GEGEN UNENDLICH 16. Группа авторов
und schenke sich ebenfalls von dem schwarzen Tee ein. »Zu der Zeit, als die Schiffe noch die Meere der Erde befuhren, warf man ungebetene Gäste ins Wasser und überließ sie ihrem Schicksal. Oder man kielholte sie.«
Die Augen des Mädchens weiteten sich und ihr schmaler Brustkorb unter der groben Kleidung hob und senkte sich sichtbar.
»In heutigen Zeiten muss sich der Kapitän allerdings mit der Luftschleuse begnügen.«
Das hagere Gesicht der Offizierin glich einer ausgehärteten Maske aus Lehm, in die man Muster geritzt hatte. Ihr kurzes graues Haar, das sie wie ein Mann trug, war in der schwachen Beleuchtung des Raumes ein heller Fleck.
»Das All ist ein unwirtlicher Ort«, sagte sie und griff nach dem Sahnekännchen. »Glaube mir, wir Menschen haben hier nichts verloren.« Sie winkte den blinden Passagier heran. »Komm her, Kleines! Stell dich nicht so an!«
Die Lippen des Mädchens pressten sich aufeinander. Ohne sie anzusehen, nahm das Kind ihr gegenüber Platz.
»Du bist stumm«, sagte der Kapitän. Es war eine Feststellung, keine Frage.
Das Mädchen zog aus ihrer Jacke ein Büchlein aus Papier und schrieb mit einem Stift einige Buchstaben hinein. Mit schmutzigen Händen schob sie das dünne Heft über den Tisch. Die alte Frau beugte sich nach vorne und las: Aline.
»Ein schöner Name!« Der Kapitän berührte mit den Fingerspitzen das Papier. »Und ein schönes, altes Material.«
Aline schielte heimlich zu dem Keksteller hinüber und der Kapitän schob ihr den Teller hin. Zögernd nahm das Mädchen einen Keks und biss hinein.
»Aber was machen wir nun mit dir?«
In der einsetzenden Stille war das Kauen Alines deutlich zu hören. Sie zog wieder das dünne Heft hervor und schrieb in kleinen Druckbuchstaben etwas unter ihren Namen.
»Wirfst du mich nach draußen?«, las der Kapitän.
Der Kapitän beobachtete das zierliche Ding in den zu großen Klamotten, die sie nervös ansah. »Warum bist du hier?«
Aline schüttelte den Kopf.
»Du weißt es nicht oder du möchtest es mir nicht sagen?«
Das Mädchen starrte auf ihre Hände und rührte sich nicht mehr. Ihr langes schwarzes Haar bedeckte ihr schmales Gesicht. Die alte Frau lehnte sich im Sessel zurück und betrachtete Aline über den Rand der Tasse hinweg. Vierzig Jahre hatte sie auf Schiffen im All verbracht und nie war ein blinder Passagier an Bord gewesen. Nicht einer. Und jetzt tauchte dieses dünne Geschöpf in zu großen Klamotten auf, schmutzig und stinkend … Es kam ihr bedeutsam vor.
»Erst mal bleibst du an Bord. Notgedrungen …«
Aline schaute auf.
»Und ich schlage eine Dusche vor …«
Das Mädchen roch am Ärmel ihres Pullovers, die blassen Wangen hatten etwas Farbe bekommen.
»Iss erst mal! Den Rest erledigen wir später.«
Aline schnappte sich einen weiteren Keks und stopfte ihn sich in den Mund. Der Kapitän fragte sich, von was das Kind die letzten drei Wochen gelebt hatte? Ruhig sah sie Aline dabei zu, wie sie ein Plätzchen nach dem anderen verdrückte. Die Weite des Alls und das Alter hatten sie Geduld gelehrt. Erst als der ganze Teller leer war, griff das Mädchen nach der Tasse und trank sie in hastigen Zügen.
»Weißt du eigentlich, wohin die Reise geht, Kleines?«
Aline erstarrte mitten in der Bewegung.
»Das ist meine letzte Fahrt, mein Kind«, sprach der Kapitän. »Du hast dir einen merkwürdigen Zeitpunkt ausgesucht, um zu uns zu stoßen!«
Ein akustisches Signal ertönte aus einem Lautsprecher an der Decke und Aline zuckte zusammen. »Kapitän«, erklang eine Stimme »Wir sind da!«
Eine Weile blieb die alte Frau sitzen und beobachtete das Mädchen, als wäre nichts vorgefallen. Dann erhob sie sich und zog die Uniformjacke zurecht. »Ich glaube, das sollten wir uns ansehen!«
Als sie mit Aline die Brücke betrat, konnte sie die Neugierde in den vertrauten Gesichtern erkennen. Die meisten dienten seit zwanzig Jahren unter ihr, sie hatten vieles gesehen und gehört, aber ein blinder Passagier stellte eine kleine Sensation an Bord dar.
