Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch
nur zwischen den Parteien ein gerechter Schiedsrichter sein und den Beschwerden der Evangelischen abhelfen, so würde der Frieden im Reiche wieder aufblühen. Könnten sie nur zu der Quelle gelangen, wo das Recht unverfälscht und unverstopft fließe, so würden die evangelischen Fürsten des Kaisers treue Ritter und Erzengel sein. Warum sollte die alte Eintracht zwischen den Parteien sich nicht wieder begründen lassen? Hätten sie doch den gleichen Feind, den Türken, der über ihrem Streiten ausgelassen und mächtig geworden sei.
Der Kaiser hatte Anhalt von Zeit zu Zeit durch einen Blick oder eine Handbewegung ermuntert, fortzufahren. Sein Auge ruhte mit Wohlwollen auf der ebenmäßig kräftigen Gestalt des Fürsten, aus dessen hübschem Gesicht Offenheit und Scharfsinn strahlten und von dessen Wesen eine Wärme ausging, die es ihm leicht machte, seinen Worten zu folgen. Nicht nur währte die Audienz außergewöhnlich lange, sondern der Kaiser beendete sie auch mit der Aussicht auf eine zweite und mit Andeutung, dass eine engere Abmachung die Folge sein könne.
Noch im Laufe desselben Tages wurde der Kaiser an dem günstigen Eindruck, den er empfangen hatte, wieder irre. Er hatte sich, so schien es ihm nun, einem lustigen Feuer genähert, um sich daran zu wärmen, und würde sich schließlich daran verbrennen. Durch seine Keckheit, seinen Witz und seinen Schein von Offenheit hatte dieser Mensch ihn zu umgarnen gesucht, dem es doch zuletzt nur auf den Vorteil und Nutzen seiner Partei ankam. War Anhalt nicht ein berüchtigter Aufwiegler, der im Dienste Heinrichs IV. von Frankreich gestanden hatte und der es ohne Zweifel auch mit den holländischen Staaten, den Türken des Nordens, hielt? Ja, wenn er in den lästigen und leidigen Streitfragen, mit denen man ihn seit Jahren belästigte, zugunsten der Evangelischen entschiede, so würden sie ihn hilflos seinen Feinden ausliefern. Aufmerksam rief er sich alles zurück, was Anhalt gesagt hatte, ob ein Versprechen darin versteckt gewesen wäre, die Union würde ihm gegen Matthias zu Hilfe kommen. Gegen diesen listigen Fürsten galt es die Waffe umzukehren und ihn so zu bearbeiten, dass er ihm, dem Kaiser, die Dienste der Union zur Verfügung stellte und eine nach Belieben zu zahlende Rechnung dafür ausschriebe.
Bei der zweiten Audienz spürte Anhalt sofort, dass mit dem Kaiser eine Veränderung vorgegangen war; er schien eine fremde Maske vorgebunden zu haben, der gegenüber der verwirrte Gast das herzliche Gespräch vom vorigen Male nicht wieder anzuknüpfen wusste. Er wisse wohl, sagte Rudolf, dass sein Bruder Matthias sich Hoffnung auf den Beistand der Evangelischen mache, auch sein Bruder Maximilian hätte mit diesen zu tun gehabt, er durchschaue alles, man solle im Reich nicht denken, dass ein Blinder oder ein Kranker auf dem Hradschin sitze. Dann plötzlich beklagte er sich, dass die Stände nachlässig im Zahlen der Türkensteuer gewesen wären und ihn dadurch zu einem schmählichen Frieden mit den Türken gezwungen hätten. Von der Türkensteuer mache er alles abhängig, vorher lasse er sich auf nichts ein. Er wolle gehorsame Untertanen sehen, dann werde er auch ein gnädiger Kaiser sein.
