Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов

Das Science Fiction Jahr 2020 - Группа авторов


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| AUTOR*INNEN UND MITARBEITER*INNEN

      Editorial

      Liebe Leser*innen,

      in dieser Ausgabe haben wir den Schwerpunkt der Featurebeiträge auf die Themen Gender, Queerness und Diversity gelegt, die nicht nur bereits seit mehreren Jahren im Gespräch sind, sondern auch oft die Gemüter bewegen. Dabei hatten wir nicht erst kürzlich die Idee, diese in den Fokus zu rücken. Bereits vor über drei Jahren hatten wir Pläne für ein Sachbuch, das in der Memoranda-Reihe beim Golkonda Verlag erscheinen sollte. Wir hatten bereits zahlreiche Gespräche mit möglichen Herausgeber*innen und Autor*innen geführt. Doch die Turbulenzen bei Golkonda im Sommer 2019 führten dazu, dass wir das Projekt nicht weiterverfolgen konnten. Golkonda ist inzwischen eine Buchreihe in der Europa Verlage GmbH und die Memoranda-Buchreihe ein eigenständiger Verlag unter der Leitung von Hardy Kettlitz. Nun ergab es sich, dass wir Das Science Fiction Jahr 2020 als Plattform für Autor*innen nutzen können, um über Aspekte von Gender, Queerness und Diversity in der Science Fiction zu schreiben.

      Aus aktuellem Anlass findet jedoch auch ein weiteres Thema seinen Platz: Wo, wenn nicht in der Science Fiction, sind Pandemien und Weltuntergänge so allgegenwärtig wie Covid-19 im Jahr 2020? Darüber hinaus freuen wir uns, dass unsere Autor*innen wieder vielseitige Rezensionen und erhellende Überblicksartikel zu Buch, Game, Film und Serie geschrieben haben, die von einem Nekrolog und einer Bibliographie der deutschsprachigen Neuerscheinungen 2019 abgerundet werden. Wir danken allen, die hieran mitgewirkt haben.

      Dass DAS SCIENCE FICTION JAHR auch in der 2020er-Ausgabe erscheint und wir es »retten« konnten, ist keineswegs unser alleiniger Verdienst. Wir danken allen, die an uns und an das Jahrbuch geglaubt und uns dabei unterstützt haben, dieses traditionsreiche Buchprojekt aufrechtzuerhalten. Ohne unsere Autor*innen, die uns ihre Beiträge trotz großem Hin und Her und einiger Unwägbarkeiten zur Verfügung gestellt haben, und ohne Klaus Farin, der dem SCIENCE FICTION JAHR ein neues Zuhause im Hirnkost Verlag gegeben hat, wäre all dies nicht möglich gewesen. Allen voran aber wäre es ohne Sie, unsere Leser*innen, nicht möglich gewesen, Wolfgang Jeschkes Erbe weiterzuführen. Wir danken all jenen, die uns im Rahmen unserer Crowdfunding-Kampagne so großzügig unterstützt haben.

      Aber nicht nur in diesem Zusammenhang merkten wir, welchen Stellenwert DAS SCIENCE FICTION JAHR hat und wie besonders es für die Literatur und die Science Fiction ist. Schon die Nominierung für den Kurd Laßwitz Preis in der Kategorie »Sonderpreis für einmalige herausragende Leistungen im Bereich der deutschsprachigen SF 2019« hat uns enorm gefreut. Dass uns der Preis jedoch tatsächlich zugesprochen werden könnte, damit haben wir nicht gerechnet – und mit solch einer hohen Punktzahl erst recht nicht. Wir fühlen uns geehrt und hoffen, wir können mit dieser und den kommenden Ausgaben den Ansprüchen und Erwartungen unserer Leser*innen entsprechen.

      In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine anregende Lektüre.

      Melanie Wylutzki & Hardy Kettlitz

      Besonderer Dank

      bei der Rettung und Unterstützung von

      DAS SCIENCE FICTION JAHR

      gilt:

      Holger Marks

      Brandon Q. Morris, www.hardsf.de

      Jürgen Ruckh, www.polar-verlag.de

      Martin Schrader

      Joachim Uhl, www.maelstroem.de

      Christian Hoffmann

      Die Entführten oder: Was ist Afrofuturismus?

