Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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ei­ni­gen er­ge­be­nen Geist­li­chen ar­bei­te­te Mo­ritz selbst die neue Ver­ord­nung aus, nach wel­cher vor­nehm­lich die Än­de­rung statt­fand, dass alle Bil­der aus der Kir­che ent­fernt und beim Abend­mahl das Brot zum Ge­dächt­nis Jesu ge­bro­chen und an die Ge­mein­de aus­ge­teilt wer­den soll­te. Ei­nes Sonn­tags trug ein Pre­di­ger in der Kas­se­ler Hof­kir­che in ei­ner größ­ten­teils von Mo­ritz selbst ver­fer­tig­ten Rede alle Grün­de vor, die den Land­gra­fen zu der neu­en Ord­nung ge­führt hät­ten, for­der­te das Volk auf, sich da­mit be­kannt zu ma­chen, sie zu prü­fen und et­wai­ge Zwei­fel dem Lan­des­herrn selbst vor­zu­tra­gen, der be­reit sei, je­dem sei­ner Un­ter­ta­nen Ant­wort zu ge­ben. Mo­ritz war mit sei­ner Fa­mi­lie an­we­send und folg­te dem Vor­tra­ge auf­merk­sam und et­was un­ge­dul­dig; er hät­te selbst zur Ge­mein­de ge­spro­chen, wenn er es nicht für ziem­lich ge­hal­ten hät­te, an dem dem Got­tes­dienst ge­weih­ten Orte hin­ter dem dazu be­stell­ten Geist­li­chen zu­rück­zu­ste­hen. Sei­ne hohe, elas­tisch auf­recht ge­hal­te­ne Ge­stalt und sein Blick voll geis­ti­gen Feu­ers be­herrsch­te die Zu­hö­rer, so­dass er den Ein­druck ge­win­nen konn­te, die Aus­füh­run­gen sei­nes Pas­tors hät­ten je­der­mann über­zeugt.

      Vor der Kir­che blieb er im Ge­spräch mit sei­ner Frau und sei­ner äl­tes­ten Toch­ter aus ers­ter Ehe ste­hen und sah freund­lich in die Run­de, um die­je­ni­gen zu er­mu­ti­gen, die etwa eine Fra­ge stel­len möch­ten. Als er ei­ni­ge be­merk­te, die sich nä­hern zu wol­len schie­nen, wink­te er mit der Hand und for­der­te den nächs­ten auf, sich ohne Scheu zu er­klä­ren. Der Mann, ein Buch­dru­cker, sag­te un­ter vie­len Bück­lin­gen, dass er be­lehrt zu wer­den wün­sche, warum es denn sträf­lich sei, sich an Bil­dern zu er­bau­en, wo­fern man sie nicht an­be­te, was ein evan­ge­li­scher Christ doch oh­ne­hin nicht tue. Of­fen­bar er­freut, dass er Ge­le­gen­heit be­kam, sei­ne An­sich­ten zu er­ör­tern, sag­te Mo­ritz leb­haft und mit lau­ter Stim­me: »Möge sich ein je­der an Bil­dern er­freu­en, wenn sie gut ge­malt sind und et­was Gu­tes dar­stel­len; aber nicht in der Kir­che und beim Got­tes­diens­te, denn ein an­de­res ist die Kunst und ein an­de­res die Re­li­gi­on. Wir sind schwa­che Men­schen und wi­der un­ser Wis­sen und Wol­len ge­neigt, das Bild für das We­sen zu hal­ten. Es steht ge­schrie­ben: ›Gott ist Geist, und die ihn an­be­ten, sol­len ihn im Geist und in der Wahr­heit an­be­ten.‹ Das ist wohl zu be­grei­fen, aber schwer ist es, da­nach zu le­ben. Wer möch­te nicht vor bun­ten Bil­dern träu­men und Ge­be­te lal­len? Wir sol­len aber das Herz rein hal­ten, die Ge­dan­ken hoch rich­ten und nach Got­tes Ge­bo­ten tun.«

      Der Mann wag­te die­sen ent­schie­den ge­spro­che­nen Wor­ten keins ent­ge­gen­zu­set­zen; auch blick­te der Land­graf schon auf einen an­de­ren, einen al­ten Mann bäue­ri­schen An­se­hens, der, auf­ge­for­dert zu spre­chen, mit ver­le­ge­nem Lä­cheln sag­te: »Der Herr Land­graf wird al­les am bes­ten wis­sen; aber un­ser Herr Pfar­rer hat ge­sagt, wie der Luther das Abend­mahl ein­ge­setzt habe, so sei es gut, und da­bei sol­le es sein Ver­blei­ben ha­ben.«

      Die­se Wor­te schie­nen den Land­gra­fen zu är­gern, aber er zwang sich, ge­las­sen zu blei­ben, und er­wi­der­te: »Nun, mein Sohn, so ver­nimm mei­ne Mei­nung ge­gen die dei­nes Pfar­rers. Got­tes All­macht kann Wun­der tun, wenn er will, und ein Wun­der ist es, dass ein im Flei­sche Ge­bo­re­ner ohne Sün­de war; aber Brot, das wir als Brot ge­ba­cken ha­ben, bleibt Brot, denn Gott treibt kei­nen Scha­ber­nack mit uns. Glaubst du, er wür­de den himm­li­schen Leib sei­nes Soh­nes durch dei­nen schmut­zi­gen Bauch ge­hen las­sen? Wir sol­len die Wor­te Got­tes nicht nach un­se­rer lo­cke­ren, schel­mi­schen Fan­ta­sie aus­le­gen, son­dern sie so an­neh­men, wie er sie vor un­se­ren Sin­nen und un­se­rem den­ken­den Geis­te aus­ge­brei­tet hat.«

