Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов
Frankfurter Buchmesse. Es war ein toller Moment, als sie auf einmal in der riesigen Messehalle vor uns stand. Schließlich hatte damals alles im Chatroom begonnen. Super war auch der lange Spaziergang mit Jiang Bo durch Berlin!
Wie umfangreich ist der chinesische SF-Markt?
FELIX: In China gibt es im Moment um die fünfzig Verlage, die Science Fiction veröffentlichen. Ihr Output variiert allerdings stark. Insgesamt kommen jedes Jahr einige Hundert Publikationen auf den Markt – Romane, Reihen, Anthologien, Kinderbücher und wissenschaftliche Auseinandersetzungen. In den vergangenen Jahren sind die SF-Abteilungen in den Buchhandlungen immer weiter gewachsen. Seit dem Erfolg von Liu Cixin habe ich in den Eingangshallen zahlreicher Buchhandlungen ganze Büchertische zur SF gesehen. Der sticht dort am meisten heraus. Neben seinen Romanen, die in China enorm erfolgreich sind, gibt es Anthologien, Analysebände, Interpretationen, Adaptionen, Kinderbücher und auch Comics. Bisher habe ich nur ein paar Bilder von den Comics gesehen, freue mich aber schon sehr darauf, sie zu lesen.
Welche SF-Magazine gibt es dort?
LUKAS: Das einzige Magazin, das wirklich wichtig ist, ist die SCIENCE FICTION WORLD. Mit der Redaktion haben wir im Rahmen unserer Diskussionsreihe im Acud gearbeitet. Felix, erzähl mal von deinem ersten Besuch bei ihnen in Chengdu!
FELIX: Das war super! Gleich am Eingang stapelten sich Kartons mit Liu-Cixin-Büchern. Es gibt aber nicht nur die SCIENCE FICTION WORLD. In den späten 70er- und frühen 80er-Jahren tauchten die ersten Magazine auf dem chinesischen Markt auf. Die meisten hielten sich nur wenige Jahre oder hatten kleine Auflagen. SCIENCE FICTION WORLD ist zurzeit vermutlich das größte SF-Magazin in China. Das Magazin erscheint monatlich mit einer Auflage von ungefähr 150.000 Exemplaren.
LUKAS: Um das Jahr 2000 war die Auflage noch höher: Fast eine halbe Million Hefte sollen da jeden Monat gedruckt worden sein!
FELIX: SCIENCE FICTION WORLD veröffentlicht auch noch eine Ausgabe mit Übersetzungen von Science Fiction und Fantasy aus dem Ausland. Seit 2016 gibt es den SCIENCE FICTION CUBE und der ist ein großer Hit: Von den ersten Ausgaben gingen um die 50.000 Exemplare über den Ladentisch, berichtet Regina Kanyu Wang in ihrem Essay über die chinesische SF-Szene, der in dem gerade erschienenen Sammelband Zerbrochene Sterne von Ken Liu abgedruckt wurde.
Wie verbreitet ist die Wahrnehmung der SF in der allgemeinen chinesischen Leserschaft?
LUKAS: Liu Cixin und Hao Jingfang haben jeweils einen Hugo Award gewonnen; Barack Obama und Mark Zuckerberg sind selbsterklärte Fans. Hat das auch in China das Genre beliebter gemacht? Aber einige Autoren selbst sind da eher skeptisch.
FELIX: Mit den internationalen Preisen stieg auf jeden Fall die Aufmerksamkeit. Als ich vor einigen Jahren, kurz nachdem ich bei KAPSEL eingestiegen bin, meiner ehemaligen Chinesischlehrerin in Xi’an stolz ein Heft in die Hand drückte und ihr begeistert von Science Fiction und Liu Cixin erzählte, war ihre Reaktion sehr verhalten: »Mein Sohn liest so etwas auch gern«, sagte sie nur. Damit war das Thema beendet. Erst jetzt, einige Jahre später, sprach sie mich wieder auf Liu Cixin an. Sie habe Die drei Sonnen nun endlich gelesen und sei absolut begeistert. »Was gibt es noch? Was liest du gerade?« Wir tauschen uns nun regelmäßig aus und wollen bei meinem nächsten Besuch Trips zu den kleineren Buchhandlungen der Stadt machen. Meine Bekannte ist sicherlich kein Einzelfall.
LUKAS: Derjenige, der maßgeblich zur internationalen Bekanntheit beigetragen hat, ist Autor und Übersetzer Ken Liu, der seit seiner Jugend in Kalifornien lebt. Er ist zufällig in das Thema gerutscht. Auf der Liste seiner Übersetzungen finden sich alle großen Namen der chinesischen SF – das ist sehr beeindruckend. Wir finden es toll, was er mit den Texten macht. Liu Cixin meinte in einem Interview, er finde die Übersetzung von Die drei Sonnen besser als das Original. Wir hatten ihn im März nach Berlin eingeladen, doch dann begann die Corona-Krise. Ich hoffe, dass wir das noch nachholen können!
