1177 v. Chr.. Eric H. Cline

1177 v. Chr. - Eric H. Cline


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den Lagerhäusern und den Getreidespeichern.15

      Dies war nicht das erste Mal, dass die Ägypter gegen die gesammelte Streitmacht der »Seevölker« kämpften: Bereits 30 Jahre zuvor, im Jahr 1207 v. Chr., dem fünften Jahr der Herrschaft des Pharaos Merenptah, hatte eine ähnliche Ansammlung nicht genau identifizierbarer Krieger Ägypten angegriffen. Merenptah ist Kennern des alten Orients vor allem deshalb vertraut, weil er als erster ägyptischer Pharao den Begriff »Israel« verwendete, übrigens in einer Inschrift aus exakt demselben Jahr (1207 v. Chr.). Diese Inschrift markiert zugleich die früheste Verwendung des Namens Israel außerhalb der Bibel. In der pharaonischen Inschrift ist der Name mit einer speziellen Markierung gekennzeichnet, die anzeigt, dass es sich dabei um ein Volk und nicht um einen Ort handelt. Erwähnt wird der Name im Zusammenhang mit einer knappen Beschreibung eines Feldzugs in die Region Kanaan, wo das Volk, das er »Israel« nennt, angesiedelt war.16 Die betreffenden Sätze stehen innerhalb einer viel längeren Inschrift, in der es vornehmlich um Merenptahs langwierige kriegerische Auseinandersetzungen mit den Libyern geht, Ägyptens Nachbarn im Westen. Die Libyer und die Seevölker beanspruchten die Aufmerksamkeit des Pharaos in jenem Jahr weitaus mehr als die Israeliten.

      Ein Text aus Heliopolis zum Beispiel, datiert auf »Jahr fünf, Monat zwei der dritten Jahreszeit (zehnter Monat)«, teilt uns mit: »Der elende Anführer Libyens ist [mit] Šekeleš und jedem fremden Land, das ihm beisteht, eingefallen und hat die Grenzen Ägyptens verletzt«.17 Den gleichen Wortlaut finden wir in einer anderen Inschrift, die man als »Säule von Kairo« kennt.18 In einer längeren Inschrift in Karnak (dem heutigen Luxor) erfahren wir noch ein paar weitere Einzelheiten zu dieser frühen Angriffswelle der Seevölker. Die einzelnen Gruppen sind darin genau bezeichnet:

      [Zu Beginn des Siegs, den seine Majestät im Land Libyen errang, kamen] Ekweš, Tereš, Lukka, Šardana, Šekeleš, alle von Ländern des Nordens, … in der dritten Jahreszeit und sagten: Der elende, gefallene Anführer Libyens … ist mit seinen Bogenschützen – Šardana, Šekeleš, Ekweš, Lukka, Tereš – ins Land der Tehenu eingefallen, wobei er die besten Krieger und jeden einzelnen Kämpfer seines Landes mitnahm

      Die Liste der Gefangenen, die aus dem Lande Libyen und von den Ländern, die es mitbrachte, fortgeschafft wurden

      Šerden, Šekeleš, Ekweš, die keine Vorhaut hatten, von den Ländern des Meeres:

      Šekeleš: 222 Männer,

      das ergibt 250 Hände.

      Tereš: 742 Männer,

      das ergibt 790 Hände.

      Šardana: –

      [das ergibt] –

      [Ek]weš, die keine Vorhaut hatten, wurden erschlagen, ihre Hände wurden weggeführt, (denn) sie hatten keine [Vorhaut] –

      Šekeleš und Tereš, die als Feinde Libyens kamen –

      218 Männer der Qeheq und Libyer wurden lebend als Gefangene abgeführt.19

      Zwei Dinge gehen aus dieser Inschrift eindeutig hervor. Erstens waren an diesem früheren Angriff der Seevölker nicht sechs, sondern fünf Gruppen beteiligt: Šardana (oder Šerden), Šekeleš, Ekweš, Lukka und Tereš; die Šardana und Šekeleš tauchen später zur Zeit Ramses’ III. wieder auf, die anderen drei Gruppen nicht. Zweitens werden die Šardana, Šekeleš und Ekweš ausdrücklich als »von den Ländern des Meeres« identifiziert, und von den fünf Gruppen heißt es kollektiv, sie seien »alle von Ländern des Nordens« gekommen. Letzteres ist nicht allzu überraschend, denn die meisten Länder, mit denen das Land zur Zeit des Neuen Reiches in Kontakt stand, lagen nördlich von Ägypten (außer Nubien und Libyen). Die Identifizierung der Šardana und Šekeleš als »von den Ländern des Meeres« verstärkt die Vermutung, dass sie in irgendeiner Weise mit Sardinien und Sizilien zu tun haben.