Anhalt war vor Ärger und Enttäuschung rot geworden; wie ein Sumpf kam ihm der Kaiser vor, in den es ihn reizte mit Steinen zu werfen. Man hätte die Türkensteuer entrichtet, sagte er, obwohl es manche seltsam gedünkt hätte, die niemals einen Türken gesehen hätten noch je sehen würden. Aber man bewillige selbst den Bauern, wenn sie ihre Abgaben und Fronden ordentlich leisteten, das, was sie, um ihr Leben zu fristen, nötig hätten. Für die Evangelischen jedoch sei im Reiche kein Recht und kein Richter. Wehe dem Reich, wenn die Verkürzten in ihrer Not zum Schwerte griffen und die Fehden zwischen Brüdern sich erneuerten.
Das lasse sich wie eine Drohung hören, sagte der Kaiser vorsichtig, und Anhalt bemerkte, dass seine Hand, die um den Rand des Tisches griff, zu zittern begann. Von Ungeduld und Widerwillen hingerissen, antwortete er, indem er sich stolz aufrichtete, er stehe als ein Untertan vor seinem Kaiser, aber Gott sei über ihnen beiden, der nach Belieben umwenden könne, was er erschaffen habe. Rudolf solle nur das Ende Cäsars bedenken, welches Gott habe geschehen lassen, nachdem er ihn so hoch gerückt habe, dass noch heute die Weltbeherrscher nach ihm genannt würden.
Diese Audienz hatte einen nachteiligen Einfluss auf den Zustand des Kaisers. Die Anspielung auf die Ermordung Cäsars gab ihm beständig Anlass zu Befürchtungen, die Lang eher verstärkte als entkräftete. An diesem Anhalt, sagte er, sehe der Kaiser nun, was die Evangelischen im Schilde führten und wozu sie fähig wären, er hätte sich nie so weit mit ihm einlassen sollen.
Je mehr sich Lang des Kaisers sicher fühlte, desto gleichgültiger und rücksichtsloser wurde er gegen seine Person. Befriedigte er auch nach wie vor seine täglichen Bedürfnisse, so war doch der Ton seiner Stimme dabei oft hart und befehlend und lag in seinem Wesen eine wegwerfende Verachtung, was der Kaiser tief spürte, ohne es merken zu lassen. Seinerseits fiel es Lang nicht auf, dass der Kaiser ihn seltener zu sich rief, vielmehr oft absichtlich fernhielt; denn er war froh, des lästigen Dienstes einmal überhoben zu sein. Mehr und mehr lastete das Bewusstsein auf dem Kaiser, dass er sein Vertrauen diesem Manne, der ihn nicht liebe, geschenkt habe; es war ihm, als hätte er ein Stück von seiner Seele in Langs Hand gegeben und müsse sie um jeden Preis wiederhaben.
1 Anmaßungen <<<
7.
Vor Jahren hatte Tycho de Brahe, der kaiserliche Astronom, in einer missvergnügten Stimmung den Kaiser vor seinem sechzigsten Lebensjahre gewarnt, während dessen sein Leben durch Mord oder sonstiges Verhängnis in Gefahr schwebe. Zu weiteren Erklärungen hatte sich Tycho nicht bewegen lassen, wie denn überhaupt der hoffärtige Däne seine Aussprüche wie Kostbarkeiten von sich gab, von denen er sich ungern trennte. Von Johannes Kepler, dem armen Schwaben, der um des Glaubens willen Amt und Brot verloren hatte und dankbar sein musste, in Prag eine Unterkunft zu finden, hatte der Kaiser erwartet, dass er ausgiebiger sein würde; anstatt dessen war von diesem eigensinnigen Manne noch weniger herauszubekommen. Je mehr sich der Kaiser seinem sechzigsten Jahre näherte, desto häufiger lag ihm die Prophezeiung des Tycho beängstigend im Sinne, und eines Abends ließ er seinen Astronomen zu sich bescheiden in der unbestimmten Hoffnung, derselbe könne sie entkräften oder eine tröstliche an ihre Stelle setzen. Kepler, der es nicht vertragen konnte, in der Arbeit gestört zu werden, war ungehalten; er sei nicht des Kaisers Narr, murrte er, indem er seine Mappe zurückstieß, dass die beschriebenen Blätter im Zimmer umherflogen. Da sich seine Frau unter Seufzen anschickte sie aufzulesen,