Seekadett Jack Freimut. Фредерик Марриет
„Es thut mir in der That leid; aber Sie müssen bis zur Mittagsessenszeit warten. Mesty sagt die volle Wahrheit.“
„Sagen Ihnen was, Massa Jolliffe, eben sieben Glockenzüge und, wenn der junge Herr statt Thee etwas aus dem Kessel nehmen wollte, so möcht’s ihm gut bekommen. ’s ist nur ein kleiner Unterschied zwischen Theebrühe und Erbsensuppe. Eine Schüssel davon, mit einigen Nüssen und etwas Pfeffer, wird ihm jedenfalls gut thun.“
„Das Beste vielleicht, was er kriegen kann, Mesty, hol’ es so schnell als möglich herbei.“
Nach einigen Minuten brachte der Schwarze eine Schüssel mit Suppe, in der ganze Erbsen herumschwammen, und stellte vor unseren Helden eine zinnerne Frühstücksschüssel voll kleiner Zwiebackstücke, Kadettennüsse genannt, sowie die Pfefferdose. Jacks Traumgebilde von Thee, Kaffee, Plattsemmeln, mürbem Kuchen und Milch verschwanden, als er diese Suppe sah; aber er war sehr hungrig und fand sie somit über alles Erwarten gut; auch war es ihm, nachdem er sie verschlungen hatte, viel wohler, und als die sieben Glockenzüge ertönten, ging er mit Herrn Jolliffe aufs Verdeck.
Viertes Kapitel.
Jacks erster Erfolg.
Als Jack auf das Verdeck kam, sah er, wie die Sonne heiter schien, ein leichtes Lüftchen vom Lande her wehte und das ganze Takelwerk und jede sonstige geeignete Stelle des Schiffes mit Matrosenkleidern und Weisszeug behangen war, das der Sturm durchnässt hatte und nun getrocknet werden sollte. Auch sämtliche nassen Segel waren an den Masten ausgebreitet oder an der Takelung aufgeholt, und das Schiff strich langsam durch das blaue Wasser. Der Kapitän und der erste Leutnant standen im Gespräch miteinander auf der Laufplanke, während die meisten der Offiziere um Mittagszeit mit ihren Quadranten und Sextanten die Breite aufnahmen. Die Verdecke waren soeben sauber und rein gemacht worden und die Leute damit beschäftigt, die Taue herunterzuringeln. Es war eine Scene voll Leben, Thätigkeit und Ordnung, welche unseres Helden Herz, nach viertägigem Unwohlsein und Bettliegen in dumpfer Luft, der er nun soeben entronnen war, höchlich erfreute.
Der Kapitän, der ihn sah, winkte ihn zu sich und fragte ihn liebreich nach seinem Befinden; auch der erste Leutnant lächelte ihm zu, und viele der Offiziere sowie seine sämtlichen Tischgenossen wünschten ihm Glück zu seiner Wiedergenesung.
Später trat des Kapitäns Steward zu ihm, lüftete seinen Hut und bat um das Vergnügen seiner Gesellschaft bei dem Mittagsessen in der Kajütte. Jack, welcher die Höflichkeit selbst war, lüftete seinen Hut und nahm die Einladung an. Er stand auf einem Tau, das ein Matrose herabringelte; der Matrose lüftete seinen Hut und bat ihn, er möchte so gefällig sein, den Fuss in die Höhe zu ziehen. Jack seinerseits zog gleichfalls den Hut ab und den Fuss vom Taue weg. Der Steuermann lüpfte seinen Hut und meldete dem ersten Leutnant „zwölf Uhr“ — der erste Leutnant that das gleiche und meldete dem Kapitän „zwölf Uhr“ — der Kapitän erwiderte das Kompliment und sagte dem ersten Leutnant, es sei recht. Der Offizier langte an seinen Hut und fragte den Kapitän, ob zum Mittagsessen gepfiffen werden solle — der Kapitän lüftete seinen Hut und sagte: „Wenn’s Ihnen gefällig ist.“
Der Kadett empfing seine Befehle und lüftete den Hut, teilte sie hierauf dem Hochbootsmannsgehilfen mit, der ebenfalls den Hut lüftete, und nun schrillte die Pfeife munter.
Nun ja, dachte Jack, Höflichkeit scheint hier an der Tagesordnung und jeder vor dem anderen gleichen Respekt zu haben. Er stand auf dem Verdeck, guckte durch die offenstehenden Luken in das tiefblaue Wasser hinab, richtete seine Augen in die Höhe hinauf und beobachtete, wie die hohen Spieren mit ihren Spitzen, den Bewegungen des Schiffes folgend, hin und her schwankten, als ob sie selbst in den klaren Horizont hineinreichten; er sah vorwärts auf die Karronadenreihe hin, welche an den Seiten des Deckes aufgestellt war, kletterte sodann auf eines der Geschütze und lehnte sich über die Hängematten, um nach dem fernen Lande hinauszulngen.
„Sie, junger Herr, fort da von den Hängematten“, rief der Steuermann, der wachthabender Offizier war, in mürrischem Tone.
Jack blickte sich um.
