Der Dreißigjährige Krieg. Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg - Ricarda Huch


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Leu­ten an, die ihn auf ver­bor­ge­nen We­gen aus Passau füh­ren soll­ten, da­mit er das La­ger ver­mei­de. Er für sei­nen Teil glau­be wohl, dass der Her­zog es ehr­lich ge­meint habe, die wil­de Sol­da­tes­ka kön­ne sich aber leicht ein­bil­den, er habe ih­nen eine Fal­le auf­ge­stellt, und ih­ren Zorn an sei­ner Per­son aus­las­sen, zu­mal er kein Ka­tho­lik sei.

      Trotz sei­nes Miss­trau­ens und heim­li­chen Är­gers ent­schloss sich der Her­zog, das Aner­bie­ten des Ramée an­zu­neh­men, und mach­te sich bei ein­bre­chen­der Däm­me­rung nach Prag auf. Die Pis­to­le im Gür­tel, folg­te er zu Pferd zwei Be­waff­ne­ten, die ihn über Hü­gel und durch Wäl­der an ei­nem ver­eis­ten, kra­chen­den Fluss ent­lang ver­wach­se­ne Pfa­de führ­ten, nicht we­nig froh, als er an der Gren­ze des Bis­tums wohl­be­hal­ten auf der ge­mei­nen Heer­stra­ße an­lang­te. In Prag war­te­ten sei­ner neue Ent­täu­schun­gen und Wi­der­wär­tig­kei­ten, in­dem der Kai­ser sich nicht se­hen ließ und die böh­mi­schen Stän­de ihn, den Her­zog, mit Vor­wür­fen an­fie­len und ihr Geld von ihm zu­rück­for­der­ten, das sie auf sein Wort her­ge­ge­ben hät­ten, das aber nicht auf den ih­nen vor­schwe­ben­den Zweck ver­wandt sei.

      1 auf­ge­wie­gelt <<<

      Jo­han­nes Kep­ler be­wohn­te auf der Klei­nen Sei­te, nicht weit vom Schlos­se, ein Haus, in des­sen dunklen Räu­men sei­ne Frau sich hei­misch zu füh­len nie­mals ge­lernt hat­te: ihr fehl­te die fri­sche, hei­te­re Luft der Stei­er­mark, aus der sie stamm­te, der harm­lo­se Froh­sinn ih­rer Lands­leu­te, die Fa­mi­lie und das sorg­lo­se Wirt­schaf­ten, an das sie in ih­rem El­tern­hau­se ge­wöhnt ge­we­sen war. Da ihr Mann das Ge­halt, auf das er An­spruch hat­te, fast nie­mals er­hielt, fehl­te es im­mer an Geld, und es kam vor, dass sie die Wä­sche und die Ge­wän­der, die sie für sich und die Kin­der brauch­te, nicht an­schaf­fen konn­te. In den ers­ten Jah­ren hat­te sie ih­ren Mann ge­drängt, beim Kai­ser auf der rich­ti­gen Aus­zah­lung des Ge­hal­tes zu be­ste­hen, ob­wohl sie sah, dass ihm das schwer wur­de, und merk­te, dass es nicht nütz­te; spä­ter je­doch tat sie es nicht mehr, hör­te über­haupt auf, ir­gen­det­was än­dern zu wol­len, son­dern wur­de un­tä­tig und starr­te oft stun­den­lang in schwer­mü­ti­gen Ge­dan­ken vor sich nie­der. Ihr einst lieb­li­ches Ge­sicht fing an ab­ge­zehrt und ält­lich aus­zu­se­hen, und ihre schö­nen Au­gen hat­ten oft einen ver­stör­ten Aus­druck und wi­chen dem Blick an­de­rer scheu aus. Ge­gen die Mit­te des Fe­bru­ar er­krank­te ein Kind, ein zier­li­ches brau­nes Mäd­chen mit ge­heim­nis­vol­len Au­gen und wun­der­li­chen, fan­tas­ti­schen Ein­fäl­len, das Kep­ler be­son­ders lieb­te. Es war Nach­mit­tag und däm­mer­te schon im Wohn­zim­mer, als die Frau, die im Schat­ten saß, plötz­lich auf­schrie, weil es stark an die Haus­tür ge­klopft habe; die Gerüch­te von dem Her­an­na­hen der Pas­sau­er Trup­pen mach­ten sie reiz­bar und ängst­lich. Kep­ler, der das kran­ke Kind im Arme hat­te, trat an das Fens­ter und blick­te auf die Gas­se; drun­ten sei al­les still, sag­te er be­ru­hi­gend zu sei­ner Frau, sie müs­se sich ge­täuscht ha­ben. In­des­sen war es der Leib­arzt des Kai­sers, Dok­tor Altman­s­tet­ter, der als ein Freund des Hau­ses sich nach dem Be­fin­den der Kran­ken um­se­hen woll­te und gleich dar­auf in das Wohn­zim­mer trat. Wie es auf der Burg ste­he? frag­te Kep­ler; ob sich der Kai­ser be­quemt habe, die Pas­sau­er auf­zu­hal­ten?

      Es sehe böse oben aus, sag­te Altman­s­tet­ter. Der Kai­ser habe zu­letzt wohl oder übel nach­ge­ben und Be­fehl aus­ge­hen las­sen müs­sen, dass die Pas­sau­er aus Böh­men gin­gen; aber sie rück­ten gleich­wohl an, da sie den Be­fehl für er­zwun­gen hiel­ten und des Kai­sers ei­gent­li­che Mei­nung bes­ser kenn­ten. Selbst der Lob­ko­witz habe den Kai­ser ge­warnt, nur der Mar­ti­nitz und der Sla­wa­ta hät­ten ihm bei­ge­stan­den und blie­sen in das Kriegs­horn; der spa­ni­sche Ge­sand­te sol­le so ent­rüs­tet über den Bi­schof von Passau, näm­lich den Erz­her­zog Leo­pold, sein, dass er ge­sagt habe, da er nicht ru­hig sit­zen kön­ne, sol­le man ihn lau­fen oder hän­gen las­sen.

