Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов
durchaus auch andere Beispiele finden.
Die Reise, auf der sich die Speculative Fiction befindet, lässt sich vielleicht durch Ian McDonald veranschaulichen. 1996 veröffentlichte er sein Narrenopfer (Sacrifice of Fools), einen Roman, der durch die Analogie zu jemandem, der ein Alien werden möchte, impliziert, dass Transmenschen bemitleidenswerte Narren sind, die nie wirklich zum Objekt ihrer Besessenheit werden können. Das war nicht unbedingt einer von McDonalds großen Momenten, obwohl das Buch eine Menge Gutes über die unglückliche Lage in Nordirland zu sagen hatte. Wegen seiner Auseinandersetzung mit dem Thema Geschlecht wurde das Buch für den Tiptree Award nominiert, was zeigt, wie wenig manche Tiptree-Jurys von Transangelegenheiten verstehen.
Im Jahre 2004 hatte McDonald seine Botschaft allerdings deutlich verändert. In Cyberabad (River of Gods) tritt eine Figur namens Thal auf, die sich als »Neut« identifiziert, als a-geschlechtliche[6] Person. Thals persönlicher Handlungsbogen ist die Geschichte einer Umwandlung. McDonald leistet gute Arbeit dabei, die gesellschaftliche Ausgrenzung zu beschreiben, der Transmenschen sich gegenübersehen, und die Komplexität der medizinischen Umwandlung. Darüber hinaus erschafft er eine Kultur für die Neut-Gemeinschaft, einschließlich der Verwendung eines nicht-binären Pronomen. »Ys« war vielleicht nicht die beste Wahl, aber immerhin wird die Problematik anerkannt und berücksichtigt.
In Brasyl (2007) ist McDonald wieder ein Stückchen weiter. Seine Hauptfigur Edson ist bisexuell und gender-fluid.[7] Keine dieser Identitäten ist ein Schlüsselelement seines Handlungsbogens als Figur. Es handelt sich einfach um Aspekte seiner Person. In Luna (2015) sind viele der jüngeren Figuren auf die eine oder andere Art nicht-binär. So ist die Gesellschaft auf dem Mond einfach. Für die Menschen dort ist das Geschlecht etwas Wandelbares und Flexibles. Im Folgeband Luna: Wolfsmond (2017) bemerkt eine Figur: »Wir leben in einer Gesellschaft, in der das menschliche Geschlecht so sehr im Fluss ist wie noch nie in der Weltgeschichte.«
McDonald stellt also ein hervorragendes Beispiel für einen Autor dar, der sich der wandelnden Haltung gegenüber Transmenschen in der wirklichen Welt bewusst ist und der dieses Wissen bei seinen Weltentwürfen von Gesellschaften der nahen Zukunft einsetzt. Andere Autor*innen versuchen, tiefer auf die gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen einzugehen.
Ein hervorragendes Beispiel dafür ist die JACOB’S LADDER -Trilogie[8] von Elizabeth Bear. Auf den ersten Blick handelt es sich schlicht und einfach um eine Generationenschiff-Geschichte, in deren Mittelpunkt allerdings eine Crew mit einer hohen Geschlechtervarianz steht. Erst im dritten Buch Grail (2011) erfahren wir, warum diese Crew die Erde überhaupt verlassen hat. Sie gehört zu einer Fraktion der Menschheit, die medizinische Technologie zur persönlichen Erfüllung verwenden möchte, darunter auch die zur Geschlechtsumwandlung. Im Gegensatz dazu möchte die Erdregierung medizinische Technologien einsetzen, um die Menschen in stereotype Vorstellungen von Geschlechtern zu zwängen, indem sie alle Menschen, deren Geschlechtsidentität oder Sexualität als gesellschaftlich unerwünscht gelten, »heilen« oder eliminieren. Die in dem Buch aufgeworfenen Fragen sind sehr relevant, und sie werden uns zweifellos in der wirklichen Welt noch stärker unter den Nägeln brennen, je mehr die Forschung zum biologischen Unterbau von Sexualität und Geschlecht fortschreitet.
Zwei Autor*innen, Melissa Scott und Kim Stanley Robinson, haben sich der Frage zugewandt, wie eine Zukunftsgesellschaft sich verändern könnte, um einer Varietät von Geschlecht mit mehr Toleranz zu begegnen. In Shadow Man (1995) entwickelt Scott die Idee, dass die physischen Belastungen, denen menschliche Körper durch die Raumfahrt ausgesetzt werden, die Notwendigkeit medizinischer Behandlungen zur Folge haben, die als Nebenwirkung die Zahl der Intersex-Geburten stark ansteigen lassen. In der Welt dieses Romans tauchen fünf klar voneinander abgegrenzte menschliche Geschlechter auf, eine Idee, die aus einem berühmten Essay stammt: »Die fünf Geschlechter: Warum männlich und weiblich nicht genug sind« (1993) von der Biologin und Gender-Studies-Professorin Anne Fausto-Sterling. Der Roman spielt auf einer abgeschiedenen und zutiefst konservativen Welt, deren lokale Kultur sich weigert, diesen Aspekt der Wirklichkeit zu akzeptieren, und versucht, alle zu zwingen, sich dem alten, binären Geschlechtermodell zu unterwerfen. Das Buch ist natürlich auch eine Satire auf das Amerika der Gegenwart.
