Europa im Schatten des Ersten Weltkriegs. Группа авторов
seit den Anfängen unseres kulturellen Erwachens, begeistertste und überzeugendste Jugoslawen sind“, während umgekehrt gelten dürfe, „dass kein irgend bedeutender Kulturarbeiter im slawischen Süden Separatist gewesen“ sei.1 Literarischen Größen, deren patriotische Gesinnung mit mehr oder weniger Gewalt auf den integralistischen Rahmen gespannt werden kann, werden ganze Themenhefte gewidmet: so dem Illyristen Petar Preradović zum 100. Geburtsjubiläum und dem Modernisten Silvije Strahimir Kranjčević zum 10. Todestag.2
Das Programm einer integralistischen Gesamtrevision der literarischen Vergangenheit lieferte der erwähnte Antun Barac (1894–1955), der sich in den kommenden Jahrzehnten einen Namen als Literaturhistoriker und Kritiker machen sollte. Am Ende seiner Karriere als führende Persönlichkeit der Zagreber Südslawistik legte Barac übrigens eine Geschichte der jugoslawischen Literatur (1954) vor, deren Anlage und internationale Rezeption die schrittweise Distanzierung vom integralistischen Paradigma im sozialistischen Jugoslawien dokumentiert.3 Am Anfang der Karriere, in der Euphorie der großen Wende von 1918/19, machte sich der frisch promovierte Slawist für eine überfällige Modernisierung der Literaturgeschichtsschreibung im Sinne einer jugoslawischen Nationalliteratur stark.4
Den Paradigmenwechsel leitet Barac mit der Kritik an der dominanten Literaturgeschichtsschreibung ein, deren Leitprinzipien in seiner Sicht lauter Widersprüche und Unstimmigkeiten produzieren: Das territoriale Prinzip spalte die Literatur entlang historisch kontingenter Verwaltungsgrenzen; die inkonsequente Anwendung des ästhetischen Prinzips ergäbe weder eine kohärente Literaturgeschichte, noch eine Geschichte der Schriftlichkeit; und das philologische Prinzip, worunter Barac positivistische Faktenhuberei versteht, führe die analytischen Ergebnisse keiner Synthese zu. Die verfehlten Perspektiven, so Barac, nehmen ephemere Differenzen wie territoriale, religiöse oder orthographische Besonderheiten in den Blick und etablieren Korpora, hinter denen keine zusammenhängende Entwicklung zu erkennen ist.
Die scharfsichtige Kritik an der fehlenden Kohärenz literaturgeschichtlicher Narrative wird Barac in seiner späteren Entwicklung zu unterschiedlichen, auch literatursoziologischen Kontextualisierungen der Literatur führen. Jetzt wird der übergreifende Zusammenhang noch abstrakt als „Wesen der Nation“5 bezeichnet und wird dieses in der „Volksseele“ und im „Volksleben“ erblickt,6 die nur im jugoslawischen Rahmen betrachtet eine zusammenhängende Entwicklung offenbaren. Die organizistische Perspektive lässt den gesamtjugoslawischen Beobachtungsrahmen als zwingend, jede getrennte Beobachtung hingegen als ‚Zerstückelung‘ erscheinen, denn: „Das Volk ist ein Organismus, der geboren wird, der wächst und der stirbt.“7 Entsprechend gilt: „Unsere Volksliteratur wird zu einer sinnvollen, organischen Einheit, wenn alle drei Teile zusammen genommen werden, so dass von den ältesten Anfängen bis heute eine kontinuierliche Entwicklung beobachtet werden kann.“8
Die Einheit der jugoslawischen Literatur sei nicht das Ergebnis einer „Deduktion“, sondern literaturgeschichtliche „Tatsache“.9 Dabei seien die eindeutigen regionalen Verflechtungen (Barac nennt die Bereiche: liturgische und apokryphe Literatur, Ragusaner Literatur, kajkawische und protestantische Literatur, Literatur in Bosnien) sowie die Parallelen der Stilepochen (Barac erwähnt Romantik, Realismus, Naturalismus) zu einem Gesamtnarrativ zu ergänzen, indem die temporären Entflechtungen und Entwicklungslücken mit dem Substrat der Volksdichtung geschlossen werden. Denn diese, die Volksdichtung, führe ein Leben, dass auch in scheinbar ertraglosen Zeiten gleichsam „im Untergrund gedieh“.10 Nur so: überregional betrachtet und mit dem Kitt der Volksdichtung verbunden, offenbare sich „unsere Literatur“ als „einheitlicher, lebendiger Organismus, existierend ohne Unterbrechung von der Geburt bis heute“,11 vergleichbar mit einem „unterirdischen Fluss“, der schlussendlich „in voller Kraft zum Vorschein kommt“, oder mit den „Schlägen eines einzigen Herzens, die nicht überall zu hören sind, und doch niemals verschwinden“.12
