Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов
trotzdem sind das nur erste wackelige Schritte in der Repräsentation von Muslim*innen, die im westlichen Mainstream quasi nicht existent ist. Sie bleibt nicht im Gedächtnis haften und glänzt mit einer ausufernden Abwesenheit – so prägt es sich auch ins (pop-)kulturelle Gedächtnis der Rezipient*innen wie auf dem eingangs gezeigten Bild ein: »In der Zukunft gibt es keine Muslim*innen.« Vielleicht ist es ja an der Zeit, in einen der zukünftigen STAR TREK-Ableger einen muslimisch konzipierten Sufi-Vulkanier zu implementieren – schließlich kennt Science Fiction bekanntlich keine Grenzen!
Literatur:
Gerbner, Georg & Larry Gross: »Living with Television: The violence profile«. In: Journal of Communication, 1976. S. 172–199.
Hafez, Farid: »Antimuslimischer Rassismus und Islamophobie: Worüber sprechen wir?«. In: Uçar, Bülent & Wassilis Kassis (Hrsg.): Antimuslimischer Rassismus und Islamfeindlichkeit. V&R unipress: Göttingen, 2019. S. 57–75.
Hulan, Haley: »Burry Your Gays: History, Usage, and Context«. In: McNair Scholars Journal, Vol. 21, No. 1, S. 17–27.
Kanzler, Katja: »›Khan!‹ – Verfremdung und Serialität als Modi politischer Reflexion in Star Trek«. In: Besand, Anja (Hrsg.): Von Game of Thrones bis House of Cards – Politische Perspektiven in Fernsehserien. Springer VS: Wiesbaden, 2018. S. 71–85.
Merz, Sibille: »Islam«. In: Arndt, Susan & Nadja Ofuatey-Alazard (Hrsg.): (K)erben des Kolonialismus im Wissensarchiv deutsche Sprache – Ein kritisches Nachschlagewerk. Unrast: Münster, 2015. S. 365–377.
Reeves-Stevens, Garfield & Judith Reeves-Stevens: Star Trek, Deep Space Nine – Die Realisierung einer Idee. Heyne: München, 1996.
Reiss, Frank: »Wofür wir eine bessere Repräsentation von Vielfalt im Pen & Paper-Rollenspiel brauchen«. In: Vogt, Judith, Frank Reiss & Aşkın-Hayat Doğan (Hrsg.): Roll Inclusive – Diversität und Repräsentation im Rollenspiel. Feder & Schwert: Köln, 2019. S. 9–29.
Judith C. Vogt
Die drei Geschlechter: Männer, Frauen und Aliens
Nichtbinäre Geschlechter in der Science Fiction
Ihr kennt es vielleicht auch: Das witzige Toilettentürschild mit dem Strichmännchen in Hose, dem Strichmännchen im Kleid und dem Alien. Vielleicht noch versehen mit einem: »Egal, Hauptsache, du wäschst dir die Hände«. Auf den ersten Blick gibt es natürlich nichts daran auszusetzen, die Aussage ist sonnenklar. Und dennoch steht dieses Kloschild sinnbildlich für eine Weltordnung, in der Menschen in genau zwei Geschlechterschubladen gesteckt werden und alle Abweichung als fremd oder gar unnatürlich markiert wird. Diese Weltordnung zeigt sich, wie alle Elemente unserer Gegenwart, auch in der Science Fiction. Doch so, wie Geschlechterrollen und -identitäten diskutiert, in neue Worte gefasst und aus anderen Blickwinkeln betrachtet werden, ist »Gender« auch in der Science Fiction im Wandel und auf dem Weg zu einer neuen, menschlicheren Repräsentation einer auch in dieser Hinsicht vielfältigen Gesellschaft. Damit hat Science Fiction, wenn sie es richtig macht, vielleicht literarisch eine ungeahnte Bandbreite an Möglichkeiten, die nur darauf wartet, genutzt zu werden.
Schubladen fürs Denken
Die obersten Kategorien für Menschen sind »männlich« und »weiblich«. Das ist als vermeintlich neutraler Fakt in unseren Köpfen verankert, und beim Entwerfen einer Romanfigur stellt sich Schreibenden zuallererst die Frage: Ist meine Figur weiblich oder männlich? Unsere Gesellschaft sagt uns seit Tausenden von Jahren, dass das die beiden möglichen Kategorien sind. Alles darüber hinaus, selbst wenn es soziologisch, biologisch und psychologisch unterfüttert wird, macht vielen von uns schlichtweg in seiner Komplexität Angst. Und nicht nur das: Das Konstrukt von einem fundamentalen und augenscheinlichen Unterschied zwischen den beiden als einzig »gültig« angesehenen Geschlechtern ist ein Narrativ, das dazu dient, eine der einfachsten Hierarchien in unserer Gesellschaft und unserer Geschichte zu zementieren. Wenn es zwei Geschlechter gibt und diese fundamental und angeboren verschieden sind, müssen sich auch ihre Aufgaben in der Gesellschaft klar unterscheiden. Die einen bekommen die Kinder, die anderen bekämpfen den Säbelzahntiger, so lautet die Geschichte, die wir uns erzählen. Bestrebungen, etwas anderes als das sichtbar zu machen, bedrohen diese Erzählung. Sie erschweren es, eine Machtposition aufrechtzuerhalten und auszuüben.