Robinsons Roman 2312 (2012) postuliert die Entdeckung, dass Menschen mit einer bestimmten Art von Intersexualität deutlich länger leben als Menschen, deren Körper ausschließlich männlich oder weiblich ist. Die Folge davon ist, dass die Menschen ihre Kinder nun im Mutterleib modifizieren lassen, damit sie die erwünschte Intersex-Eigenschaft erhalten. Die Vorstellung von Intersex-Kindern als einer Mode, die bei den Superreichen beginnt, ist durchaus belustigend, aber Robinson zieht das Gender-Thema nicht durch, da seine beiden Hauptfiguren (in etwas, das im Kern eine Liebesgeschichte ist) ziemlich stereotype Maskulinität und Femininität performen.
Auf einer philosophischen Ebene hat man die SF oft eingesetzt, um die Frage danach zu stellen, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Typischerweise geschieht das mithilfe der einen oder anderen Art von Android*innen. In seiner GIDEON SMITH-Reihe benutzt David Barnett dafür die Figur der Maria, die ein Steampunk-Automat ist. In Gideon Smith & The Mask of the Ripper (2015) trifft Maria Gloria, eine Transfrau, und die beiden sitzen in einem Café und sprechen darüber, was es für sie bedeutet, Frau zu sein. Das ist etwas, was sich außerhalb der Speculative Fiction kaum so machen lässt.
Während die philosophischen Erörterungen, wie Bear und Barnett sie vornehmen, faszinierend sein können und tatsächlich auch ein Herzstück der SF sind, werden in ihnen Transmenschen trotzdem in gewissem Maße zu Objekten gemacht, weil sie dem Zweck dienen, eine Facette des Themas Geschlecht zu beleuchten. In Brasyl und Luna hat McDonald gezeigt, dass Figuren, selbst Hauptfiguren wie Edson, trans sein können, ohne dass das für die Handlung des Buchs von Bedeutung ist. Die betreffende Person ist einfach zufällig trans, was für die Handlung keine größere Tragweite hat als die Wahl einer Ethnizität, eines Hobbys oder einer Augenfarbe. Aus der Sichtweise von Trans-Aktivist*innen ist diese Art von Inklusion deutlich vorzuziehen, weil sie dazu beiträgt, Transfiguren zu vergewöhnlichen[9], anstatt sie zu exotisieren.
Inzwischen gibt es viele Beispiele für Autor*innen, die sich entschließen, Transfiguren einfach als Teil der Hintergrundwelt auftauchen zu lassen. In The Galaxy Game (2014) lässt Karen Lord eine nicht-binäre Nebenfigur auftreten. In N. K. Jemisins mit dem Hugo Award ausgezeichneten Zerbrochene Erde (The Fifth Season, 2015) kommt eine Transfrau als Nebenfigur vor, die aufgrund ihrer Elternschaft vielleicht noch sehr wichtig im dritten Band der Trilogie werden wird. Und in Emma Newmans After Atlas (2016) gibt es eine nicht-binäre Figur, die eine bekannte investigative Journalistin ist. In all diesen Fällen ist dieser Umstand weder für die Handlung relevant, noch beschäftigt er die anderen Figuren besonders.
Fantasy-Autor*innen haben sich der Herausforderung ebenfalls gestellt und Transfiguren in ihre Bücher aufgenommen. Manchmal geschieht das in einem modernen Urban-Fantasy-Setting wie in Paul Cornells Who Killed Sherlock Holmes (2016). Manchmal wird in einer Fantasywelt Magie eingesetzt, um eine Verwandlung herbeizuführen, zum Beispiel in Glenda Larkes WATERGIVERS-Trilogie (insbesondere in Stormlord Rising von 2010). Und manchmal schlagen sich Transfiguren eben, so gut es geht, durch, wie sie es in unserer Welt getan haben, bevor medizinische Methoden des Übergangs entwickelt wurden. Beispiele dafür sind Eon (2008) und Eona (2011) von Alison Goodman, Karen Memory (2015) von Elizabeth Bear und The Black Opera (2012) von Mary Gentle.
Ein potenzieller Stolperstein für Fantasy-Autor*innen ist allerdings, einerseits von hoch entwickelter Magie auszugehen, andererseits aber von wenig oder gar keiner magischen Hilfe für Geschlechterübergänge. Wie wahrscheinlich ist es, dass in einer Welt, in der lebensbedrohliche Wunden schnell und leicht geheilt werden können, niemand in der Lage sein soll, Zauber zu entwickeln, die bei einer Geschlechtsumwandlung helfen? Larke versteht das und erklärt, dass Heilmagie verwendet wurde, um den Körper ihrer Transfigur zu verändern. Dass es diese Möglichkeit nicht in Betracht zieht, ist eine der vielen Schwächen an The Bone Palace (2010) von Amanda Downum.
Auch mithilfe der Fantasy lassen sich Geschlechterthemen erörtern. Ein faszinierendes Beispiel dafür ist Rachel Hartmans Shadow Scale (2015). In diesem Roman suchen die Hauptfiguren eine Stadt auf, in der die Menschen sechs Geschlechter kennen. Eines davon ist das Geschlecht, das normalerweise für Fremde[10]