      Die Frau jam­mer­te, was aus ih­nen wer­den sol­le, wenn das Kriegs­volk in Prag ein­fie­le? Die Evan­ge­li­schen wür­de es ge­wiss nicht am Le­ben las­sen. Altman­s­tet­ter trös­te­te sie, es gel­te den Stän­den, sie soll­ten ge­zwun­gen wer­den, den Ma­je­stäts­brief wie­der her­aus­zu­ge­ben, und mit den Häup­tern, als Thurn, Bu­do­wa und Kins­ky, hät­te man auch viel­leicht et­was Blu­ti­ges vor. Kep­ler aber ge­hö­re dem kai­ser­li­chen Hof­staat an und habe nichts zu be­sor­gen. Sie soll­ten nur für die Nacht das Haus gut ver­schlie­ßen. Das fie­bern­de Kind, das still zu­ge­hört hat­te, hob jetzt den Kopf und sag­te, es fürch­te sich nicht vor den Sol­da­ten, denn wenn sie sie um­bräch­ten, kämen sie in den Him­mel, mit Aus­nah­me des Dok­tors, der kön­ne nicht mit hin­ein. Die­ser lach­te, setz­te sich zu dem Kin­de, das ihn schalk­haft an­lä­chel­te, und woll­te wis­sen, warum er nicht in den Him­mel kom­men kön­ne. Es ste­he ge­schrie­ben, sag­te es end­lich, die Pfor­te zum Him­mel sei eng, da wer­de der Dok­tor wohl nicht hin­durch­kom­men. Hier­über lach­te er laut und herz­lich, dass sein um­fang­rei­cher Leib schüt­ter­te, und noch wäh­rend er die Trep­pe hin­un­ter­ging, hör­te man sein Ge­läch­ter. Kep­ler herz­te sein Kind und trug es in sein Bett zu den Ge­schwis­tern, wor­auf er wie­der zu sei­ner Frau zu­rück­kehr­te. Er woll­te noch in die Dach­kam­mer ge­hen, um die Ster­ne zu be­ob­ach­ten, sag­te er, weil die Nacht so klar sei; sie sol­le un­ter­des­sen die Magd her­ein­ru­fen, da­mit ihr die Wei­le nicht lang wer­de. Ob er denn durch­aus hin­auf­ge­hen müs­se? sag­te sie schüch­tern. Er möge ihr nur zu­vor sa­gen, ob die Stel­le aus der Of­fen­ba­rung auf die Pas­sau­er zu deu­ten sei: ›Und die Zahl des rei­si­gen Zeu­ges war viel­tau­send­mal tau­send; und ich hö­re­te ihre Zahl. Und also sah ich die Ros­se im Ge­sicht, und die dar­auf sa­ßen, dass sie hat­ten feu­ri­ge und gel­be und schwe­fe­lich­te Pan­zer, und die Häup­ter der Ros­se wie die Häup­ter der Lö­wen, und aus ih­rem Mun­de ging Feu­er und Rauch und Schwe­fel.‹

      Nicht doch, sag­te Kep­ler un­ge­dul­dig, das be­zie­he sich auf längst­ver­gan­ge­ne Zei­ten; aber Ros­se mit Lö­wen­köp­fen hät­te es nach sei­ner Mei­nung selbst da­mals nicht ge­ge­ben, das wer­de wohl ein Sym­bol oder ein Ge­f­lun­ker sein. Sie sol­le sich doch mit dem vie­len Bi­bel­le­sen die Ge­dan­ken nicht schwer ma­chen.

      »Was soll­te ich wohl sonst tun?« sag­te sie trau­rig, in­dem sie ihn aus ih­ren dunklen Au­gen an­sah. Ein pein­li­ches Ge­fühl zog sein Herz zu­sam­men; sie sol­le jetzt ein we­nig mit der Magd plau­dern, sag­te er, er kom­me bald wie­der und blei­be dann bei ihr. Da­mit ging er schnell aus der Tür und stieg die schma­le Trep­pe zu dem Dach­stüb­chen hin­auf, wo er zu ar­bei­ten pfleg­te und wo ein Sche­mel an dem nied­ri­gen Fens­ter stand. Da das Haus hoch lag, konn­te er die Alte und die Neue Stadt jen­seit der Moldau über­bli­cken: wie eine ge­ängs­te­te, in die Hür­de zu­sam­men­ge­dräng­te Her­de schie­nen die Häu­ser sich eins am an­de­ren ver­ber­gen zu wol­len. Dicht über dem Ho­ri­zon­te, der Erde zu­ge­hö­rig, hing der ab­neh­men­de Mond, eine trü­be La­ter­ne am Sta­be ei­nes ar­men Hir­ten; aber hoch oben be­gan­nen die Ster­ne aus schwar­zen Schluch­ten an ihre Stel­le zu tre­ten. Wie Kep­ler den Blick hin­auf­rich­te­te und die ver­trau­ten Er­schei­nun­gen auf­such­te, fie­len die Sor­gen, die ihn noch eben be­drückt hat­ten, von ihm ab; er ging den­sel­ben Weg und trank die­sel­be Luft wie


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