FELIX: In China sind diese Autoren aber auch sehr angesagt! Ich kenne viele Schüler und Studenten, die begeistert alle neuen Publikationen verschlingen und sehnsüchtig auf die neueste Ausgabe von SCIENCE FICTION WORLD warten. In meiner Lieblingsbuchhandlung kam mir einmal ein Schüler mit einem Stapel der Zeitung entgegen. Als ich ihn fragte, was er denn mit so vielen Heften wolle, sagte er nur, dass die für all seine Freunde seien. Eine Stunde später saß er zusammen mit fast zwanzig weiteren Schülern auf einer Treppe vor dem Laden. Alle lasen gebannt das Magazin. Viele dieser jungen Leser entwickeln sich zu eingefleischten Fans, die auch Jahre später sehnsüchtig auf Neuerscheinungen warten.
Gibt es ein mit Europa oder den USA vergleichbares Fandom mit Conventions, Fanzines und Ähnlichem?
LUKAS: In Schanghai ist viel los. Besonders aktiv sind da Regina Kanyu Wang und der Club Science Fiction Applecore. Peking und Chengdu sind auch wichtige Zentren des Fandoms. Regina hat das sehr anschaulich in einem Essay zusammengefasst, den wir in der Ausgabe von KAPSEL über Ken Liu veröffentlicht haben.
FELIX: Neben Schanghai sind unter anderem noch Peking, Chengdu, Nanjing und Xi’an wichtige Städte. In den 80er-Jahren gründeten sich dort erste Fanclubs, wie man erzählt. In den frühen 90er-Jahren kamen zahlreiche Lese- und Fan-Clubs dazu. Häufig waren Studierende vorn mit dabei. Die Gruppen organisierten eigene Events. Heute ist das tatsächlich auch noch so.
LUKAS: Viele der Autoren waren zuerst Fans. Regina Kanyu Wang zum Beispiel. Jetzt schreibt sie selbst und reist zugleich durch die Welt, um das Genre im Ausland bekannt zu machen. Generell sind die Leute dort mit viel Leidenschaft bei der Sache. Es macht großen Spaß, mit ihnen zu arbeiten!
FELIX: Zwei der wichtigsten Science-Fiction-Preise sind der Galaxy und der Nebula Award. Zeitgleich zu den jährlichen Verleihungen finden in China informelle Veranstaltungen für die Fans statt, die US-amerikanischen und europäischen Conventions sehr ähnlich sind. Im vergangenen Jahr war ich zum Nebula Award eingeladen, konnte aber leider nicht teilnehmen. Ich hoffe, dass es dieses Jahr klappt.
Gibt es eine längere Tradition chinesischer SF bzw. »klassische« SF in China?
LUKAS: Das geht ziemlich weit zurück. Felix, kannst du ein paar Autoren zur Geschichte der chinesischen SF empfehlen, die man auf Deutsch oder Englisch lesen kann? In der ersten KAPSEL hatten wir einen sehr schönen Artikel zu dem Thema, aber die ist schon vergriffen.
FELIX: Song Mingwei, Nathaniel Isaacson, Regina Kanyu Wang, Ken Liu und Xia Jia haben hierzu interessante Essays geschrieben, die es teils auch online gibt!
LUKAS: Die Forschung ist sich einig darüber, dass das Genre Anfang des 20. Jahrhunderts den Weg nach China über Übersetzungen fand. Damals ging es vor allem darum, die Entwicklung des Landes zu fördern.
FELIX: Auch einige chinesische Autoren versuchten sich in dem Genre und brachten einige utopische Geschichten und idealisierte Vorstellungen zu Papier. So richtig blühte das Genre aber erst ab 1949 auf. Mehrere Autoren, darunter Zhang Ran und Zheng Wenguang, widmeten sich der SF und publizierten einige sehr enthusiastische, utopische Entwürfe nach sowjetischem Vorbild, die sich mit dem Ziel der Vermittlung von Wissen – viele Autoren waren tatsächlich Wissenschaftler – verstärkt an eine junge Leserschaft richteten. Diese erste Blütephase klang Ende der 60er-Jahre mit der aufkommenden Kulturrevolution aus, in der das Genre nahezu vollständig verschwand.
LUKAS: Das Golden Age startete dann in den 80er-Jahren.
FELIX: Genau! Mit dem Ende der 70er-Jahre und dem Ende der Kulturrevolution begann ein goldenes Zeitalter für die chinesische Science Fiction. Zahlreiche Werke und aufkommende Magazine konnten mehr und mehr Leser für das Genre begeistern. Der kürzlich verstorbene Ye Yonglie war in dieser Zeit besonders erfolgreich. Eine seiner Geschichten verkaufte sich mehr als eine Million Mal. Aber schon kurz danach fand der Aufschwung ein jähes Ende: Science Fiction verbreite Pseudowissenschaft und sei politisch inakzeptabel, hieß es.
Ende der 80er-Jahre erholte sich das Genre wieder: Die chinesische New Wave begann. Die SF konnte sich als literarisches Genre behaupten und etablieren. Die drei »Generäle« Liu Cixin, Wang Jinkang und Han Song, aber auch viele andere publizieren seither ihre Bücher, die nicht mehr ausschließlich