Desert Hearts. Jane Rule

Desert Hearts - Jane Rule


Скачать книгу
Ja, Frances hatte recht. Ann mochte das Glücksspiel nicht, aber die Leute, die ihm in FRANK’S CLUB frönten, waren wenigstens harmlos, auch wenn sie mehr verloren, als sie sich leisten konnten. Und schließlich kannten sie hier ihre Chancen. Große Schilder in den Waschräumen verkündeten: »Vergiss nicht: Wenn du lange genug spielst, verlierst du.« Und auf Handzetteln, die den Kunden gegeben wurden, wurden sorgfältig die Nachteile des jeweiligen Spiels erklärt. Natürlich war das alles PR, mit deren Hilfe das Establishment so tat, als sei dies nicht der TEMPEL DES MAMMONS in der Stadt von Dis. Trotzdem war es ehrliche Werbung. Keine Universität veröffentlichte die Chancen gegen das Lernen, kein Krankenhaus die Chancen gegen das Überleben, keine Kirche die Chancen gegen die Errettung der Seelen. Hier wenigstens wurden die Leute nicht für dumm verkauft. Man ließ sie wissen, dass niemand intelligent genug oder stark genug oder begnadet genug sei, um errettet zu werden. Dennoch spielten sie.

      Als Ann und Janet den letzten Treppenabsatz erreichten, war ihnen der Weg von einer kleinen Gruppe von Angestellten versperrt, die beobachteten, wie Silver eine neue junge Frau einwies.

      »Hör zu, Kindchen, in den Stockwerken ist es höllisch. Kannst alle fragen. Stimmt’s etwa nicht?« Mehrere nickten amüsiert. »Da wird’s zum Beispiel so voll, dass eine Frau, die ohnmächtig wurde, mit der Rolltreppe zwei Stockwerke runterfahren musste, ehe sie einen Platz zum Umkippen fand. Ich verkohle dich nicht! Verkohle ich sie etwa?« Die anderen schüttelten den Kopf. »Eines Samstagnachts halfen uns einige äußerst kooperative Gäste, zehn Betrunkene rauszuschleppen. Wir haben erst eine Stunde später bemerkt, dass diese zehn Betrunkenen Spielautomaten waren, gekleidet in Hut und Mantel. Trickreich, was? Aber worauf du wirklich scharf aufpassen musst, das sind die Taschendiebe. Und weißt du, wie du gehen musst, um Taschendiebe abzuschrecken?«

      Die Neue schüttelte den Kopf. Sie sah Silver an und versuchte, ihre Ängstlichkeit hinter gelinder Skepsis zu verbergen.

      »Du hakst deine Daumen so ein, siehst du?« Silver machte es vor, die Daumen in den Hosentaschen, die Hände auf den Hüftknochen. »Und setz die Ellenbogen ein, um sie zu verscheuchen.« Sie ging ein paar Schritte. »Nun du. Versuch’s.« Die junge Frau zögerte. »Na los! Du musst es lernen.«

      »Sie hat recht«, sagte Ann. »Niemand könnte es dir besser beibringen. Silver war Taschendiebin, bevor sie herkam.«

      »Nur als Hobby«, übertönte Silver das Gelächter, »nur als Hobby.«

      »Und sie ist stolz auf ihren Amateurstatus, denn nächstes Jahr geht sie zu den Olympischen Winterspielen.«

      »Ann?«

      Ann drehte sich um und sah Bill hinter sich stehen. »Ja, Bill.«

      »Ich möchte, dass du die Neue heute Nacht mitnimmst.«

      »Das habe ich gern!«, sagte Silver. »Hier stehe ich und biete freiwillig meine langjährige Erfahrung … aber du bist in guten Händen, Herzchen. Ann wird sich gut um dich kümmern.«

      »Das ist Joyce, Ann«, sagte Bill. »Ihre Sachen hat sie alle. Ihre Karte ist abgestempelt. Ann zeigt dir genau, was du zu tun hast, Joyce. Und ich komme später vorbei, um zu sehen, wie’s dir geht.«

      Joyce, vorerst gerettet aus der alles überragenden Burleske Silvers, wandte sich dankbar und erleichtert der schutzbietenden männlichen Stattlichkeit Bills zu. Und da sie offensichtlich nicht wollte, dass er sie verließ, begleitete er Ann und Joyce den Flur entlang.

      »Du darfst dich von Silver nicht verschrecken lassen«, sagte er. »Es ist nicht schwer. Ann wird’s dir zeigen …«

      Als er Anns Namen aussprach, hatte er nicht vorgehabt, seine Gefühle, wie schon so oft, öffentlich kundzutun, aber er konnte nicht anders. Ann wich ein wenig aus, um außer Reichweite seiner Zärtlichkeit zu sein, die ihr jetzt, da sie sie nicht mehr ertragen konnte, unter die Haut ging wie Schmerz oder gar wie Angst.

