      Sie lächelte und sah lieb aus:

      „Sei nicht böse, Martin, aber du weisst doch ...“

      „Die Rivalin? — Na, natürlich! Wenn ich nur wüsste, womit ich soviel Liebe verdient habe!“

      Sie erregte sich leicht, und das Weinen war ihr nahe:

      „Altes Ekel, du!“

      „Siehste, so gefällste mir besser! Aber hör’ mal, du könntest das, was ich hier auf den Zettel geschrieben habe, einkaufen gehn ... natürlich, für das arme kleine Tierchen! ... ich versteh’ mich doch auf sowas nicht besonders ... Hier haste Geld und halte dich nich auf! ’s is Medizin dabei, die sie dringend braucht!“

      „Du barmherziger Samariter! ... Und was kriege ich dafür?“

      „Einen Lobstrich im Himmel! Eigensüchtige Person du! Aber wenn du lieb bist, führ’ ich dich mal wieder in die Oper!“

      „Au ja, fein!“ Sie stand an der Tür und hielt ihm den frischen Mund hin, den er gern küsste, dann ging er ins Nebenzimmer, wo er schlief.

      In


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