5. Ausblick
Die Zeitschrift „Književni Jug“, radikales Organ des kulturpolitischen Jugoslawismus, geriet trotz konsequenter Zurückhaltung in realpolitischen Fragen in den Strudel der politischen Umbrüche. Die im realpolitischen Feld ausgetragenen Konkurrenzen um die Ausrichtung der südslawischen Monarchie im Spannungsfeld von Zentralismus und Föderalismus (deren entscheidende Frontlinie sich zunehmend zwischen den serbischen und den kroatischen politischen Parteien verfestigte), lassen auch manche Beiträge in dem integren integralistischen Organ im Zwielicht eines „Pseudo-Jugoslawismus“1 erscheinen. Diesen Eindruck konnten etwa literarische Beiträge vermitteln, in denen die erzählende Darstellung oder die lyrische Evokation serbischer Kriegserfahrung an jenen heroisch-märtyrologischen Mythenkomplex gemahnen, der auch in der Legitimation der semi-imperialen Ansprüche der zentralistischen Regierung eine wichtige Rolle spielte.2 Wenn im Beitrag eines jugoslawischen Patrioten aus Kroatien ein zentrales Element dieses Mythenkomplexes – die Sankt-Veits-Feier, die seit den Balkan-Kriegen Teil der offiziösen Erinnerungspolitik in Serbien war und als Teil des Kosovo-Mythos mit dem Anspruch auf eine Erneuerung des serbischen Reiches assoziiert wurde3 – in diffusen patriotischen Volten zu „unserer nationalen Religion, unserer jugoslawischen Religion“ erklärt wird,4 dann geht es um die Stilblüten eines längst bekannten Diskurses, der in dem aktuellen politischen Kontext allerdings neue Konnotationen entfaltete.
Als die Redaktion im letzten Heft der Zeitschrift in einem knappen Schlusswort5 ihre Aufgabe – nämlich „den Weg zu unserer endgültigen Vereinigung und Freiheit aufzuzeigen“ und darüber hinaus „in der Praxis den Grundstein zu legen für die zukünftige jugoslawische Literatur“ – für erfüllt und damit eine „hohe Mission“ für realisiert erklärte,6 verdeckte die optimistische Bilanz das personelle Auseinanderdriften im Schatten der politischen Entwicklung und ihrer zentripetalen und zentrifugalen Tendenzen. Exemplarisch hierfür ist das Verhältnis zweier exponierter Mitarbeiter der Zeitschrift:7 Der Herausgeber Ivo Andrić zog mit den meisten übrigen Redaktionsmitgliedern in die Hauptstadt des neuen Staates und begründete dort seine Karriere in staatlichen Diensten, während Miroslav Krleža – der seine projugoslawische Orientierung und seine intensive Zusammenarbeit mit Belgrader Autoren niemals aufgeben wird, der zentralistischen und royalistischen Gesinnung jedoch äußerst kritisch gegenüber stand und 1919 eine Abrechnung mit der diesbezüglichen Orientierung des Schriftstellerkreises um den „Literarischen Süden“ geplant haben soll – quasi demonstrativ in Zagreb blieb. Hier kehrten die Schriftsteller früher oder später auch zu der kroatischen Variante von Sprache und Schrift zurück: War die Unifizierung zeitgemäße Solidaritätsbekundung und antiprovinzieller Gestus gewesen, so wurde ihre Zurücknahme nun zum Signal der Distanzierung von unitaristischen Übergriffen und vom Pseudo-Jugoslawismus.
Die Konstellation aber, in der die skizzierte Programmatik einer integralen jugoslawischen Literatur das ‚Wesen der Nation‘ zu erfassen und die ‚jugoslawische Revolution‘ geistig zu fundieren versprach, blieb historisch einmalig. Nur hier bildeten eine ergebnisoffene politische Wende, der Grundkonsens der kulturellen Eliten und eine experimentierfreudige literarische Praxis zusammen genommen den Horizont einer realisierten Utopie.
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