      Als sie zur Tür kamen, blieb Bill stehen und drehte sich zu Ann um. »Ich habe mein Hauptbuch vergessen«, sagte er. »Bis später.«

      »Ist er verheiratet?«, fragte Joyce.

      »Nein«, erwiderte Ann.

      Sie stemmte sich gegen die Tür, stieß vor in die kalte klimatisierte Luft, in das Scheppern und Schleifen der Spielautomaten, die durch Lautsprecher verstärkten Stimmen der Spielhalter, die gedämpften Menschenmassen. Sie nahm Joyce beim Arm und führte sie durch den Irrgarten von Automaten und Spieltischen zur Rolltreppe, auf der sie, neben einem halben Dutzend anderer Leute, zum ersten Stock hinauffuhren. Dort war es nicht so voll, aber der Krach war maßlos.

      »Hast du schon irgendetwas davon gelesen?«, fragte Ann und deutete mit dem Kopf auf die fotokopierten Blätter und das Buch in Joyces Hand. »Ich meine nicht Wie man Freunde und Einfluss auf Menschen gewinnt. Das einzig Wichtige an diesem Buch ist, dass der alte Hiram O. Dicks meint, er sehe aus wie Dale Carnegie. Also, wenn du ihm mal zufällig über den Weg läufst – in Wirklichkeit sieht er aus wie einer der Hausmeister –, dann sag ihm, wie gern du sein Buch gelesen hast und wie sehr es dir bei deiner Arbeit geholfen hat. Aber das andere Zeug ist wichtig.«

      »Ich hatte noch keine Zeit«, gestand Joyce. »Ich habe gerade mit diesem angefangen.«

      Ann sah auf den ersten Absatz:

       Hallo! Willkommen in FRANK’S CLUB. Vielleicht fühlst Du Dich gerade jetzt ein bisschen unwohl, wenn Du Dich umsiehst und begreifst, dass Du Mitglied der berühmten Familie von FRANK’S CLUB bist. Ja, Du bist ein Greenhorn im Corral, und Du weißt nicht GENAU, was man von Dir erwartet. Nur nicht nervös werden. Locker bleiben. Alle um Dich herum sind Mitglieder Deiner Familie, bereit, Dich einzuarbeiten. Und jeder von ihnen war selbst mal ein Greenhorn. Denk daran, sie alle haben ihren ersten Tag durchgemacht …

      »Na ja«, sagte Ann, »wenn du mit dem Mist durch bist – in dem da stehen Dinge, die du wissen musst. Nun geh rauf in den nächsten Stock. Trink eine Tasse Kaffee. Und lies etwas von dem Zeug. Komm in einer halben Stunde wieder runter. Ich bin gleich da drüben. Dann checke ich dich ein.«

      »Wo?«

      »Gleich da drüben, bei den Wagen. Wenn du dich verläufst, kannst du jeden nach dem Corral fragen.«

      Am Kassenschalter bat Ann um den Schlüssel für ihr Schließfach im ersten Stock, wo sie ihre Handtasche wegschließen konnte. Als der Schlüssel an ihrem Hemd genau unter ihrem Namensschild befestigt war, der grüne Wechselschurz hoch um ihren Brustkorb geschnallt und der Münzspender an seinem Platz eingehakt war, ging Ann zurück zum Kassenschalter, um ihr Geld zu holen. Janet war schon da.

      »Fünfhundert heute Nacht«, sagte die Kassiererin und schob jeder den vorbereiteten Stapel, den Auszahlungsbeleg und eine Gratispackung Zigaretten zu. »Wie geht’s dem Kleinen?«

      »In einer Woche kommt er ins Krankenhaus«, sagte Janet, die das Geld sorgfältig zählte, bevor sie den Schurz damit belud.

      »San Francisco?«

      »Ja.«

      »Na, dort ist er bestens aufgehoben. Ich habe gehört, du hattest letzte Nacht mit meiner Mutter zu kämpfen, Ann?«

      »Stimmt«, sagte Ann. »Ich hätte nicht gedacht, dass sie es von sich aus erzählen würde.«

      »Sie fand es lustig. Sie sagt immer: ›Wenn ich getankt habe, bleibe ich in Anns Nähe. Sie bringt Pech wie die Hölle, aber sie hält mich aus allem Ärger raus!‹«

      Ann lächelte. Sie hatte ihr Geld gezählt und unterschrieb ihren Auszahlungsbeleg. »In ungefähr einer halben Stunde bin ich wieder da, um eine Neue einzuchecken. Okay?«

      »Klar.«

      Silver trat an den Kassenschalter, als Ann und Janet gerade losgehen wollten.

      »Na, du wirst die Zeit heute Nacht ja angenehm verbringen«, sagte sie zu Ann.

      »Ich brauche die Neue nicht. Ich wünschte, Bill hätte sie dir gegeben.«

      »Aber sie braucht dich, Darling. Entspann dich und genieße sie.« Silver griff nach dem Schlüssel, den die Kassiererin


Скачать книгу