Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов
viele Werke in die spekulative Zukunft projizierte, nostalgische Rekonstruktionen einer heroischen Vergangenheit, die Frauen weitgehend versagt blieb. Seltener sind feministische Dystopien, die nicht – wie The Handmaid’s Tale – gleichzeitig Moralparabeln darstellen: Angela Carters postapokalyptisches Abenteuer Heroes and Villains (1969) bietet eine ambivalente Erzählerin, die aus dem Elfenbeinturm ihres Vaters zu anachronistischen Barbaren flieht, dort als damsel in distress eine von sexueller Abhängigkeit und Gewalt geprägte Beziehung mit dem Anführer Jewel eingeht, bis sie sich emanzipiert und seine Position einnimmt. Wie so oft bricht Carter ironisch mit jeglichen Rollenbildern; ebenso wie Tanith Lee in ihrer BLOOD OPERA-Trilogie (1992–94): Die junge Rachaela wird nach ihrer Aufnahme in eine Vampirfamilie von dem mythisch-allmächtigen Adamus verführt. Typisch für Lees Protagonistinnen entzieht sie sich der Zuordnung: devot, sexuell hörig und antriebslos, dann aber fähig, ihren Weg zu gehen, Autorität herauszufordern. Kathy Acker befreit diese Entwürfe von märchenhafter Romantik wie pazifistisch-feministischer Moral: In Empire of the Senseless (1988) schließt sich die Erzählerin anarchistischen Terroristen an, die ein postapokalyptisches Paris befreien – in dem Fiebertraum aus Gewalt, de Sade’scher Grausamkeit und gegenseitiger sexueller Ausbeutung folgt die Antiheldin nur ihrem unbedingten Freiheitsdrang. Ein kompromissloses Punk-Epos, das Neil Marshalls Doomsday – Tag der Rache (2008) vorwegnimmt.
Ursprünge feministischer Identitätskonzepte und ihre Alternativen
Die sozialpolitische Stimme der Frauen wurde bald eine geschlechtspolitische: Nicht nur Gleichberechtigung, sondern Kulturproduktion aus Sicht des Anderen – hier Weiblichen – war gefordert. Plötzlich erschien alles vergiftet vom chauvinistisch-dominanten Männerblick; die Gegenreaktion glich einem Bildersturm. Feministische Gesellschaftsutopien wurden als unzureichend angesehen, es galt, mit Ausnahme der Antagonisten, Männer ganz aus Texten zu schreiben. Der radikale Feminismus der 90er-Jahre wurde von einer Subkultur – der separatistischen Lesbenbewegung – vorangetrieben, stützte sich auf Philosophie, Psychologie und Linguistik: Jacques Derrida, Michel Foucault, Jacques Lacan, Hélène Cixous und Luce Irigaray.
Diese bis heute nicht abgeschlossene Entwicklung, bei der weibliches Schreiben und die Perspektive des Nicht-Normierten ins Zentrum rückten, sollte Muster der Unterdrückung und traditionelle Zuordnungen durch ein selbstdefiniertes, kreatives Subjekt ersetzen. Ria Endres schrieb: »Der Fortschritt hat die Männer stolz die Treppe emporsteigen lassen. Nun blicken wir auf die patriarchale Architektur wie in eine kalte Heldengräberlandschaft. Die Frau hat sich hinter dem Mann die Treppe hochgeschlichen. [Sie] hat den Wunsch, nach den verschütteten Bestandteilen einer weiblichen Welt zu suchen, die am Treppenrand liegen geblieben sind.«[2] Luce Irigaray, eine der ideologischen Ideengeberinnen, geht in This Sex Which Is Not One[5] weiter: »In der sexuellen Bilderwelt ist die Frau lediglich ein mehr oder weniger gehorsames Requisit, das der Erfüllung männlicher Phantasien dient. Dass sie in dieser Rolle, quasi stellvertretend, selbst Lust empfindet, ist möglich, sogar sicher. Aber eine solche Lust ist vor allem eine masochistische Prostitution ihres Körpers für ein Verlangen, das nicht ihr eigenes ist, und lässt sie im altbekannten Zustand der Abhängigkeit zurück.«[3] Marilyn French und Andrea Dworkin, Begründerin der reaktionären PorNo-Bewegung, sprachen gar von einem globalen Krieg gegen Frauen. Diese negative Weltsicht sowie Hunger nach Entsprechung und Identifikationsmodellen gipfelten in esoterischer Überhöhung: »Nachdem sie James Joyce verworfen hatte, bricht Comiczeichnerin Alison Bechdel zu neuen Abenteuern auf: ›Meine ganze akademische Leidenschaft war einer anderen Odyssee vorbehalten … der Suche nach meinem Volk.‹ Ihr Streben ist sowohl erotisch wie epistemologisch: ein ›unstillbarer Hunger‹ nach einem ›Wissen‹, das gleichzeitig buchstäblich, körperlich und weiblich ist.«[4]
