Das Science Fiction Jahr 2020. Группа авторов
in Erscheinung getreten ist. Danach trat die Figur erneut in den STAR TREK-Filmen Der Zorn des Khan im Jahre 1982 und Into Darkness 2013 auf. Khan ist ein genetisch manipulierter »Übermensch«, der eine indische Herkunft hat. Er wurde in der Serie und im Film von 1982 vom mexikanischen Schauspieler Ricardo Montalbán und zuletzt 2013 vom britischen Schauspieler Benedict Cumberbatch gespielt. Eine vermeintliche Religion von Khan wurde in STAR TREK-Produkten bisher nicht thematisiert.
THE EXPANSE
Marked Muslims
Bei keiner der drei Figuren wurde je explizit erwähnt, dass sie muslimisch seien. Wie kommt es dann, dass sie den Befragten zuerst in den Sinn kommen, wenn sie über muslimische Figuren in Science Fiction nachdenken – insbesondere wenn die Definition eine*r Muslim*in »Person islamischen Glaubens« oder »Angehörige*r des Islam« ist?
Bei allen handelt es sich im Vergleich zu den mehrheitlich westlich geprägten menschlichen Figurenensembles in den Serien um »Fremde«: Die angenommene Religionszugehörigkeit wird hier mit einer von der repräsentierten westlich eurozentristischen Norm abweichenden nahöstlichen oder indischen Herkunft verknüpft. Von dieser Assoziation sind nicht nur praktizierende Muslim*innen betroffen, sondern auch Figuren, die aufgrund ihres physischen Aussehens oder Namens – Bashir, Avasarala und Khan – muslimisch markiert werden, unabhängig davon, ob sie es sind oder sich selbst so bezeichnen würden: Sie werden aber als Muslim*innen gelesen. Werden in der realen Welt diese Assoziationen zusätzlich mit negativen Zuschreibungen versehen, die zur Ausgrenzung und Diskriminierung führen, ist die Rede von antimuslimischem Rassismus, wie es bisweilen Kopftuch tragende Frauen und Arabisch sprechende Menschen mit einem nahöstlichen Migrationshintergrund in den westlichen Ländern erleben.
Screentime vs. Symbolic Annihilation
Khan ist ein faszinierender Gegenspieler, der in zwei Filmen der Antagonist war, und sowohl Bashir als auch Avasarala sind Hauptfiguren in den jeweiligen Serien – sie haben genug Screentime, um sich mit ihrer Diversität im Gedächtnis des Publikums festzusetzen. Auch wenn sie nicht genuin muslimisch erschaffen wurden, geben die beiden Letztgenannten positive Repräsentationen ab – wenn Zuschauer*innen sie muslimisch lesen würden.
Der Grund für die Assoziation der Anfangsfrage mit diesen drei Figuren ist die fehlende Repräsentation von muslimischen Figuren in Mainstream-SF aus dem Westen allgemein. Auch wenn gerade in vielen futuristischen Welten postreligiöse oder säkulare Verhältnisse herrschen, sind muslimisch gelesene Figuren – insbesondere in entscheidenden (Haupt-)Rollen eine Rarität.
In einer Welt, in deren Beschreibung oder visueller Darstellung eine bestimmte Gruppe Menschen – in unserem Beispiel Muslim*innen – nicht vorkommt, liegt der Schluss nahe, dass sie in dieser Welt auch nicht existiert oder sie keine nennenswerte Rolle spielt – zumindest so lange, bis sie explizit thematisiert wird.
Es gibt Welten, in denen das Nichtvorhandensein einer bestimmten Gruppe innerweltlich begründet wird: In vielen Science-Fiction-Settings wird die Abwesenheit von Menschen mit Behinderung oder chronischen Erkrankungen durch einen technologischen Fortschritt erklärt. Oder Ethnien und Nationen wurden durch erdumfassende Kriege und Seuchen ausgelöscht. Doch eine innerweltlich fehlende, kohärente Erklärung für das völlige Fehlen von Repräsentation kann zum Ausdruck bringen, dass bestimmte Personengruppen in dieser Welt schlicht nicht existieren (sollen). Insbesondere in fiktionalen Welten wie Science Fiction ist diese Botschaft besonders bitter: Ihre Schöpfer*innen verfügen über jede kreative Freiheit, allen einen Raum in der Welt zu geben, und nutzen sie nicht.
Für dieses symbolische Auslöschen einer Gruppe Menschen aus dem medialen Bewusstsein hat der Kommunikationswissenschaftler George Gerbner ebenjenen Begriff der »Symbolic Annihilation« geprägt – die Verweigerung einer adäquaten Repräsentation in Medien. Das heißt in unserem Zusammenhang: Findet man in einer Science-Fiction-Welt keine Muslim*innen, erwächst mit großer Wahrscheinlichkeit bei vielen von ihnen beim Konsum solcher Produkte das Gefühl des Nichtdazugehörens und des Nichterwünschtseins.
Sayid & Samir – Happily ever after?
