Chefarzt Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Chefarzt Dr. Norden Staffel 4 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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gar keinen Fall. Tatjana, hör mir zu! Kein Mensch hat etwas davon, wenn ihr euch auch noch ansteckt. Ich bleibe bei ihm. Genau wie der Kollege Lammers. Fynn wird von den besten Ärzten versorgt. Wir bringen ihn durch, das verspreche ich dir. Ich melde mich wieder.« Ohne ein Wort des Abschieds legte Felicitas auf. Es war ihr schleierhaft, wie sie das alles überstehen sollte. Sie hatte schon jetzt keine Kraft mehr.

      *

      Auch die längste Nacht hatte einmal ein Ende. Die Sonne kletterte über den Horizont und tauchte die Stadt in ein mildes Licht. Wie eine Insel der Ruhe lag die Klinik inmitten des Verkehrs, der selbst um diese frühe Uhrzeit schon pulsierte. Langsam begann es auch im Bauch des imposanten Gebäudes zu rumoren. Die gedimmten Lampen in den Fluren schalteten in den Tagesmodus. Turnschuhe und Gummiclogs bevölkerten die Gänge, lange bevor sich Pumps, Sandalen und Flipflops dazu gesellten. »Guten Morgen, die Herrschaften«, begrüßte Dr. Matthias Weigand die Kollegen zur Morgenbesprechung. Für die Dauer des Kongresses hatte Dr. Norden ihm die Leitung der Klinik übertragen. »Angenehme Nachtruhe gehabt?« Er setzte sich auf die Schreibtischkante und warf einen Blick in die Runde.

      Wie die Hühner auf der Leiter saßen die Kollegen nebeneinander auf der Couch. Nur Milan Aydin hatte es vorgezogen, im Rollstuhl sitzen zu bleiben. Eine Dose mit selbstgebackenen Keksen machte die Runde.

      »Schön wär’s! Aydin hat geschnarcht wie ein altes Walross«, beschwerte sich Christine Lekutat und nahm gleich zwei Plätzchen. »Kein Wunder, dass er einen so großen Frauenverschleiß hat.«

      Matthias sah von den Unterlagen in seinen Händen hoch. Er zog eine Augenbraue hoch.

      »Ich verstehe nicht. Die Bereitschaftsräume sind nach Geschlechtern getrennt.«

      »Vielleicht hatte sie Sehnsucht nach dem Kollegen«, bemerkte Pfleger Sascha vorlaut.

      Seine Kollegin Camilla kicherte.

      »So weit kommt es noch«, schnaubte die Lekutat. »Die Wände sind dünn wie Karton.«

      Allgemeines Gelächter.

      »Wenn wir das jetzt geklärt hätten, können wir uns den wichtigen Dingen des Lebens zuwenden«, beschloss Dr. Weigand und sah hinunter auf die Patientenakten in seinen Händen.

      »Silje Johannsen. Trotz Erweiterung der Antibiose zeigt die Patientin weiterhin einen Temperaturanstieg und steigende Retentionswerte. Irgendwelche Ideen?«

      Dr. Aydin zuckte mit den Schultern.

      »Klingt nach multiresistentem Problemkeim.«

      »Die intraoperativen Abstriche waren negativ«, erwiderte Christine Lekutat.«

      »Wie wäre es mit einer Endokarditis?«, schlug Sascha vor, der ein Medizinstudium absolvierte, das er mit dem Pflegergehalt der Behnisch-Klinik finanzierte. »Vielleicht haben wir es auch mit einer HIV-Infektion zu tun.«

      Dr. Weigand wiegte den Kopf.

      »Wenn Frau Johannson demnächst eine Gelbsucht entwickelt, könnten wir es auch mit Gelbfieber oder einer Hepatitis A bis C zu tun haben«, dachte er laut nach.

      »Das glaube ich nicht. In Mexiko gibt es kein Gelbfieber«, entfuhr es Schwester Camilla.

      Matthias zuckte zusammen. Schon wieder Südamerika!

      »Wieso Mexiko?«, fragte er.

      »Frau Johannson arbeitet als Archäologin im Templo Mayor in Mexiko-Stadt.« Camillas Augen leuchteten. »Sie ist nur wegen ihrer Hochzeit zurückgekommen.« Sie legte die Hände aneinander und lächelte selig. »Das ist so romantisch.«

      Dr. Weigand rutschte von der Tischkante.

      »Ich wüsste nicht, was an A/H1N1 romantisch sein sollte.«

      »Schweinegrippe?«, hauchte Camilla. Schlagartig war das Blut aus ihren Wangen gewichen.

