Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов
Person kennenlernt, verwendet das Fremden-Geschlecht, bis sich die Gelegenheit ergibt zu fragen: »Wie darf ich dich pronominieren?«
Weil Fantasy oft an die Vergangenheit angelehnt ist, lässt sich mit ihrer Hilfe auch die Geschichte von Transmenschen illustrieren. Stephanie Burgis’ Masks and Shadows (2016) spielt im Österreich des späten 18. Jahrhunderts. Das Buch ist ein Liebesroman, aber die männliche Hälfte des Paares ist ein Castrato-Sänger namens Carlo Morelli. Carlo würde sich wahrscheinlich nach wie vor als männlich identifizieren, aber das galt nicht für alle Kastraten. Vielleicht noch wichtiger ist, dass Burgis die Vorstellung unter Beschuss nimmt, dass alle Eunuchen fett und hässlich waren. Castrati waren die Rockstars ihrer Zeit. Sie mussten elegant und kultiviert auftreten, um ihren aristokratischen Schirmherren zu Gefallen zu sein, und anscheinend waren sie nicht nur als Sänger, sondern auch als Liebhaber sehr gefragt.[11]
Fantasy kann auch zum Einsatz kommen, um die Grausamkeiten darzustellen, die Transkinder erleben. Seanan McGuires Every Heart a Doorway (2016, auf Deutsch in einem Band mit den beiden Folgenovellen als Der Atem einer anderen Welt erschienen) spielt in einer Schule für junge Mädchen, die in Fantasy-Welten entführt und dann wieder in ihr normales Leben zurückgeworfen worden sind. Die meisten dieser jungen Frauen sehnen sich einfach nach dem Leben zurück, das sie einmal als Prinzessinnen in einem Reich der Wunder geführt haben, aber ein Schüler, Kade, ist ein Trans-Junge.
Als man ihn entführt, lebt Kade noch als Mädchen, aber in seiner Fantasy-Welt findet er zu sich und wird schließlich ein Goblinprinz. Die Fantasywelt spuckt ihn allerdings wieder aus, weil sie ihn nicht mehr als Mädchen erkennt. Wie in solchen Fällen üblich kehrt er im selben Alter, in dem er entführt worden ist, nach Hause zurück und stellt fest, dass er sich einmal mehr der drohenden Pubertät eines Mädchens gegenübersieht. Diesmal sind es seine Eltern, die ihn zurückweisen und seine männliche Identität als Fantasievorstellung abtun. Interessanterweise gehört Kade zu den reiferen und vernünftigeren Schülern, weil es ihm nur darum geht, er selbst sein zu können, unabhängig davon, in welcher Welt er sich befindet.
Darüber hinaus sollte erwähnt werden, dass die Hauptfigur von Every Heart a Doorway, Nancy, asexuell ist.
Ein besonders Problem, dem sich Autor*innen gegenübersehen können, ist die Frage, wie sie verraten sollen, dass eine Figur trans ist. Geht das unbeholfen vonstatten, kann das die Lesenden gegen die Figur einnehmen und den Eindruck erwecken, als sei eine Täuschung am Werk. Das berühmteste Beispiel ist die »schockierende Enthüllung« in Neil Jordans Film The Crying Game (1992).[12] Eines der besten Beispiele für eine Enthüllung, um die nicht viel Aufhebens gemacht wird, findet sich in The Root (2016) von Na’amen Gobert Tilahun. Zwei männliche Figuren sind gerade in eine fröhliche Rauferei verwickelt, die Teil ihres sportlichen Trainings ist. Der folgende Dialog entsteht:
Mit einem Mal war Erik frei. Er suchte sein Gleichgewicht, fiel und traf dabei mit der Handfläche fest Taes Hüfte. Für einen kurzen Moment sog der andere Junge zischend die Luft ein.
»Alles in Ordnung?«
»Ja, das ist nur die Stelle, an die ich meine Injektionen kriege. Ich dachte, es würde nicht wehtun, weil es schon verheilt ist, aber die Stelle ist immer noch empfindlich.«
»Injektionen?«
»Testosteron.«
»Ach so, verstehe.« Erik lächelte und nickte.
Mehr ist nicht nötig. Dass Tae trans ist, wird in dem Buch nicht wieder erwähnt, weil es zu keinem Zeitpunkt Bedeutung erlangt.
In sehr seltenen Fällen lassen Autor*innen sich auch einmal auf transpolitische Fragen ein. Das mag eine der Ursachen hinter der Behandlung der Transfrau in Amanda Downums The Bone Palace sein. Diese Figur wird zuerst als höchst feminin eingeführt, aber nach und nach stellt sich immer mehr heraus, dass sie ein Mann in Drag ist. Ein ernsthafteres Beispiel ist Mary Gentles ILARIO-Duologie.[13] Einerseits handelt es sich hierbei um erstklassige Bücher über die Probleme, denen sich eine Intersex-Person in einer mittelalterlichen Welt gegenübersieht. Andererseits kommt in ihnen unter anderem eine Figur vor, die sich als Transfrau identifiziert, von der Geschichte dann aber als »in Wirklichkeit […] schwuler Mann« hingestellt wird. Der Kontrast zwischen dem validen (biologischen) Intersex-Zustand dieser Figur und der als Täuschung dargestellten Identität der Transfrau tritt deutlich hervor.