Auf dem holografischen Display an der Stirnseite des Raumes erschien das Bild eines winzigen Himmelskörpers. Während sie alle auf den unscheinbaren Fleck schauten, spürte der Kapitän die Anspannung der Mannschaft. Es war ein kurzer Zwischenstopp, bevor sie die Passage nahmen. Viele Schiffe hielten hier, ehe sie ins Ungewisse sprangen. Und doch war es mehr als das. Eine Legende unter den Sternenfahrern.
»Schau dir diesen armseligen Felsbrocken an«, sagte der Kapitän zu Aline. »Kaum groß genug, damit unser Schiff landen kann. Aber er beherbergt einen der heiligsten Orte des bekannten Universums.«
Der Kapitän sah die Spiegelung des Planeten in den dunklen Augen des Mädchens. Was für eine seltsame Kombination, dachte sie. In dem Moment wusste sie, was sie zu tun hatte.
»Du kannst mich begleiten!«, sagte sie.
Das Mädchen starrte den grauen Fleck auf dem Display an.
Die Landedüsen des Sternenschiffes wirbelten hellen Staub auf, als es inmitten der öden Steinlandschaft aufsetzte. Noch während der Antrieb erlosch, eilte der Kapitän mit schweren Schritten durch die Gänge, das Mädchen dicht hinter ihr, und ließ die schweigsame Mannschaft zurück. Sie war nie ein Freund überflüssiger Worte gewesen und es gab nichts mehr zu sagen. Als sie mit Aline nach draußen trat, standen sie unter einem üppigen Sternenhimmel.
»Dort«, sagte der Kapitän und deutete auf einen entfernten Klecks in der tiefen Schwärze. »Da hinten befindet sich die Erde. Ich bin so weit weg von ihr, wie ich es noch nie war.«
Aline zeigte zum Himmel, rieb sich über die Arme und machte eine fragende Geste.
»Das stimmt!«, antwortete der Kapitän. »Keine Sonne! Und doch erfrieren wir nicht. Du bist sehr schlau.«
Aline atmete tief ein und klopfte auf ihre Lungen.
»Die Atmosphäre und die Schwerkraft des Planeten sind künstlich, aber niemand weiß, wie es gemacht wird. Man sagt, dass sich die Lebensbedingungen hier an die Besucher anpassen, sodass jeder die Möglichkeit hat, das heilige Buch zu sehen.«
Das Mädchen blickte skeptisch. Das hätte sie, wie die alte Frau dachte, in ihrem Alter auch getan. Als Kind hatte sie an Wunder und all die Phänomene geglaubt, die die Naturgesetze nicht erklären konnten. Das war der Grund gewesen, warum sie die Offizierslaufbahn angestrebt hatte. Sie wollte irgendwann ins All starten und das Unerklärliche mit eigenen Augen sehen. Aber als es endlich so weit war, war von den Vorstellungen ihrer Kindheit nicht mehr viel übrig geblieben.
In einiger Entfernung befand sich ein hohes Gebäude, in dessen Fenster ein schwacher Schein glomm. Es war das einzige sichtbare Bauwerk in der öden Wüstenlandschaft. Der Kapitän sah sich nach der Ikarus um. Die vertrauten Umrisse des Raumschiffs hatten ein schwarzes Loch in den Sternenhimmel gestanzt. Sie spürte die Blicke ihrer Mannschaft, die ihr ein halbes Leben lang gefolgt war.
Seite an Seite mit Aline ging sie auf das Heiligtum zu. Der stechende Schmerz in ihrem Unterbauch machte sie kurzatmig, aber sie hatte gelernt, mit ihm auszukommen. Der Boden leuchtete schwach im Glanz der Sterne.
Sie waren nicht lange gegangen, da schälten sich die Umrisse einer Gestalt aus der Dunkelheit. Zuerst hatte der Kapitän an eine Sinnestäuschung gedacht, aber bald konnte sie eine Kutte erkennen, deren Kapuze wie der übergroße Kopf eines Jungvogels wirkte. Langsam bahnte sich die Gestalt einen Weg zwischen den Steinen entlang, verschwand kurz in einer Senke und tauchte schließlich mit ihrem gemächlichen Schritt oben wieder auf. Als sie vor ihnen stehen blieb, stellte sie sich als schlanker Mann von unbestimmbaren Alter heraus, dessen bloße Füße in schlichten Sandalen steckten. Seine graue Robe besaß die Farbe der Steinwüste. Er schob seine Kapuze zurück und