      Da­mit ließ er den Bau­ern, der fort­fuhr, dreist oder ver­le­gen zu lä­cheln, ste­hen und ent­fern­te sich mit so schnel­len Schrit­ten, dass ihm Frau und Kin­der kaum fol­gen konn­ten. Der An­blick ei­nes Ele­fan­ten, den ein fremd­ar­tig ori­en­ta­lisch ge­klei­de­ter Mann, die Trom­mel schla­gend, eben auf den frei­en Platz vor dem Schlos­se führ­te, stell­te sei­ne Lau­ne so­fort völ­lig wie­der her. Er ließ den Mann durch einen Die­ner in den Schloss­hof ho­len und rief selbst sei­ne Toch­ter, sei­ne äl­tes­ten Söh­ne und de­ren Hof­meis­ter, den Zü­ri­cher Grob, her­bei, um ih­nen das fa­bel­haf­te Tier zu zei­gen. Die Mit­tags­son­ne über­strahl­te den stein­grau­en Ko­loß, auf des­sen ge­wölb­tem Rücken ein klei­ner Affe saß und an ei­nem Ap­fel knab­ber­te. Zu­erst ließ sich der Land­graf von sei­nen Kin­dern die deut­schen und la­tei­ni­schen Na­men so­wie die Hei­mat der Tie­re sa­gen, und nach­dem er be­frie­di­gen­de Ant­wort er­hal­ten hat­te, for­der­te er Grob auf, sie nach sei­nem Wis­sen wei­ter über den Ele­fan­ten zu be­leh­ren, wor­auf die­ser ei­ni­ge Bei­spie­le von sei­ner Klug­heit gab und über Nut­zen und Ver­wend­bar­keit des El­fen­beins be­rich­te­te. In Nürn­berg al­lein wür­den jähr­lich vie­le tau­send Pfund durch ge­schick­te Kam­ma­cher, Drechs­ler und Bild­hau­er ver­ar­bei­tet. Auch das Äff­lein, füg­te er schmun­zelnd hin­zu, sei nicht durch­aus zu ver­schmä­hen, we­nigs­tens be­haup­te­ten ei­ni­ge Rei­sen­de und Ku­rio­si­tä­ten­samm­ler, dass sich in sei­nem Lei­be zu­wei­len ein köst­li­cher Stein, der Be­zoar si­mi­a­rum oder Af­fen­stein, fin­de, den die Apo­the­ker teu­er ver­kauf­ten. Wie der Ele­fant auf ein Zei­chen sei­nes Herrn die Knie bog, gleich­sam als ob er eine Re­ve­renz vor dem Land­gra­fen ma­che, sag­te die­ser leb­haft, nun sehe man, wie un­wahr es sei, was vie­le be­haup­te­ten, dass der Ele­fant kei­ne Ge­len­ke in den Bei­nen habe; er hof­fe, es wer­de sich ein Ge­lehr­ter in Gie­ßen oder Mar­burg fin­den, der et­was Gründ­li­ches dar­über schrei­be, da­mit nicht Mär­chen statt Na­tur­wis­sen­schaft ver­brei­tet wür­den. Gleich­zei­tig wink­te er meh­re­ren jun­gen Leu­ten von Adel, die auf dem Schloss­ho­fe spiel­ten, und frag­te, als sie miss­trau­isch nä­her ka­men, den einen von ih­nen, ob er wis­se, wie dies Tier hei­ße und wo­her es kom­me. Der Jun­ge schüt­tel­te ver­dros­sen den Kopf, und auch die üb­ri­gen, die hin­ter ihm stan­den, schwie­gen. Ob er wis­se, wo­durch sich der Mensch vom Tier un­ter­schei­de? Ob er wis­se, zu wel­chem Zweck man die Na­tur und ihre Ei­gen­schaf­fen stu­die­re? Ob er wis­se, wozu man über­haupt et­was ler­ne? frag­te der Land­graf schnell hin­ter­ein­an­der, wo­bei er spöt­tisch lach­te, so­dass sei­ne lan­gen, gel­ben, et­was schief ste­hen­den Zäh­ne sicht­bar wur­den. An­statt al­ler Ant­wort warf der jun­ge Mensch einen feind­se­lig tücki­schen Blick auf Mo­ritz, der eben den Füh­rer durch Zei­chen auf­for­der­te, er möch­te den Ele­fan­ten kni­en las­sen, da­mit sie auf­sit­zen könn­ten. Ober er nicht Lust hät­te, einen Ritt zu tun? frag­te er dann den Jun­gen; er wis­se ja gut mit Pfer­den um­zu­ge­hen, so sol­le er we­nigs­tens die­se ein­zi­ge Kunst, de­ren er mäch­tig sei, zei­gen. Die­ser er­schrak und mach­te Mie­ne da­von­zu­lau­fen, als plötz­lich der Affe mit sei­nem an­ge­fres­se­nen Ap­fel nach ihm ziel­te und ihn ge­ra­de auf die Ba­cke traf. Wäh­rend der Land­graf und der Hof­meis­ter in hel­les Ge­läch­ter aus­bra­chen, heul­te der Ge­trof­fe­ne, das sei der Teu­fel, der Teu­fel habe ihm den Hals um­ge­dreht, er wol­le es sei­nem Va­ter sa­gen, er sei ver­lo­ren, und mehr der­glei­chen. Wie­der ernst wer­dend, ge­bot ihm der Land­graf Schwei­gen und hielt eine An­spra­che über die Un­wis­sen­heit und ihre Fol­gen, Aber­glau­ben und Furcht­sam­keit und dass ge­ra­de der ade­li­ge Stand, der über die an­de­ren zu herr­schen sich an­ma­ße, die­sen Vor­zug durch Bil­dung zu ver­die­nen su­chen


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