      Spätestens seit der deutschen Veröffentlichung mehrerer Werke der US-amerikanischen Autorin mit nigerianischen Wurzeln Nnedi Okorafor, die seit 2016 bei Cross Cult erschienen sind, ist der Begriff Afrofuturismus auch bei uns einem größeren Publikum bekannt geworden. Die Kunst und Literatur afrikanischstämmiger Menschen scheint nicht nur dazu geeignet zu sein, gewohnte westliche Erzähl- und andere Ausdrucksweisen zu hinterfragen und zu ergänzen, sondern übt aufgrund eigenständiger ästhetischer Elemente und einem speziellen historischen und politischen Hintergrund einige Faszination aus. Nicht nur im Bereich der Genres SF und Fantasy, also einer speziellen und damit begrenzten Szene, geriet das Thema Afrofuturismus in den Fokus des Interesses, sondern erstaunlicherweise auch bei einem »allgemeinen« Publikum, das ansonsten nur wenige Berührungspunkte mit den genannten Genres hat. Ein Beispiel dafür ist die Ausstellung »Afro-Tech, and the Future of Re-Invention«, die vom 21. Oktober bis zum 22. April 2017 im Rahmen des Festivals »Afro Tech« in Dortmund vom Hartware Medienkunstverein ausgerichtet wurde und auf großen Zuspruch sowohl vonseiten des Publikums als auch der Medien stieß. Dieses Interesse rührt nicht allein von einer zunehmenden Offenheit gegenüber nicht-westlichen Kulturen her, sondern liegt möglicherweise an einem ganz speziellen Faktor, den der ghanaisch-britische Künstler John Akomfrah in seinem Video The Last Angel of History im Rahmen dieses Festivals beleuchtete. Akomfrah stellt in diesem Video die These auf, dass verschiedene Künstler*innen des Afrofuturismus die bekannten »weißen« Erzählungen über die Zukunft in eine »schwarze« Sichtweise auf Vergangenheit und Gegenwart umzudeuten versuchen. Obwohl damit sicher schon ein wichtiges Merkmal des Afrofuturismus veranschaulicht wird – nämlich die oft metaphorische und verfremdete Perspektive schwarzer Menschen, die durchaus subversiv gängige Erklärungsmuster infrage stellt – ist es zunächst sinnvoll, den Ausdruck Afrofuturismus als solchen etwas näher zu beleuchten.

      Um die Bedeutung eines Begriffes richtig erfassen zu können, mag es hilfreich sein, seine einzelnen Komponenten genauer zu betrachten. Im Falle des »Afrofuturismus«, der vom englischen »Afrofuturism« abgeleitet wurde, stößt man dabei jedoch schnell auf Grenzen, obwohl beide Wortteile zunächst relativ klar zu sein scheinen.

      »Afro« ist nichts anderes als eine Vorsilbe, die »afrikanisch« bedeutet, was allerdings die Frage aufwirft, was tatsächlich damit gemeint ist. In ästhetischen und künstlerischen Zusammenhängen bezieht sich »Afro« meist auf Einflüsse und Merkmale der Kulturen aus den Gebieten südlich der Sahara, wobei beispielsweise das Erbe der südafrikanischen Afrikaaner oder Buren, also der Nachfahren europäischer Kolonisten, meist ausgeklammert wird.

      Im Falle von »Futurismus« ist die eigentliche Wortbedeutung ebenfalls nicht so ganz klar. Ursprünglich bezeichnete »Futurismus« in Bezug auf Kunst und Kultur eine kurz vor dem Ersten Weltkrieg entstandene italienische avantgardistische Bewegung, die den Anspruch erhob, eine neue, in die Zukunft gerichtete Kultur zu erschaffen. Zum anderen wird »futuristisch« landläufig natürlich als etwas angesehen, was mit zukunftsorientierter Technologie und daraus resultierender Ästhetik assoziiert werden kann.

      Was Afrofuturismus also tatsächlich bedeutet, kann zwar eingegrenzt, aber rein auf Begriffsebene nicht hundertprozentig definiert werden – was schließlich in der Literatur auf viele Genrebezeichnungen, wie auch die Science Fiction, zutrifft. Dies führt zu allerlei Diskussionen und unterschiedlichen Definitionsversuchen unter Autor*innen, Künstler*innen, interessierten Laien und Akademiker*innen – und das ist auch gut so, denn dadurch wird dem aufstrebenden Genre Afrofuturismus – falls man von einem Genre sprechen will – noch zusätzlich Leben eingehaucht!

      1994 führte der Kulturkritiker Mark Dery in seinem Essay »Black to the Future« den Begriff ein. Dery untersuchte in dieser Arbeit die Rolle afroamerikanischer Autoren und Autorinnen wie Samuel R. Delany und Octavia Butler innerhalb der SF und stellte gleichzeitig die Frage, warum Afroamerikaner*innen in diesem Genre sowohl als Akteur*innen als auch Leser*innen unterrepräsentiert waren (und es bis heute geblieben sind). Besonders interessant kann hier Derys Statement gelten, dass gerade diese Gruppe für einige Themen der SF in besonderem Maße empfänglich sein müsste, da sie bzw. ihre Vorfahren ja tatsächlich Opfer einer Entführung durch Aliens seien, man denke nur an die Begegnung afrikanischer Menschen mit Europäern und europäischstämmigen Amerikanern, die an einen Science-Fiction-Albtraum erinnert: Vertreter einer technologisch weiter entwickelten Kultur, die offenbar hauptsächlich wirtschaftlich orientiert ist, entführen in großem Stil Millionen nahezu zur Wehrlosigkeit verdammter Menschen, degradieren sie zu bloßen Arbeitskräften, denen alles Menschliche abgesprochen wird, und berauben sie


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