Diese Geschichte versucht in all ihren Aspekten, sich auf vermeintliche Natürlichkeit zu stützen. Wer hat welche Chromosomen? Wer hat welche Reproduktionsorgane? Eine Einteilung in männlich und weiblich – so wird uns gesagt – ist der natürliche Urzustand. Auf dieser Basis ziehen wir gefährliche Schlüsse: Diesen Status quo infrage zu stellen, ist ein Aufbegehren gegen die menschliche Natur. Es ist künstlich, unnatürlich, vielleicht sogar ein »Hype«. Aber was, wenn dieser Status quo gar nicht der natürliche Urzustand ist, sondern einfach nur eine besonders erfolgreiche Erzählung?
Es ist uns als Mitteleuropäer*innen mit unserem Weltbild, unserer Geschichte, unserer Kultur und Gesellschaft fremd, sprachlich wie gesellschaftlich, uns gedanklich von den beiden Oberkategorien zu entfernen, neue Schubladen dazuzuschrauben oder die Schubladen zu durchlässigen und ineinander übergehenden Körben zu verflechten. Es ist eine kreative Leistung, nach all diesen Jahren, Jahrhunderten, Jahrtausenden, in denen Geschlecht binär gedacht wurde, diese Gedanken zu erweitern. Es ist beinahe schon Science Fiction.
Und genau diese Science Fiction gibt uns die Möglichkeit, uns über das Fiktive, das ganz Fremde – Aliens, KIs, Roboter – einer Vielfalt der Geschlechtsidentitäten anzunähern. Aber danach müssen wir einen weiteren Schritt unternehmen: Nichtbinäre Geschlechter, Genderfluidität, Ungeschlechtlichkeit, das große Spektrum jenseits und zwischen männlich und weiblich, muss von Aliens, KIs, Robotern wieder zu menschlichen Figuren finden. Zu Hauptfiguren am besten. Und von dort aus in unsere Sprache und unsere Realität. Denn dort gibt es uns längst.
Doing Gender
Geschlecht ist eine komplexe Sache, und im Rahmen dieses Essays kann ich nur einen kurzen Exkurs in die Thematik unternehmen. In unserem mitteleuropäischen Sozialgefüge hat sich seit Jahrtausenden die binäre Teilung in zwei Geschlechter etabliert. Die erste Aussage, die über uns getroffen wird, während wir noch um unseren ersten Atemzug ringen, ordnet uns nach sichtbaren Geschlechtsorganen in Mädchen und Jungs. Würde daraus keine weitere gesellschaftliche Zuordnung entstehen, wäre eine Aussage über die mutmaßliche zukünftige Variante der Reproduktionsfähigkeit vermutlich halbwegs unproblematisch. Aber die Hierarchie zwischen Mann und Frau ist nach wie vor im Gesellschaftlichen, Alltäglichen, Politischen, in der Kunst und allen anderen Bereichen wirkmächtig. Aus dieser ersten Aussage wird Aussage um Aussage geschlussfolgert – zu allen möglichen Formen von Befähigung und Beteiligung.
Es gibt und gab immer schon Länder, Kulturen, Regionen und Gesellschaften, die weitere Geschlechter und Geschlechtsidentitäten kennen, mehr Fluidität zulassen oder andere Positionen auf den Breitengraden zwischen den Polen »männlich« und »weiblich« benennen. Viele Kulturen weisen trans Frauen eine dritte Geschlechterkategorie zu (beispielsweise in Nepal, im Oman und auf den Philippinen). Manche Bezeichnungen beziehen sich auf angeborene Geschlechtsidentität, andere auf zugewiesene Geschlechterrollen, wenn beispielsweise eine Frau das verstorbene männliche Familienoberhaupt ersetzen soll oder als einziger »Sohn« großgezogen wird (z. B. in Afghanistan und Albanien).
Aber die mitteleuropäische Kultur, ihr binäres Weltbild und die damit verbundene Hierarchie sowie die als »natürlich« und angeboren angenommenen Unterschiede in der Wesensart sind dank Kulturimperialismus und Kolonialismus in die ganze Welt exportiert worden, und so sehen wir weltweit auch in der Fiktion vor allen Dingen Frauen und Männer als Hauptfiguren in Geschichten. Hinweise auf die Existenz von trans Menschen und genderqueeren Menschen, also Menschen, deren Geschlecht nicht mit dem übereinstimmt, was ihnen bei der Geburt anhand eines Blicks auf ihre Geschlechtsorgane zugewiesen wurde, gibt es natürlich durch die ganze aufgezeichnete Geschichte hindurch.
Die Wissenschaft fing im 19. Jahrhundert an, sich mit queerer Sexualität zu befassen, und stieß früh darauf, dass sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität verschiedene Paar Schuhe sind, die eine ungeahnte Vielfalt an Kombinationen