      Dass auch die Ekweš als »von Ländern des Nordens« kommend genannt werden, hat einige Wissenschaftler zur Annahme verleitet, damit könnten die Achaier Homers gemeint sein, also die Mykener des griechischen Festlandes der Bronzezeit – eben jenes Volk, das Ramses III. in seinen Seevölker-Inschriften zwei Jahrzehnte später vielleicht mit »Danunäer« meinte. Was die letzten beiden Namen betrifft, so akzeptiert die Wissenschaft in der Regel Lukka als Verweis auf ein Volk aus dem Südwesten der Türkei, derjenigen Region, die in der klassischen Zeit »Lykien« hieß. Der Ursprung des Tereš ist ungewiss, vielleicht waren es die italischen Etrusker.20 Viel mehr geben die Inschriften nicht her, und auch über den Schauplatz der Schlacht(en) können wir nur vage Vermutungen anstellen. Merenptah sagt lediglich, der Sieg sei »im Lande Libyen« errungen worden, das er weiter als »Land der Tehenu« definiert. Indes wird ganz klar, dass Merenptah den Sieg für sich beansprucht, denn er listet getötete und gefangengenommene feindliche Krieger sowie ihre »Hände« auf. Damals war es Brauch, den getöteten Feinden eine Hand abzuschneiden und mit nach Hause zu bringen, um die übliche Belohnung für die Tötung eines feindlichen Kämpfers einzustreichen. Erst kürzlich entdeckte man einen grausigen Beweis für diese Praxis aus der Hyksoszeit, etwa 400 Jahre vor Merenptah, in der Form von 16 rechten Händen, die man beim Hyksos-Palast in Avaris im Nildelta in vier Gruben verscharrt hatte.21 Ob alle Angehörigen der Seevölker getötet wurden oder ob einige überlebten, wissen wir nicht – anzunehmen ist jedoch Letzteres, bedenkt man, dass mehrere dieser Gruppen 30 Jahre später zu einer zweiten Invasion zurückkehrten.

      Im Jahr 1177 v. Chr., wie bereits 1207 v. Chr., besiegten die Ägypter die Seevölker. Sie kehrten kein drittes Mal nach Ägypten zurück. Ramses war stolz darauf, dass er den Feind »zum Kentern brachte und an Ort und Stelle überwand«: »Ihre Herzen«, schrieb er, »werden ihnen fortgenommen, ihre Seelen fliegen davon. Ihre Waffen sind auf See verstreut.«22 Dennoch war es ein Pyrrhussieg: Obwohl das Ägypten Ramses’ III. die einzige Großmacht war, die dem Ansturm der Seevölker jemals erfolgreich widerstanden hatte, war das ägyptische Neue Reich danach doch nicht mehr dasselbe. Das lag indes an anderen Problemen, denen sich zu jener Zeit wahrscheinlich der gesamte Mittelmeerraum ausgesetzt sah, wie wir im Folgenden sehen werden. Die Pharaonen, die auf Ramses III. folgten und die übrige Zeit des 2. Jahrtausends v. Chr. Ägypten beherrschten, waren damit zufrieden, ein Land zu verwalten, dessen Einfluss und Macht rapide schwanden. Am Ende war Ägypten nicht mehr als ein zweitklassiges Imperium und nur noch ein müder Abklatsch dessen, was es einst gewesen war. Erst unter dem libyschstämmigen Pharao Scheschonq I., der ca. 945 v. Chr. die 22. Dynastie gründete (und der wahrscheinlich mit dem biblischen Pharao Šišak identisch ist23) fand Ägypten wieder ein Stück weit zu seiner alten Form und Geltung zurück.

      Außer Ägypten verloren fast alle Länder und Mächte in der Ägäis und im Nahen Osten – die in der späten Bronzezeit den Ton angegeben hatten – im 2. Jahrtausend v. Chr. an Bedeutung und verschwanden von der Bildfläche, entweder unmittelbar oder doch binnen weniger als einem Jahrhundert. Es war, als würde sich die Zivilisation in weiten Teilen dieser Region selbst auslöschen. In riesigen Gebieten, von Griechenland bis nach Mesopotamien, gingen viele, wenn nicht sogar alle zivilisatorischen Fortschritte der vergangenen Jahrhunderte verloren. Eine neue Epoche des Übergangs begann, die mindestens 100, in manchen Regionen vielleicht sogar 300 Jahre dauerte.

      Man kann sich gut vorstellen, wie in diesen Ländern damals Angst und Schrecken herrschten. Ein ganz konkretes Beispiel dafür findet sich auf einer Tontafel, in die ein Brief des Königs von Ugarit in Nordsyrien an den (in der Hierarchie über ihm stehenden) König von Zypern eingeritzt ist:

      Mein Vater, jetzt sind die Schiffe des Feindes eingetroffen. Sie stecken seither meine Städte in Brand und verwüsten das Land. Weiß mein Vater nicht, dass alle meine Fußtruppen und [Streitwagen] in Ḫatti stationiert sind und dass alle meine Schiffe im Lande der Lukka stationiert sind? Sie sind noch nicht zurückgekommen, daher liegt das Land darnieder. Möge mein Vater Kenntnis von dieser Angelegenheit haben. Jetzt haben uns die sieben Schiffe des Feindes, die gekommen sind, bereits Schaden zugefügt. Falls weitere Schiffe des Feindes auftauchen, sende mir irgendwie einen Bericht, damit ich es weiß.24

      Die Forschung ist sich nicht ganz einig, ob die Tafel ihren Adressaten auf Zypern erreicht hat. Die Ausgräber, die die Tafel entdeckten, glaubten, der Brief sei wahrscheinlich gar nicht abgeschickt worden. Es hieß ursprünglich, man habe ihn zusammen mit mehr als 70 anderen


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