Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов
Namen chinesischer Autorinnen und Autoren sind in Europa inzwischen bekannt, wie zum Beispiel Liu Cixin und Hao Jingfang. Wer ist darüber hinaus aber noch maßgeblich für die gegenwärtige chinesische SF?
FELIX: Wer ein paar Klassiker lesen will, der sollte sich als Secondhand den Sammelband SF aus China von Ye Yonglie und Charlotte Dunsing aus den 80ern besorgen! Die frühen Romane und Erzählungen aus den 90er-Jahren von Wang Jinkang, Han Song und natürlich von Liu Cixin sowie deren aktuellere Texte kann ich auch sehr empfehlen. Und na klar, die Texte der jüngsten Generation: Xia Jia, Chen Qiufan, Jiang Bo, Chi Hui, Anna Wu, Mo Xiong, Zhang Ran, A Que, Baoshu und so weiter und so weiter.
LUKAS: Oh, das ist eine schwierige Frage. Es gibt so viele gute Texte! Jiang Bo, der in erster Linie für seine Space Operas bekannt ist, schreibt Krimis über künstliche Intelligenz und Big Data. Xia Jia und Chi Hui erwähnten wir bereits – Chi Hui hat eine tolle Coming-of-Age-Story geschrieben mit Riesenkäfern und Raumtoren. Ken Liu schreibt auch unglaublich gute Geschichten, auch wenn er in den USA lebt und veröffentlicht und deshalb streng genommen nicht zur chinesischen Science Fiction zählt. Es gibt zwei tolle Erzählungsbände: The Paper Menagerie und The Hidden Girl.
Worin unterscheidet sich chinesische SF grundsätzlich von der US-amerikanischen und europäischen? Welche zentralen Themen werden behandelt?
LUKAS: Als ich Regina Kanyu Wang im Januar im Central Congress in Hamburg interviewt habe, sagte sie, dass die Geschichten immer eine sehr persönliche Seite haben. Ich kann ihr da nur zustimmen: Es gibt so eine Energie zwischen den Zeilen, die mich an den Geschichten, die ich bis jetzt gelesen habe, sehr reizt.
FELIX: Nach einer Lesung in Peking sagte ein Autor einmal zu mir, dass genau diese Frage nahezu auf jeder Veranstaltung gestellt wird. Und es sei eine schwierige ohne eindeutige Antwort. Selbstverständlich gibt es Themen, die für chinesische Autoren besonders bedeutend sind, oder eine Poetik, die sich gegebenenfalls von Science-Fiction-Autoren aus anderen Ländern unterscheidet.
Gibt es neben der Literatur auch SF in anderen Medien, wie Film und Comic und so weiter?
FELIX: Die Verfilmung von Die wandernde Erde von Liu Cixin war in China ein großer Erfolg. Die Branche möchte mit Sicherheit an diesen Erfolg anknüpfen. Ich weiß von einigen Autoren, die auch in der Filmbranche arbeiten, und höre immer mal wieder etwas von neuen Filmprojekten. Nach wie vor hoffe ich, dass Die drei Sonnen verfilmt wird und auch außerhalb von China in die Kinos kommt. Film und Literatur sind aber nur der Anfang. Weitere Medien folgen bestimmt. Comics und illustrierte Bände sind bereits auf dem Weg. Ich bin gespannt, was noch alles publiziert wird!
Wie ist das Geschlechterverhältnis bei den chinesischen Autorinnen und Autoren?
FELIX: Charakteristisch für die derzeitige Phase ist, dass viele Frauen als Autorinnen aktiv sind und publiziert werden. Und es werden immer mehr! Viele Debüts in den vergangenen Jahren waren von jungen Frauen. Einige der etablierten Autorinnen sind auch außerhalb Chinas bekannt. Die Texte von Xia Jia, Chi Hui und Anna Wu wurden bereits in mehrere Sprachen übersetzt, unter anderem von Ken Liu und von uns. Fortsetzung folgt.
LUKAS: Wir mögen sehr an der Szene in China, dass so viele Frauen schreiben – und so erfolgreich sind! Xia Jia gehört definitiv zu den Stars der jungen SF-Szene Chinas. Ihre Storys sind fast schon meditativ. Es spricht auch für sich selbst, dass Hao Jingfang ein Jahr nach Liu Cixin ebenfalls mit dem Hugo-Award ausgezeichnet wurde.
Worin seht ihr den Grund für das zunehmende Interesse an chinesischer SF in den USA und Europa?
LUKAS: Das haben wir ja oben bereits angerissen. Es gibt unglaublich engagierte Leute wie Ken Liu, Song Mingwei und Regina Kanyu Wang. Die haben eine tolle Vorarbeit geleistet! Die Empfehlungen von Obama und Zuckerberg haben ihr Übriges getan. Aber wir können vor allem für uns sprechen: Als wir vor fünf Jahren angefangen haben, gab es hierzulande kaum Genre-Literatur aus China. Das meiste, was bis dahin publiziert worden war, waren sehr ernste Texte, so wie die von Mo Yan, der für seine Erzählungen den Nobelpreis erhalten hat. Darüber hinaus erreichte von den Hunderttausenden Büchern, die Jahr für Jahr in China erscheinen, nur ein Bruchteil den deutschen Markt.