Obwohl Transmenschen einen ziemlich kleinen Prozentsatz der Menschheit ausmachen, sind wir nicht so selten, dass es unter Autor*innen keine von uns gäbe. Tatsächlich gehört dieser Beruf zu genau den einsamen Tätigkeiten ohne Kundenkontakt, die Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt regelmäßig diskriminiert werden, offensteht. Natürlich gibt es seit jeher Transautor*innen, aber früher konnten sie seltener als solche an die Öffentlichkeit treten und waren weniger geneigt, über Trans-Themen zu schreiben. Rachel Pollack gehörte zu den Pionierinnen und gewann für Unquenchable Fire 1989 den Arthur C. Clarke Award. Außerdem ist sie dafür bekannt, in DCs DOOM PATROL-Comic 1993 den Trans-Superhelden Coagula eingeführt zu haben.
Mit zunehmender gesellschaftlicher Akzeptanz von Transmenschen finden auch mehr von uns Verleger für unsere Werke und können nach Belieben über Themen, die uns betreffen, schreiben. Am bekanntesten unter den gegenwärtigen Trans-Autor*innen ist Caitlín R. Kiernan, die mit Das ertrinkende Mädchen (The Drowning Girl, 2012) den World Fantasy Award für den besten Roman gewonnen hat. Obwohl Abalyn, die Transfigur in dem Buch, keine herausgehobene Rolle spielt, zeigt sich in ihr die sehr genaue Beobachtungsgabe der Autorin.
Roz Kaveney ist ein gutes Beispiel für eine Person, die zwar eine schillernde Laufbahn als Kritikerin und Journalistin hat, bis zur gegenwärtigen Explosion des Interesses an Trans-Themen aber keinen Verlag für ihre erzählenden Texte gefunden hatte. Ihre fortlaufende Fantasy-Reihe THE RHAPSODY OF BLOOD[14] wartet mit zahlreichen queeren Figuren auf. Die wichtigste Transfigur der Reihe stellt eine derart unerhörte Autorinnenentscheidung dar, dass ich niemandem die Überraschung verderben möchte, indem ich sie hier erörtere. Ich belasse es dabei, dass sie meines Erachtens wunderbar funktioniert.
Vielleicht ist es für Transmenschen leichter, Kurzgeschichten zu veröffentlichen, da diese großteils in Kleinverlagen erscheinen, die frei von den Unternehmerängsten größerer Firmen sind. Brit Mandelos Beyond Binary (2012) erforscht eine große Bandbreite verschiedener Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten. Lethe Press, die schon seit einer ganzen Weile Jahresanthologien mit ausgewählter schwuler und lesbischer Speculative Fiction veröffentlichen, haben neuerdings Transcendent (2016) in ihr Programm aufgenommen, eine von K. M. Szpara herausgegebene Reihe, die die besten Kurzgeschichten des Jahres mit Transthemen und Transautor*innen enthalten soll. In The Janus Cycle (2015) von Tej Turner wird jedes Kapitel aus der Sicht einer Figur mit anderer Sexualität und/oder Geschlechtsidentität erzählt. Topside Press, die auf Werke von Transautor*innen spezialisiert sind, sind gerade dabei, eine Anthologie von Science-Fiction- und Fantasy-Texten zusammenzustellen, die von Transautor*innen verfasst wurden. Sie haben über 250 Zuschriften bekommen.[15]
Zu den interessantesten Anthologien mit Transautor*innen gehört Love Beyond Body, Space, and Time (2016), herausgegeben von Hope Nicholson. Alle darin vertretenen Autor*innen identifizieren sich auf die eine oder andere Art als LGBT+, aber darüber hinaus identifizieren sie sich auch alle als Native Americans. Das führt zu einer ganz anderen Herangehensweise an Transidentitäten als die, die Autor*innen aus westlichen Kulturen mitbringen.
Es ist zwar ermutigend, dass so viele Transautor*innen mittlerweile ihre Arbeiten veröffentlichen können, aber es fällt auf, dass sie fast alle in Kleinverlagen erschienen. Von den oben erwähnten Werken ist nur Das ertrinkende Mädchen aus einem Großverlag. Charlie Jane Anders ist bei einem großen Verlag unter Vertrag, aber ihr bisher einziger Roman, Alle Vögel unter dem Himmel (All the Birds in the Sky, 2016), enthält keine einzige wichtige Transfigur. Das lässt vermuten, dass es bei den großen Verlagen für Speculative Fiction noch gewisse Vorbehalte gegen Trans-Themen gibt.
Ein Bereich des Mainstreams, in den Transautor*innen derzeit langsam vordringen, ist das Jugendbuchsegment. Wie weiter oben erwähnt, folgt der Großteil der Jugendbücher einer realistischen Ästhetik und neigt dazu, einer Cis-Leserschaft Transmenschen zu erklären.