Minimale Thematisierungen von Muslim*innen und dem Islam am Rande mögen wie auch 1993 in der ersten Staffel der Serie BABYLON 5, in der im 23. Jahrhundert diverse Religionen der Welt vorgestellt werden und ein Vertreter des Islams mitspielt, in Science-Fiction-Serien vorgekommen sein. Die erste explizit muslimische Figur mit einer tragenden Hauptrolle in einer SF-Serie war jedoch Sayid Hassan Jarrah. Von 2004 bis 2010 spielte damals der britische Schauspieler mit indischem Migrationshintergrund Naveen Andrews in LOST den Iraker Sayid, der einen Flugzeugabsturz auf eine mysteriöse Insel überlebt habt. Sayids Religion bleibt meist im Hintergrund und wird ab und zu eingestreut, wie wenn er die Schahāda – das islamische Glaubensbekenntnis – aufsagt oder den Salāt – das islamische Gebet – praktiziert. Nach dem Tod einer geliebten Person lässt er seine Gebetskette auf ihrem Grabkreuz liegen und in einer Folge besteht er darauf, die Leiche eines muslimischen Freundes den islamischen Bräuchen entsprechend zu begraben. Anfangs von Schicksalsgenoss*innen auf der Insel wegen seines Aussehens als Terrorist oder nur als Araber bezeichnet, gilt er von Anfang an als eine tragende und positiv besetzte Figur. Diese bleibt trotz aller Sympathien alles andere als moralisch unproblematisch, denn Sayid ist auch ein Kindermörder und geläuterter Folterer – aber nichts davon wird mit seiner Religionszugehörigkeit verknüpft.
Eine aktuellere Figur ist Samir Abboud in der 2018 ausgestrahlten ersten Staffel der Serie ALTERED CARBON – DAS UNSTERBLICHKEITSPROGRAMM, der Serienadaptation des Romans von Richard Morgan. Samir wird von dem amerikanischen Schauspieler mit palästinensischer Migrationsgeschichte Waleed Zuaiter verkörpert. Samir ist Polizist im 24. Jahrhundert und der Dienstpartner der Hauptprotagonistin Kristin Ortega beim Bay City Police Department. Er spricht hin und wieder Arabisch, erwähnt Allah und wird von einer Christin, die ihm sehr nahesteht, als eine Person definiert, die an einen anderen Gott glaubt als sie selbst. Ungefähr in der Mitte der ersten Staffel opfert er sein Leben, als er sich schützend zwischen seine Partnerin Ortega und eine tödliche Kugel wirft. Samir existiert nicht im Roman und wurde eigens für die Serie erschaffen, die somit eine weitere Dimension von kultureller und religiöser Diversität erfährt. Die Figur wird durchweg positiv als eine väterliche, milde und behutsame Person dargestellt, verschwindet allerdings zu schnell von der Bildfläche. Sein Tod stellt den gewohnten Status quo der uniformen Gesellschaft ohne den kulturell und religiös fremdempfundenen »Anderen« wieder her. In Anlehnung an die Trope des »Bury Your Gays« – wer sich auf gleichgeschlechtliche Liebe einlässt, nimmt kein gutes Ende – kann hier auch von »Bury Your Muslims« die Rede sein.
Deutschsprachiger Mikrokosmos
Gehen wir vom großen Mainstream zur aktuellen deutschsprachigen Science Fiction, sind muslimische Figuren nicht minder rar gesät. In seinem Near-Future-Hörbuch Neopolis – Die Stadt aus Licht, das dieses Jahr erschien und im Jahre 2048 spielt, bedient sich der Autor Karl Olsberg an Saudi-Arabien als Kulisse und baut einen Thriller um das Thema der Augmented Reality mit der islamischen Mythologie als Kernelement – wobei die Muslim*innen als klischeehafte Randfiguren fungieren. Judith und Christian Vogt vermengen in ihrem 2019 erschienenen Hopepunk-Roman Wasteland, der in einem futuristischen Deutschland nach einer Apokalypse im Jahre 2064 spielt, Redewendungen in diversen Sprachen zum Allgemeingut der Überlebenden, sodass inşallah, Allah-weiß-wohin, (Aman) Allahım und maşallah Teil einer englisch-deutsch-türkisch durchdrungenen, als alltäglich und normal empfundenen neuen Sprache werden. Zudem betet die Protagonistin Laylay zu Allah. Im Rollenspiel Aces in Space, das dieses Jahr von Harald Eckmüller und ebenfalls von den Vögten herausgebracht wurde, gibt es sogar eine mit Kopftuch illustrierte muslimische Archetypin: die Influencerin. Das 2018 ins Deutsche übertragene Rollenspiel Coriolis – Der dritte Horizont baut in seinem Space-Opera-Setting fast ausschließlich auf islamische und nahöstliche Mythologie auf. Dass die Vorfahren aller in der Zukunft überlebenden Menschen aus dem Nahen Osten stammen, spiegelt sich weitestgehend frei von Exotik in jeglicher Form des kulturellen Alltags wieder – von Namensgebung über Kleidung bis zu sozialen Gepflogenheiten.