FELIX: China entwickelt sich derzeit rasant. Und das bekommt man auch außerhalb des Landes mit. Ich finde vor allem technische Neuerungen, zum Beispiel im Bereich der KI, spannend und denke, dass es vielen anderen auch so geht. Science Fiction ist im Umkehrschluss das literarische Genre, das genau derartige Prozesse aufgreift und sich auf künstlerische Weise damit auseinandersetzt. Möglicherweise auch ein Grund für den Erfolg des Genres in dieser Zeit.
Was plant ihr für die Zukunft für euer Magazin?
LUKAS: Gerade arbeiten wir an zwei neuen Ausgaben. Die eine erscheint diesen Herbst. Dafür haben wir eine Geschichte von Jiang Bo übersetzt, in der es um ein Big-Data-Experiment geht, das aus den Fugen gerät. Im kommenden Jahr erscheint dann eine Sonderausgabe, in der wir zwei Autorinnen und Autoren aus China und Deutschland positive Zukunftsvisionen schreiben lassen. Anna Wu und Baoshu sind dabei! Und aus Deutschland Anja Kümmel und Tim Holland. Wir brauchen dringend alternative Zukunftsentwürfe, und das nicht erst seit heute!
Lena Richter
Queer denken.
Erzählstrukturen und Weltenbau aus queerfeministischer Perspektive
Inhaltliche Hinweise: Dieser Artikel behandelt und thematisiert systemische Ungleichbehandlung, Leiden queerer Menschen, Cis-Sexismus, Misogynie, Ableismus (bezogen auf Neurodiversität) und beschreibt Body-Horror-Aspekte eines Computerspiels.
In der Diskussion um queere Geschichten geht es oft um Repräsentation und Diversität der Figuren. Doch Repräsentation ist nur ein Aspekt des Strebens nach queeren Erzählungen; der Wunsch nach diversen Figuren ist wichtig, bewegt sich aber nur an der Oberfläche. Auf der Suche nach queerfeministischen Perspektiven müssen wir tiefer blicken.
Zuerst möchte ich kurz die in diesem Beitrag verwendeten Begriffe erläutern. Ich wähle hier queer als Oberbegriff statt LGBTQ oder ähnliche Abkürzungen, weil die konkrete Benennung von queeren Identitäten durch die Buchstabenfolge nicht alle Personengruppen umfasst und dadurch ausschließend wirken kann. Queer meint hier alle Menschen, die bezüglich Geschlechterrollen, sexueller Orientierung oder ähnlichem auf irgendeine Weise von der deklarierten Norm unserer Gesellschaft abweichen. Die Betrachtungen in diesem Essay sind außerdem queerfeministisch. Damit ist gemeint, dass es einerseits darum geht, heteronormative Sichtweisen und die binären Kategorien von männlich und weiblich aufzubrechen, aber eben auch darum, die Ungleichbehandlung von weiblich gelesenen Personen zu kritisieren. Auf den Begriff der Heteronormativität gehe ich später noch ausführlich ein.
Queere Repräsentation, das sei noch einmal bekräftigt, ist ein wichtiger Aspekt, denn noch immer ist es in der Phantastik nicht selbstverständlich, dass z. B. homo-, bi- und pansexuelle Figuren, trans und nicht-binäre Figuren, asexuelle und aromantische Figuren als Protagonist*innen, Antagonist*innen oder zumindest Nebenfiguren vorkommen und hierbei angemessen repräsentiert statt auf ihre Sexualität oder Genderrolle reduziert werden. Auch werden Bücher, Filme oder Serien mit queeren Inhalten oft noch in eine Nische geschoben, und es wird angenommen, dass nur queere Menschen ein Interesse an ihnen haben, während Geschichten, in denen nur cis-heterosexuelle Beziehungen vorkommen, als normal und für alle gemacht gelten. Dennoch geht die Diskussion bei Weitem nicht tief genug, wenn wir nur über die Figuren einer Erzählung sprechen. Um wahrhaft Geschichten zu erzählen, die geeignet sind, die Strukturen der Gesellschaft aufzubrechen, müssen wir umgekehrt erst einmal verstehen, wie diese Strukturen unsere Erzählungen seit Jahrhunderten beeinflussen. Dieser Einfluss erstreckt sich bis in die Grundlagen unserer Erzähltraditionen und der fiktiven Welten, die wir erschaffen.
Was uns die Heldenreise lehrt
Deutlich wird dies beispielsweise bei der Heldenreise nach Campbell. Diese diente zahllosen Büchern, Filmen und Serien als Schablone und ist immer noch als Erfolgsrezept bekannt, nach dem Geschichten funktionieren. Aber auch darüber hinaus wird sie in Selbsthilfebüchern und