      »Wie unser Quarantäne-Patient?«, hakte Milan Aydin nach. »Aber das wüssten wir doch inzwischen. Die Fluggesellschaft hat versprochen, sämtliche Passagiere zu informieren.«

      »Offenbar ist ihnen das nicht gelungen.« Matthias wanderte vor dem Schreibtisch auf und ab. Ein ganzes Meer an Falten krauste seine Stirn. Was war jetzt zu tun? »Kollegin Lekutat, Sie nehmen der Patientin Blut ab und schicken es ans mikrobiologische Institut. Wer hatte außer mir Kontakt zu Frau Johannson? Schwester Camilla!«

      »Und ich natürlich«, meldete sich Christine zu Wort.

      »Ich nicht.« Aydin grinste und erntete einen vernichtenden Blick seiner Kollegin.

      »Es grenzt an ein Wunder, dass Sie sich zurückgehalten haben.«

      »Nur kein Neid.«

      »Neidisch? Auf eine Frau, die Sie flachlegen wollen?« Die Lekutat lachte. »Träumen Sie weiter.«

      Ein Blick von Dr. Weigand beendete diese unsinnige Diskussion.

      »Sascha, du hattest vermutlich auch keinen Kontakt, oder?«

      Der Pfleger verneinte.

      »Gut. Schwester Camilla, Kollegin Lekutat, Sie gehen zu unserer Patientin.« Matthias Weigand hatte eine Entscheidung getroffen. »Bis ein Ergebnis vorliegt, verlassen Sie das Zimmer nicht.« Dasselbe galt für ihn. Solange er nicht sicher sein konnte, gesund zu sein, würde er weder seine Verlobte noch sein Stiefkind wiedersehen.

      *

      Mucksmäuschenstill lag Felicitas Norden im Bett und blinzelte ins fahle Licht des Morgens. Sie war erst vor ein paar Minuten erwacht und wusste nicht, wo sie war. Erst, als ihr Blick auf das Kind im Bett nebenan fiel, schoss ihr die Wahrheit ins Bewusstsein.

      »Fynn, mein Kleiner.« Die Maske vor ihrem Mund blähte sich, als sie sich über ihn beugte. »Wie geht es dir?«

      Eigentlich erübrigte sich diese Frage. Seine Wangen waren knallrot vom Fieber. Die Augen glänzten wie zwei Glaskugeln.

      »Fynni Mütse baucht. Fynni Fuzleug fliegt«, murmelte er.

      Nicht weinen! Nicht weinen! Nicht weinen!, wiederholte Felicitas im Geiste immer und immer wieder. Tränen waren das Letzte, was der Kleine jetzt brauchen konnte.

      »Ich gehe deine Mütze suchen, ja? Hab’ keine Angst. Ich bin gleich zurück.« Fee schickte ihrem Enkel eine Kusshand, ehe sie aus dem Zimmer schlüpfte.

      Ein Fan von Science-Fiction-Filmen wäre auf der Quarantänestation der Behnisch-Klinik auf seine Kosten gekommen. Dieser Ort hatte etwas von einer Raumfahrtkapsel. Überall begegnete sie Menschen in sterilen Overalls, Mund- und Augenschutz im Gesicht. Wahrscheinlich sah sie selbst nicht viel besser aus.

      »Guten Morgen, Frau Dr. Norden«, wurde sie von einem der Astronauten begrüßt. Wenn sie nur gewusst hätte, wer sich hinter der Verkleidung verbarg. Doch bevor sie auf die Idee kam nachzufragen, war er schon hinter einer Tür verschwunden.

      Fee wanderte weiter.

      »Was machen Sie denn schon wieder hier?«

      Diese Stimme erkannte sie sofort.

      »Ich freue mich auch, Sie zu sehen, Kollege Lammers.« Die Haut um ihre Augen kräuselte sich. Aber nur kurz. »Gibt es schon irgendwelche Ergebnisse von meinen Blutproben?«

      »Wir warten darauf.« Lammers setzte seinen Weg fort.

      Fee heftete sich an seine Fersen.

      »Und was ist mit Fynn? Wie geht es ihm?«

      Volker Lammers blieb so abrupt stehen, dass sie beinahe mit ihm zusammengestoßen wäre. Er drehte sich zu seiner Chefin um und musterte sie von oben herab. Was für ein erhebendes Gefühl, sie so hilflos zu sehen!

      »Der Bengel ist ziemlich schwach.«, erwiderte er. »Wenn sich sein Zustand nicht langsam bessert, werden wir ihn in ein künstliches Koma versetzen.«

      »Kommt überhaupt nicht in Frage!« Die Maske dämpfte Fees Stimme. Dafür sprach der Ausdruck in ihren Augen eine klare Sprache. »Dann können wir überhaupt


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