Abgesehen von Moralparabeln und Parallel Universe war SF nicht das Genre, in dem sich separatistischer Feminismus ausdrückte – zu nahe liegt es bei Dunkler Phantastik und Horror, die als gewaltträchtige männliche Kultur galten. Diese Zurückhaltung ist umso verwunderlicher, als sich SF per definitionem mit der Zukunft beschäftigt. Durch Analyse und Aufarbeitung der Vergangenheit blieb der Radikalfeminismus jedoch in einem ähnlichen Konflikt gefangen, wie ihn Michael K. Iwoleit beschreibt: »In der konventionellen Science Fiction ist der Irrtum verbreitet, man könne die Dinge von morgen in der Sprache von gestern schildern. Es herrscht eine bemerkenswerte Naivität, was die Beziehung zwischen der Beschaffenheit einer Sprache und den Eigenschaften der Umwelt angeht, in der sie gesprochen wird.«[5] Zwei Filmemacherinnen gelang es, diese Sprache des Morgen in Diversity-SF umzusetzen: der Multimediakünstlerin und Filmwissenschaftlerin Shu Lea Cheang und der physikbegeisterten Professorin der Filmwissenschaft, Hilary Brougher. Beide entwickeln individuelle Bildsprache, Symbolik, Figuren und Plots, in denen politische Sujets wie Rassismus, Globalisierung und Ausbeutung jenseits von Täter-Opfer-Schemata erzählt werden. Cheangs Fresh Kill (1994) ist ein Thriller um ein ethnisch diverses Lesbenpaar, das auf der Suche nach seiner entführten Tochter eine globale Wirtschaftsmafia aufdeckt. Der Film hat eine assoziative Bildersprache und verweigert sich traditionellen Erzählstrukturen. I.K.U. (2000) handelt von Sex-Robotern, die Daten über menschliche Lust sammeln; während in FluidØ (2017) Körperflüssigkeiten eine extrem potente Droge sind: So wird ein Labor Schauplatz von Orgien, die Grenzen von Geschlecht, Ethnizität und sexueller Präferenz auflösen. In Broughers an klassischen Hardboiled angelehnten The Sticky Fingers of Time (1996) bekommt eine Autorin Besuch von einer Außerirdischen und muss in die Zukunft reisen, um einem Mordanschlag zu entgehen. Das Alien ist eine elegante schwarze Frau mit einem katzenartigen Schwanz und undurchschaubaren Motiven. Getreu den 50er-Jahren, ihrer eigentlichen Gegenwart, ist ihr Flirt zurückhaltend, aber postmodern selbstverständlich. Auch wenn Sexualität und Körperlichkeit in diesen Filmen eine zentrale Rolle spielen, sind sie eher thematisch angelegt als erotisierend.
Im Lager des Feindes?
Die feministische SF entwarf neue Konzepte von Geschlechtsidentität und Körperlichkeit. Die Polarisierung Frau versus Mann führte jedoch dazu, dass andere Alternativen zu traditionellen Rollenzuweisungen ignoriert wurden: SF-/Fantasy-Charaktere, wie sie Ende der 70er-Jahre in Filmen und Graphic Novels erdacht wurden. Initiatoren waren die Macher des MÉTAL HURLANT (1975–2006), dessen Ableger HEAVY METAL seit 1977 existiert: Moebius a. k. a. Jean Giraud, Philippe Druillet und Alejandro Jodorowsky oder die Künstler US-amerikanischer Comics wie VAMPIRELLA, RED SONJA, EERIE und CREEPY: u. a. Frank Frazetta, José González und Esteban Maroto. Identische Konzepte existieren ungebrochen bis heute und werden sowohl im künstlerischen Bereich (z. B. Jon J. Muth, Bastien Lecouffe-Deharme) als auch im Mainstream (z. B. WITCHBLADE, LADY DEATH, X-MEN, ELEKTRA, VAMPIRELLA und RED SONJA) realisiert. Diese Entwürfe befreiten Frauen jeglicher sexueller Identitäten von traditionellen Zuschreibungen. Ihre Protagonistinnen sind dominant, kämpferisch und individualistisch, ohne Empathie oder Gerechtigkeitssinn einzubüßen – und sie bieten etwas, das nahezu jegliche radikalfeministische Konzeption vermissen ließ: eine offen gelebte, nicht-normierte Sexualität. Feministinnen lehnten diese Werke ab, da jegliche Darstellung von Sexualität die Frau zum Objekt und damit zum Gewaltopfer mache. In den 80ern entstand somit eine rigide, körperfeindliche Sexualnorm, die – obwohl nun unpopulärer – bis heute Auswirkungen auf Frauen- und Männerdarstellungen hat, auch in der SF.
Die Weiblichkeitsentwürfe in Comics und postmodernem Surrealismus sind komplex und – im feministischen Sinne – revolutionär: Nacktheit und Erotik widersprechen keinesfalls Unabhängigkeit, Stärke oder Individualität. Vampirella ist eine Außerirdische, Detektivin und Vampir, die sich aus ethischen Gründen von Blutersatz ernährt; ihre Freundschaft zu Pantha (aus der gleichnamigen Serie) deutet Bisexualität an. Vampirella geht Allianzen mit Menschen ein, verweigert sich aber terrestrischen Konventionen. Eine ähnliche Protagonistin kämpft in Marotos Prison Ship (1994; 1982 als Diana Jacklighter, Manhuntress!) gegen Despoten und tentakelbewehrte Monster; ihr Raumanzug ist so eng, dass sie unbekleidet wirkt. Frazetta malte nackte Kriegerinnen in bislang Männern vorbehaltenen heroischen Posen, so ist auf einem Vampirella-Cover ein Urzeitpaar zu sehen, das von einem Dinosaurier angegriffen wird – die Frau hält ein Messer bereit und stellt sich vor ihren Partner, ihre Hand an seiner Brust verweist ihn in die Rolle des Beschützten. Barbarella (1968) präsentiert eine ambivalente Protagonistin: mal damsel in distress, mal sexuelle Aggressorin, sprengt sie eine todbringende Orgasmusmaschine mit der Intensität ihrer Lust. Eine weitere Filmheldin, Taarna (aus der gleichnamigen Episode