„Hören Sie nicht, Sir? Ich spreche mit Ihnen“, sagte der Steuermann von neuem.
Jack fühlte sich hierüber sehr entrüstet und dachte, Höflichkeit müsse doch nicht so allgemein sein, als er geglaubt habe.
Zufällig war Kapitän Wilson auf dem Verdeck.
„Kommen Sie zu mir, Mr. Freimut“, sagte er; „es ist Regel im Dienste, dass niemand sich auf die Hängematten begibt, wosern es nicht die dringendste Notwendigkeit erheischt. — Ich thue das nie — ebenso wenig der erste Leutnant oder irgend einer von den Offizieren oder der Mannschaft — also dürfen auch Sie nach dem Grundsatze der Gleichheit es nicht wieder thun.“
„Gewiss nicht, Sir“, erwiderte Jack; „aber dabei sehe ich doch nicht ein, warum dieser Offizier mit dem glänzenden Hut so mürrisch und nicht in einem freundlichen Tone mit mir spricht, als ob ich ihm gleich wäre.“
„Das habe ich Ihnen schon auseinandergesetzt, Herr Freimut.“
„Ach ja, jetzt erinnere ich mich, es ist Eifer; aber dieser Eifer scheint mir das einzig unbehagliche im Dienste zu sein. Es ist schade, dass der Dienst, wie Sie sagen, nicht ohne denselben bestehen kann.“
Kapitän Wilson lachte und ging weg; als er jedoch hernach mit dem Steuermann auf dem Verdeck hin und her lief, bedeutete er diesem, er solle nicht so hart mit einem jungen Mann reden, der aus Unkenntnis ein so unbedeutendes Versehen begangen habe. Daraufhin beschloss Smallsole, der unfreundliche Steuermann, bei der ersten passenden Gelegenheit es unserem Jack zu vergelten.
Jack speiste in der Kajütte und war sehr erfreut, zu sehen, dass jedermann mit ihm Wein trank und dass alles an des Kapitäns Tische sich im Zustande der Gleichheit zu befinden schien.
Der heutige Tag konnte als der erste für das Erscheinen Jacks an Bord betrachtet werden, an dem er auch zum erstenmal an des Kapitäns Tisch seine besonderen Ansichten auskramte. Wenn die Mittagsgesellschaft, welche aus dem zweiten Leutnant, dem Zahlmeister, Herrn Jolliffe und einem der Kadetten bestand, darüber erstaunt war, dass solche ganz ordonnanzwidrigen Ansichten im Beisein des Kapitäns ausgesprochen wurden, so war sie im gleichen Masse verwundert über das kaltblütige, gutgelaunte Gelächter, mit welchem Kapitän Wilson den ganzen Vortrag anhörte. Im allgemeinen lebte die Schiffsmannschaft der Ansicht, unser Held werde nach der Ankunst in der Bucht von Gibraltar entweder dem Dienste lebewohl sagen, wo nicht durch ein Kriegsgericht zum Tode verurteilt oder kassiert und schmählich ans Land geschickt werden. Andere freilich, welche mehr Schlangenklugheit besassen und von Herrn Sawbridge wussten, dass unser Held eines Tages ein grosses Vermögen erben würde, machten ganz andere Schlüsse und dachten, Kapitän Wilson werde sehr gute Gründe haben, warum er so milde sei — und unter diesen befand sich der zweite Leutnant, Asper. Es waren überhaupt nur vier Personen an Bord, welche freundliche Gesinnungen für Jack hegten — nämlich der Kapitän, der erste Leutnant, Herr Jolliffe, der einäugige Steuermannsgehilfe, und Mephistopheles, der Schwarze, der unseren Helden von ganzem Herzen liebte.
Wir haben von dem zweiten Leutnant, Herrn Asper, gesprochen. Dieser junge Mann hatte eine sehr hohe Meinung vom Stammbaume und besonders vom Gelde, von dem er nur sehr wenig besass. Er war der Sohn eines bedeutenden Kaufmannes, der ihm während seiner Kadettenzeit mehr Geld zu seinen Ausgaben bewilligte, als nötig oder nützlich war; und während seiner Laufbahn hatte er gefunden, dass ihm seine volle Tasche natürlicherweise nicht bloss unter seinen Tischgenossen, sondern auch bei manchen Offizieren der Schiffe, auf welchen er segelte, Ansehen verschaffte. Aber gerade, als Herr Asper seine Ernennung und Anstellung erhielt, machte sein Vater Bankrott, und die Quelle, aus welcher er so reichliche Zuschüsse erhalten hatte, war nun verstopft. Er besass nicht mehr die Mittel, das bisherige Leben fortzuführen. Da er nicht länger eigene Hilfsquellen besass, so war er immer sehr erfreut, jemand aufzufischen, auf dessen Kosten er feinem ausserordentlichen Hange zum Wohlleben nachkommen konnte Nun wusste Herr Asper, dass unser Held sehr reichlich mit Geld versehen war, und er wartete deshalb auf dem Verdeck, bis Jack herauf kam, um desfen treuester und vertrautester Freund zu werden. Asper wünschte, dass Jack des Beistandes bedürfen und dafür dankbar sein werde; er hatte deshalb